Attacke auf einen Kritiker

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In einem Theater in Frankfurt am Main ist ein Kritiker attackiert worden, und das geschah so: Eine Schauspielerin, die auf der Bühne soeben einen Schwan "geboren" hatte, legte dem Berichterstatter auf Geheiß eines Kollegen das tote Requisit in den Schoß, der Schauspieler entriss dem Herrn den Schreibblock, versuchte auf der Bühne aus dessen Notizen vorzulesen, was ihm nicht gelang, worauf er den Block wieder zurückgab. Der angegriffene Kritiker verließ darauf vorzeitig das Auditorium, wobei ihm von der Bühne unflätige Abschiedsworte nachgerufen wurden.

Am nächsten Morgen forderte die Oberbürgermeisterin von der Schauspieldirektorin die fristlose Kündigung des ausrufenden Schauspielers, die dann auch sofort - man stelle sich vor! - "einvernehmlich" ausgesprochen wurde. Nun beschwatzen seit ein paar Tagen die Journalisten den Vorfall. Verständlich, es handelt sich ja nicht nur um eine kuriose Anekdote, hier wird auch etwas über die Situation unseres gegenwärtigen Theaters erzählt.

Kritiker, selbst wenn sie einen Theaterabend misslungen finden, vermitteln Kunst. Ist das Sprechtheater schon so in der Defensive, dass es die Auseinandersetzung scheut? Theaterleute müssen es aushalten, dass Kritiker die späte Wiederbelebung des Wiener Aktionismus als Verirrung bezeichnen, und dass sie die nicht mehr sehen wollen, die die gewalttätigen, fäkalischen, sexistischen Zurichtungen von Stücken immer mit dem Hinweis versehen, dass ja die Welt da draußen so grauslich, ausnützerisch und vergewaltigend sei.

Das Telefonat der Oberbürgermeisterin und die Kündigung darf man getrost eine Überreaktion nennen. Rechthaberei ist eine schlechte Sache. Das gilt aber auch für diejenigen, die da oben auf der Bühne stehen.

Der Autor arbeitet am Kulturforum der Österreichischen Botschaft in Berlin.

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