"Auf dem Blumenpfad werden wir gehen"

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Käthe Recheis schrieb phantastische Romane und brachte einem europäischen Publikum indianische Lebenssicht nahe, sie begründete eine österreichische Jugendliteratur, die die Auswirkungen der NS-Zeit literarisch hochwertig reflektiert und nachzeichnet. Ein Nachruf.

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Käthe Recheis schrieb phantastische Romane und brachte einem europäischen Publikum indianische Lebenssicht nahe, sie begründete eine österreichische Jugendliteratur, die die Auswirkungen der NS-Zeit literarisch hochwertig reflektiert und nachzeichnet. Ein Nachruf.

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Am 29. Mai 2015 ist Käthe Recheis in Linz im 88. Lebensjahr verstorben. Die Autorin hat die österreichische Kinder-und Jugendliteratur - und darüber hinaus die des ganzen deutschen Sprachraumes -mit ihrem vielfältigen und umfangreichen Werk über Jahrzehnte mitgeprägt. Sie schrieb für kleine und große Kinder, Jugendliche und natürlich immer auch für die mitlesenden Erwachsenen.

Käthe verfasste Texte für Bilderbücher, die lustig sind und lehrreich zugleich, wo die Hauptpersonen -Menschen oder Tiere - im Verlauf der Handlung, oft mitten im Alltag, einen plötzlichen Erkenntnissprung machen. Sie brachte in zahlreichen Büchern dem europäischen Publikum die indianische Lebenssicht näher - Leben mit der, nicht gegen die Natur, Verbundenheit mit allen Elementen der Schöpfung. Sie begründete mit Büchern wie "Das Schattennetz" oder "Lena -Unser Dorf und der Krieg" eine österreichische Jugendliteratur, die die Geschehnisse während der NS-Zeit und ihre Auswirkungen auf alle Generationen literarisch hochwertig reflektiert und nachzeichnet. Sie schrieb faszinierende phantastische Romane wie "Der Weiße Wolf" oder "Wolfsaga", die auf mehreren Ebenen verstanden werden können und immun machen gegen jede Form von Totalitarismus. Ihre Bücher sind politisch und poetisch, ihre Sprache ist stets anschaulich und bildhaft -ich schreibe hier jetzt ganz bewusst im Präsens, denn Käthes Bücher bleiben uns, auch wenn sie selbst von uns gegangen ist. Lesen wir sie, lesen wir sie erneut!

Tipps -und ein Floh ins Ohr

Es war im Jahr 1977, ich war einundzwanzig, ein junger Student, der sich literarisch versuchte, als ich Käthe Recheis kennenlernte. Durch Zufall hatte sie einige Gedichte von mir in die Hand bekommen. Und dann lud sie, die bereits mehrfach preisgekrönte Autorin, mich zu sich ein, um mit mir über meine Texte zu sprechen, mir Tipps zu geben -und mir den Floh ins Ohr zu setzen, auch selbst einmal für Kinder zu schreiben. So kam ich zur Kinder-und Jugendliteratur, und seit damals ist der Kontakt mit Käthe nie abgerissen und zu einer Freundschaft geworden. Bei der Übersetzung indianischer Aussprüche und Gedichte aus Nordamerika arbeiteten wir über viele Jahre besonders eng zusammen, feilten an Sätzen und Metaphern, schickten uns fast täglich unsere Versionen gegenseitig zu, bevor wir einander dann trafen, die verschiedenen Fassungen laut vorlasen und mischten, bis nicht nur der Inhalt stimmte, sondern auch der Klang.

Käthe Recheis wurde 15 Mal mit dem Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis ausgezeichnet. Sie hat den Österreichischen Würdigungspreis für Kinder-und Jugendliteratur erhalten, die Goldene Ehrenmedaille der Stadt Wien, das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst, den Adalbert-Stifter-Preis ihres Geburtslandes Oberösterreich, sie trug den Ehrentitel Professor -aber professorales Gehabe war ihr völlig fremd. Sie war natürlich, herzlich, interessiert an neuen Stimmen in der Literatur, die sie nicht als Konkurrenten sah, sondern als Garanten für die Fortführung einer von ihr mitgeprägten österreichischen Tradition im Kinder-und Jugendbuch. Mit zahlreichen Kolleginnen und Kollegen verschiedener Generationen, die für Kinder und Jugendliche schreiben und illustrieren, war sie freundschaftlich verbunden. Für uns war sie einfach "die Käthe".

Käthe -mit K wie Kunst, K wie Kommunikation. K wie Kunst: An jedem Satz, jedem Absatz, jeder Seite, jedem Kapitel, jedem Buch hat Käthe gefeilt und getüftelt, zahlreiche Fassungen erstellt, solange, bis sie mit dem sprachlichen Ausdruck, der szenischen Abfolge, dem Spannungsbogen zufrieden war. Käthes Lebensmittel war die Sprache. K wie Kommunikation: Die Kontakte mit Kolleginnen und Kollegen waren ihr immer wichtig. In ihrer Wiener Wohnung hat sie Autorentreffen organisiert, wo die Situation der Kinder-und Jugendliteratur und ihrer Verlage besprochen wurde, wo man gemeinsame Anthologieprojekte entwickelte, Manuskripte austauschte, um sie -in kritischer Solidarität - gegenzulesen, wo man aber auch erhaltene Preise und Auszeichnungen feierte.

Nie zu viele Worte

Man hat mit Käthe gut reden können, aber man konnte auch mit ihr schweigen. Weil sie um die Wichtigkeit der Sprache wusste, hat sie nie zu viele Worte gemacht. In meinem ersten Lyrikband "Die Sprache bewohnen"(Jugend &Volk 1981) habe ich ihr ein Gedicht gewidmet:

Teetrinken (für Käthe Recheis)

Kleine Schlucke aus selbstgeformten Tonschalen Schlucke von Schweigen zusammengehalten von selbstmodelliertem Schweigen nur wenige Worte bemustern es

Am Ende ihres Lebens, bei den letzten Besuchen im Spital, waren ihre Worte wirklich sehr wenige geworden -das Sprechen strengte sie an. Aber ein Blick, ein Lächeln zeigte ihre Verbundenheit mit den Menschen, die sie mochte, bis zuletzt.

In unserem gemeinsamen Buch "Weißt du, daß die Bäume reden"(Herder 1983) haben Käthe und ich unter anderem das Sterbelied eines Wintu-Indianers übersetzt. In diesem Lied finden sich Bilder für den Übergang in die andere Welt: "die Milchstraße entlang werden wir gehen /auf dem Blumenpfad werden wir gehen /wir werden Blumen pflücken auf unserem Weg."

Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen, aber auch im Namen der Leserinnen und Leser nehme ich Abschied von Käthe Recheis. Ihre Bücher bleiben, ihre Grundwerte -Freundschaft, Verantwortung, Solidarität, Phantasie, Sinn für das Schöne in Kunst und Natur -ebenso.

| der autor ist schriftsteller |

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