"Auf Boote zu schießen, ist ein Unding"

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Partikularinteressen verhindern eine nachhaltige Flüchtlingspolitik, sagt Österreichs UNO-Botschafterin Christine Stix-Hackl im Interview. Zum 70. Geburtstag der Vereinten Nationen steht auch der Wegfall des Vetorechts bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Diskussion.

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Partikularinteressen verhindern eine nachhaltige Flüchtlingspolitik, sagt Österreichs UNO-Botschafterin Christine Stix-Hackl im Interview. Zum 70. Geburtstag der Vereinten Nationen steht auch der Wegfall des Vetorechts bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Diskussion.

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Österreichs Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Christine Stix-Hackl, über die Rolle der UNO in internationalen Konflikten und die Flüchtlingspolitik der Europäischen Union.

DIE FURCHE: Hochrangige Vertreter der Vereinten Nationen wie Peter Sutherland, zuständig für Migrationsfragen, und António Guterres, Hochkommissar für Flüchtlinge, äußerten jüngst Kritik an der global ungelösten Flüchtlingsfrage. Kann die UNO hier nur tatenlos zusehen?

Christine Stix-Hackl: Es ist zutreffend, dass es der UNO bis jetzt nicht gelungen ist, die durch den Syrienkrieg und zahlreiche andere Konfliktregionen immer drängendere Flüchtlingsfrage einer nachhaltigen Lösung näherzubringen. Partikularinteressen treten immer stärker in den Vordergrund. Hier müssen sicherlich noch viel mehr Anstrengungen unternommen werden.

DIE FURCHE: An mehreren Beispielen in Kleingemeinden sieht man, dass die Aufnahme von Flüchtlingen sehr wohl gelingt.

Stix-Hackl: Dabei darf man allerdings nicht übersehen, dass einzelne Persönlichkeiten und Politiker auf lokaler Ebene eine sehr wichtige Rolle spielen können

DIE FURCHE: 60 Millionen Menschen weltweit befinden sich mittlerweile auf der Flucht

Stix-Hackl: Darauf ist niemand vorbereitet. Wir sehen das auch hier bei den Vereinten Nationen/UN in Wien, wo das UN-Büro zur Drogen-und Kriminalitätsbekämpfung (UNODC) angesiedelt ist, denn dessen Aufgabe umfasst auch die Bekämpfung des Schlepperwesens (smuggling of migrants).

Angesichts der ständig wachsenden Flüchtlingsströme ist es einerseits verständlich, dass in Zielländern große Ängste geweckt werden. Fluchtländer andererseits unternehmen oft wenig dagegen und lassen die Menschen sozusagen ziehen. Es bleibt auch entscheidend, ob die Entwicklungshilfe tatsächlich bei den Betroffenen ankommt. UNODC und UNIDO (UN-Organisation für Industrielle Entwicklung), beide in Wien ansässig, sind deshalb häufig mit Missionen vor Ort vertreten und achten darauf, dass das Geld zielgerichtet für bessere Lebensbedingungen, Schulen, Gesundheit usw. verwendet wird.

DIE FURCHE: Wenn EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini bei der UNO dafür plädiert, auf Schlepperboote zu schießen, erscheint die Welt verkehrt und man muss von einer Militarisierung der Flüchtlingspolitik sprechen, oder? Stix-Hackl: Zu überlegen auf solche Boote zu schießen, ist für mich ein gedankliches Unding. Die Zerstörung von leeren Booten Krimineller wäre schon schwierig genug. Und erst recht eine Zerstörung im Großen würde wohl neben dem Unglück der Flüchtlinge immer auch besonders zu Lasten der Zivilbevölkerung gehen.

DIE FURCHE: Die längsten UN-Missionen laufen seit 1948 bzw. 1964 in Nahost und auf Zypern, der verheerende Krieg in Syrien ist seit vier Jahren nicht zu stoppen. Kann die UNO ungelöste Konflikte nur mehr verwalten?

