Auch die Freiheit ist EINE TORTUR

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Der Film "Raum" erzählt von einer jungen Mutter und ihrem fünfjährigen sohn, die in einem schuppen eingesperrt sind. anklänge an den Fall Fritzl sind durchaus gewollt.

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Der Film "Raum" erzählt von einer jungen Mutter und ihrem fünfjährigen sohn, die in einem schuppen eingesperrt sind. anklänge an den Fall Fritzl sind durchaus gewollt.

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Hierzulande schrieb das Leben bekanntlich viel grausigere Drehbücher, als es ein Filmskript vermöchte: Der Fall Josef Fritzl, der seine Tochter Elisabeth in Amstetten 24 Jahre samt dreier gemeinsamer Kinder einsperrte, war etwa so eine bittere Realität - und inspirierte aber auch zu künstlerischer Auseinandersetzung, denn die da offenbarten, bislang unvorstellbaren Abgründe menschlicher Existenzen, verlang(t)en nach dem Blick aufs Monster Mensch und die von ihm zerschundenen Seelen. Das Wort Aufarbeitung dafür zu verwenden mag falsch sein, denn reale Geschehnisse sind ja nicht rückgängig zu machen. Aber die Beschäftigung mit der tiefschwarzen Natur des Menschen, aber vor allem mit den Lebensstrategien derjenigen, die das alles überlebt haben, verlangt gerade nach der Kunst.

Filmisch geschah dies hierzulande insbesondere durch Markus Schleinzers exzeptionelle Arbeit "Michael"(2011), wo der titelgebende Protagonist einen Buben an der Schwelle zur Pubertät gefangen hält und missbraucht. Leider fand dieser wichtige Film sein Publikum nicht und auch bei der Kritik bloß geteilte Aufnahme, was vielleicht darian lag, dass Täter Michael nicht als der absolute Böse und Opfer Wolfgang, der Bub, auch als Schlitzohr, das sich sein Überleben in der seelenzerfressenden Situation einrichtet, gezeichnet waren.

Der Roman und der Film

Aber genau um derartige Beobachtung muss es der Kunst gehen: um Täter, die nicht nur Täter sind, und um Opfer, die ihre Opferrolle nicht nur vor sich hertragen als ewig Verzweifelte, sondern die sich in ihr unwirtliches Leben einrichten und die Gelegenheit zur Befreiung ergreifen, wenn sie sich bietet.

Nicht nur im angelsächsischen Sprachraum machte die irische Autorin Emma Donoghue diesbezüglich vor fünf Jahren mit dem Roman "Raum" Furore, wo sie das aus dem österreichischen Fall präsente Setting in ihre Geschichte verwandelt: die Erzählung vom fünfjährigen Jack, der mit seiner 24-jährigen Mutter Joy in einem zwölf Quadratmeter großen Raum eingesperrt ist. Joy ist sieben Jahren zuvor von einem, der nur als "Old Nick" - ein Slang-Ausdruck für "Teufel" - firmiert, entführt worden. Seit seiner Geburt zwei Jahre später muss auch Jack in dem Raum leben.

Aus "Raum", dem Buch, wurde nun "Raum", der Film, Donoghue hat auch das Drehbuch verfasst. Regisseur des Ganzen ist der Ire Lenny Abrahamson, der gleichfalls bereits seine Erfahrungen mit der Darstellung hermetischer Charaktere hat: In seinem hierorts erst letzten Herbst im Kino gezeigten Film "Frank" lässt er Michael Fassbender den Leadsänger einer Undergroundband spielen, der praktisch den ganzen Film hinter einer Ganzkopfmaske versteckt bleibt.

"Frank" mag auf den ersten Blick sogar noch hermetischer in seiner Welt gefangen sein als Jack und Joy in "Raum". Aber man kann die Romanverfilmung durchaus als neuerliche Beschäftigung Abrahamsons mit dem existenziellen Thema der Einschließung sehen.

"Raum" ist eine Filmerzählung, die zwei große kleine Geschichten zum Inhalt hat. Die erste handelt davon, wie es sich Mutter und Sohn im wohnzimmergroßen Gefängnis einrichten. Das Leben mag karg sein, die physische Ausbruchsmöglichkeit undenkbar. Aber die Seele des Kindes und der jungen Mutter haben sich je eigene Rückzugsorte bewahrt. Das Fenster zur Welt ist ein kleines Oberlicht des Schuppens, in dem die beiden gefangen sind, das einen winzigen, aber doch möglichen Blick nach dorthin erlaubt, was sich Jack nur zusammenfantasieren und Joy nur erträumen kann.

