Atmosphäre schlägt Inhalt

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"Der Familientisch" bei den Wiener Festwochen: Theaterwanderung zu multikultureller Performance.

Wollen Sie bei einer Produktion der Wiener Festwochen eine "tragende Rolle" übernehmen? Dann besuchen sie das Projekt "Der Familientisch", das beim Schauspielhaus in der Porzellangasse beginnt und in einer Remise am Westbahnhof endet. Unterwegs bekommen Sie sicher das eine oder andere Requisit und spätestens am Bahnhof noch einen Koffer in die Hand gedrückt. Und Sie werden mit dem Schicksal einer der elf Hauptpersonen, die sich auf Grund ihrer Herkunft oder ihres Lebenslaufs nur zum Teil als Wiener verstehen, vertraut. Über die anderen zehn Akteure müssen Sie sich via Programmheft oder Gespräche am riesigen "Familientisch", wo man beim Finale Speis und Trank, aber auch Tanz und Gesang vorgesetzt bekommt, informieren - oder noch zehnmal diese Produktion besuchen ...

Die Wiener Performerin Sonja Schmidlehner erzählt auf dem Weg zum Donaukanal die Geschichte ihrer armenischen Vorfahren, die Teppichhändler waren, und legt auf einem kleinen Teppich in der Porzellangasse einen perfekten Kopfstand hin. Ihre mit Hüten, falschen Nasen und Spritzpistolen ausgestattete Gruppe wird mit Musik von Charles Aznavour zu einem Straßentanz motiviert. Unter der Rossauer Brücke wird bei Tee des Völkermordes an den Armeniern gedacht. Mit der U-Bahn, die Sonja Schmidlehner in Erinnerung an ihren bergfreudigen Vater als Seilbahn deklariert, erreicht die Gruppe mit Koffern und einer Fahne von der Talstation Schottenring über die Mittelstation Volkstheater das Gipfelhaus Westbahnhof.

Dass dort eine relativ lange Pause eintritt, weil die Aufführung erst nach dem Eintreffen der letzten Gruppe weitergehen kann, erlaubt einen Meinungsaustausch mit den weiteren einlangenden Zuschauern. Überhaupt fördert diese Art Theater die Kommunikation innerhalb des Publikums, das sich bei untergehender Sonne in einer Halle wiederfindet, wo nun alle Protagonisten durch gemeinsamen Gesang und durch simultane Auftritte die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Vom inhaltlichen Vortrag sind meist nur Wortfetzen verständlich, das Erlebnis der Aufführung besteht im Atmosphärischen. Ob aus Zimbabwe, Singapur, Belgrad, Madrid oder Wien - alle entpuppen sich als Mitglieder einer großen Menschheitsfamilie: die Akteure auf dem als Bühne dienenden "Familientisch" und die an der großen viereckigen Tafel sitzenden Zuschauer.

Der Israeli David Maayan, der schon vor zehn Jahren mit seinem Projekt "Arbeit macht frei" Aufsehen erregte, lieferte Konzeption und Inszenierung für diesen Theaterabend. Die Frage, ob er vielen in Erinnerung bleiben wird, würde das armenische Radio Eriwan mit "Im Prinzip ja" beantworten.

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