Stix-Hackl: Die Anforderungen an die UNO-Friedenssicherung ändern sich stark angesichts zunehmend komplexer werdender Konfliktherde. Die Friedenserhaltenden Operationen müssen sich an neue globale Realitäten anpassen. Außerdem sind Organisationen der internationalen Kooperation wie die UNO auf Verhandlung und Kompromiss aufgebaut. Die UNO kann daher einen Lösungsprozess nicht dekretieren. Die Generalversammlung der 193 UN-Mitgliedsländer ist zwar jenes Organ, das die Politikgestaltung maßgeblich beeinflusst, und kann auch kollektive Maßnahmen vorschlagen, allerdings haben ihre Mitglieder oftmals sehr verschiedene Interessen. Im eigentlichen Entscheidungsgremium, dem Sicherheitsrat, besitzen die fünf ständigen Mitglieder (USA, Großbritannien, Frankreich, Russland, China) ein Vetorecht. Dass es bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht mehr angewendet wird, ist schon angedacht.

DIE FURCHE: Viele sind enttäuscht von der UNO und der EU und forderten die Aberkennung des jeweiligen Nobelpreises.

Stix-Hackl: Der Friedensnobelpreis ist ein Ausdruck für die Wertschätzung dieser Organisationen in der Welt und sollte ihrer globalen Stärkung dienen. Dass manche darauf aufbauende Hoffnungen enttäuscht wurden, liegt auch an der Konstruktion von UNO und EU, die für rasche Reaktionen derzeit kaum geeignet sind. Darüber hinaus tue ich mir schwer mit der Formel, "die UNO" oder "die EU" habe versagt. Letztlich sind das wir alle.

DIE FURCHE: In Österreich keimt immer wieder öffentliche Skepsis gegenüber der Mitgliedschaft in Gemeinschaften wie der UNO oder EU auf. Warum ist es unumgänglich, dort aktives Mitglied zu sein?

Stix-Hackl: Beide sind auf Kooperation aufgebaut, damit durch Gleichberechtigung aller Mitglieder ein Gegeneinander verhindert wird. Abgesehen vom friedlichen Miteinander müssen wir uns aber nur vergegenwärtigen, was wir heute für selbstverständlich halten und früher nicht hatten. In der EU etwa die Abschaffung der Zölle und Passkontrollen, Job- und Unternehmensmöglichkeiten über die Grenzen oder Studiermöglichkeiten, die Sie oder ich noch nicht hatten. Und dass dieses Erreichte nur mit großer Bedachtsamkeit in Frage gestellt werden darf, ist mehr als selbstverständlich, wie die aktuellen Überlegungen einer Wiedereinführung von befristeten Schengen-Grenzkontrollen zeigen.

DIE FURCHE: Gibt es innerhalb der UNO auch eine Art "Shaping" durch einzelne Staaten, beispielsweise die USA, so wie Deutschland mit Angela Merkel in der EU dominiert?

Stix-Hackl: Die "Eiserne Kanzlerin" ist vielleicht kein ganz geeignetes Beispiel, weil sie in der Griechenlandkrise ja auch als "Buh-Frau" herhalten muss. Dass sich in Europa auf nationaler Ebene "major players" bilden, liegt wohl auch daran, dass die Staatsund Regierungschefs (als Gruppe der Eurozone oder als Europäischer Rat) sich immer stärker als Trouble-Shooter profilieren. In der UNO ist hingegen dem Sicherheitsrat, und dort insbesondere den fünf ständigen Mitgliedern, die Aufmerksamkeit gewiss.

DIE FURCHE: Die UNO feiert dieses Jahr ihren 70. Geburtstag. Inzwischen tagte eine Reformkommission unter der früheren US-Außenministerin Madeleine Albright. Es heißt, die UNO sei unterfinanziert, an der Vetomöglichkeit im Sicherheitsrat gibt es schon lange Kritik. Welche Änderungen sind realisierbar?

Stix-Hackl: Dazu kann ich Ihnen sagen, dass schon seit einiger Zeit Bestrebungen hinsichtlich einer Effizienzsteigerung und Demokratisierung des UNO-Sicherheitsrates und seiner Arbeitsmethoden laufen. Auch die regionale Verteilung steht zur Diskussion. Österreich engagiert sich mit konkreten Vorschlägen. Für Diskussionsstoff mit Blick auf die 70. UN-Generalversammlung im September in New York ist jedenfalls gesorgt. In der Frage der Finanzierung sind im Moment sämtliche internationale Organisationen gefordert, dazu gehört effizienter mit ihren Mitteln umzugehen und für mehr Transparenz zu sorgen, aber auch, an die Mitliedstaaten gerichtet, ihre Beiträge zu bezahlen und das auch noch rechtzeitig. Die Wirtschaftskrise ist für alle spürbar. Auch der UN-Standort in Wien muss beweisen, dass er attraktiv bleibt.

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