Old Nick, der Entführer, kommt in diesem Setting kaum vor, wiewohl seine Bedrohung omnipräsent bleibt. Man erfährt nicht, wer er ist, warum er Joy in seinem Garten eingesperrt und was er mit ihr alles angestellt hat. Dieser Josef Fritzl ist nur ein Schatten von Existenz, weder Autorin Donoghue noch Filmemacher Abrahamson scheinen sich für ihn und seine Tat zu interessieren.

Es geht in "Raum" um eine Mutter, ihr Kind und beider Lebensmut. Und, wenn man ehrlich ist, scheint auch in den realen Vorbildern die Frage nach dem Überleben der Gepeinigten die interessantere zu sein: Wie etwa konnte Elisabeth Fritzl im Amstettener Keller fast ein Vierteljahrhundert überleben? "Raum" gibt keine Antwort auf eine derartige Frage, aber mittels der sparsamen Dramaturgie, die Jack und Joy in den Fokus nimmt, geht es um die Zukunft trotz einer völlig verkorksten Gegenwart. Wesentlich dabei ist die filmische Umsetzung: Abrahamson stand vor der Herkulesaufgabe, dem Filmpublikum das klaustrophobische Gefühl zu vermitteln und gleichzeitig den Lebensmut der beiden Bewohner.

Es ist eine dramaturgische und filmtechnische Großtat, wie das in "Raum" gelöst wird. In einem Interview beteuerte Abrahamson, er habe in Bezug auf den Raum nie geschwindelt: "Wir hatten so viel Platz, wie es gab." Vorgabe sei immer gewesen, dass das Kameraobjektiv innerhalb der Wände des gezeigten Raums zu sein hatte: "Der Druck dieser Einschränkung und die diesbezügliche Herausforderung für den Filmemacher ergab einen wesentlich intensiveren Film." Das stimmt: Schon allein die Übersetzung dieses Raumgefühls und des Lebensgefühls von Joy und Jack auf die Leinwand macht "Raum" zu einem großen Film.

Wesentlich ist dies auch durchs Spiel von Kind und Mutter getragen: Unglaublich, welcher Präsenz und welcher Nuancierung der bei den Dreharbeiten siebenjährige Jacob Tremblay als Jack fähig war. Und für die Darstellung der Joy wurde die 26-jährige Brie Larson soeben mit dem Hauptrollen-Oscar ausgezeichnet. Völlig zu Recht.

Eine Studie über Menschwerdung

Aber "Raum" erzählt nicht nur die Geschichte einer Einschließung. Der Plot weitet sich im zweiten Teil zur Frage, ob und wie denn die klaustrischen Erfahrungen überwunden werden können. Das ist, so erfährt man in "Raum", mindestens so schwer und so gefährlich, wie das gezwungene Ausharren in einer geschlossenen Welt. Denn auch die Verhältnisse in der "Freiheit" sind nicht so lebenswert, wie es die Eingesperrten in ihrer Vorstellung extrapoliert haben mögen. Joys Eltern bieten keine Geborgenheit, und sie selber, welche die Freiheit so vermisst hat, muss sich, als sie diese wiedererlangt, in ihr unter größten Schmerzen zurechtfinden. Ob Jack, das Kind, es da leichter hat? Auch das thematisiert "Raum" auf ebenso einfühlsame wie grandiose Weise.

Meisterlich, auch was den Suspense betrifft, ist die Schnittstelle zwischen beiden Geschichten geraten. Denn zwischen der Erzählung von Joy und Jack als Gefangene und jener über die beiden in der Freiheit gibt es die atemberaubende Schilderung eines kindlichen Fluchtversuchs, der jeden Erwachsenen überfordert hätte.

"Raum" ist eine vielschichtige Studie über Menschwerdung. Man kann es sich auch in einem Gefängnis einrichten. Und bleibt in der Freiheit weiter gefangen. Aber entkommt dann doch. Hoffentlich.

Raum (Room)

IRL/CDN 2015.

Regie: Lenny Abrahamson.

Mit Jacob Tremblay, Brie Larson, Joan Allen, Sean Bridgers, Tom McCamus, William H. Macy.

Universal. 118 Min.

Ab 17.3. im Kino.

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