Auf den Esel gekommen

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Von Noah in den Hintern getreten, von Jesus für den Einzug in Jerusalem erwählt: der Esel.

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Von Noah in den Hintern getreten, von Jesus für den Einzug in Jerusalem erwählt: der Esel.

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Juble laut Tochter Zion! Siehe dein König kommt zu dir." Auf einem Esel reitet König Jesus am Palmsonntag in Jerusalem ein. Das Langohr steht für die Botschaft des Reiters, ist Symbol für die Umkehrung der bisherigen Ordnung: Was klein war, ist jetzt groß; das Verschmähte wird wichtig. Kein Tier eignet sich besser zu diesem Zweck, denn der Esel erscheint in der klassischen Antike als Inbegriff des Widersinns.

"Den Esel nach Athen schicken", bedeutete in der Antike das Gegenteil, als wenn die sprichwörtlichen Eulen diesen Weg einschlagen mußten. Die Verwirklichung des Unmöglichen drückte der "Esel auf dem Dach" aus; wen Verständigungsprobleme plagten, der mußte "dem Esel ein Wort sagen"; und einer, der damals "vom Pferd auf den Esel gekommen war", dürfte heute mit einem Hund sein Auslangen finden.

Der Esel erscheint in der klassischen Antike als Inbegriff des Widersinns. Das griechische Sprichwort benutzt ihn häufiger als das lateinische Pendant. Gründe dafür sind die Nachwirkung der griechischen Komödie und vor allem, daß das Tier ursprünglich nicht in Italien heimisch war.

Wie Knochenfunde bezeugen, zählt der Esel zu den ältesten Haustieren in Ägypten. Sumerische Texte erwähnen häufig Viergespanne von Eseln, und auf einem Siegelzylinder aus Ur ist der Esel als Zugtier abgebildet. Damaskus hieß mit Beinamen "Eselsstadt", weil hier der mit den Langohren betriebene Güterverkehr zusammenlief. Die Grautiere transportierten vor allem Korn und Getreide, durften aber auch bis zur Einführung des Pferdes (nach 2000 v. Chr.) die Sänfte der Vornehmen tragen.

Allein das stattliche Aussehen des hohen Rosses degradierte den niedrigen Esel. In wesentlichen Eigenschaften ist er diesem nämlich um Pferdelängen voraus: er war billiger, daher für Arme erschwinglich, genügsamer, krankheitsresistenter und, in bezug auf seine Körpermasse, als Last- und Zugtier leistungsfähiger. Sein großes Geschick im Klettern empfahl ihn als Reittier. Der Wasserbedarf eines Esels ist im Verhältnis zum Pferd wesentlich geringer, was ihn für den Einsatz im trockenheißen Klima prädestiniert. Daß seine Fettdepots in der Nackenregion sind, die übrigen Körperpartien kaum Fettgewebe aufweisen, begünstigt die schnelle Wärmeabgabe bei hohen Temperaturen. Daher gehört das Langohr neben dem Kamel zu jenen Tieren, die in größter Mittagshitze keinen Schatten aufsuchen.

Die außergewöhnliche Hitzeresistenz des Esels blieb lange unverstanden, wurde als Sturheit oder Ignoranz interpretiert, half mit, seinen Ruf zu desavouieren, aus ihm den exemplarischen Dummkopf zu machen. Der Tierfreund Ovid bedauerte sein erbärmliches Los: Obwohl der Esel hart arbeitet, nennt man ihn störrisch, dumm, lüstern. Er ist das Gegenstück zum schlauen Fuchs, der Tolpatsch in der Fabel. In einer Fabel bespannt man eine Trommel mit seinem Fell; er wird weiter geschlagen und bleibt somit buchstäblich der ewige Prügelknabe.

Selbst das biblische Umfeld bescherte dem Esel kein besseres Los. So weiß die Legende zu erklären, warum der Eselsdreck dreikantig ist: Als alle Tierpaare die rettende Arche bestiegen, trödelte der Esel. Noah verlor schließlich die Geduld und versetzte dem trägen Tier einen Tritt ins Hinterteil; der Beweis dafür wird von den Eseln noch heute erbracht.

Eselsteile werden in der Bibel aber auch als tödliche Waffe benutzt: Auf manchen Bildern ist der Eselskinnbacken das Mordwerkzeug, mit dem Kain seinen Bruder Abel erschlägt. Generationen später richtet Simson mit der gleichen Waffe ein Massaker unter Philistern an: "Mit einem Eselskinnbacken habe ich tausend Männer erschlagen!", brüstete er sich.

Während der Ochse mit einem einmaligen Auftritt zu Beginn der christlichen Heilsgeschichte das Auslangen findet, drängt sich der Esel - genauer gesagt eine Eselin - immer wieder ins Rampenlicht. Zuerst trägt das Tier die verfolgte Heilige Familie und schließlich den umjubelten Messias selbst. Kirchenvater Ambrosius' Kommentar dazu: "Lerne vom Haustier Gottes Christus zu tragen, denn er ist es, der dich zuerst trug. Lerne bereitwillig, ihm den Rücken deines Geistes anzubieten. Lerne unter Christus zu sein, damit du über der Welt stehst ..."

Ob solcher Treue wundert's nicht, daß der Legende nach die Gottesmutter einmal, auf einem Stein rastend, ihre Eselin gesegnet haben soll. Der Stein nahe Betlehem wurde zur Pilgerstätte; die Palmprozession begleiten bis in unsere Tage lebendige oder hölzerne Esel; und der Flucht nach Ägypten gedachte man zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert mit eigenen "Eselsmessen", bei denen die liturgischen Gesänge anstatt dem Amen mit kräftigem I-A beschlossen wurden.

Der Vorwurf, Eselsanbeter zu sein, verfolgte die Christen schon lange. Um das Jahr 200 schreibt Tertullian, es gäbe Kreise in Rom, die glaubten, "ein Eselskopf sei unser Gott". Eine andere Überlieferung spricht davon, den Christen werde vorgeworfen, sie hätten ein "Sakrament des vierfüßigen Esels". Besonderer Erwähnung bedarf das 1856 auf dem Palatin in Rom gefundene "Spottkreuz". Die Wandzeichnung zeigt einen Mann namens Alexamenos bei der Verehrung Gottes; sein Gott aber ist eine gekreuzigte menschliche Gestalt mit Eselskopf.

Stephan Wyss, Philosoph in Luzern, verweigerte sich der gängigen Auslegung, die im "Spottkreuz" eine skurrile Episode der Religionsgeschichte sieht. Er interpretierte den gekreuzigten Esel als die ständige Versuchung für Christen, dem mutwilligen Leib - symbolisiert durch den lüsternen Esel - das Heil abzusprechen, allein den beherrschbaren Geist zu favorisieren und zu erlösen. Wer "den Leib am Kreuz hängen läßt, weil ihm der Geist der Freiheit genügt, der betreibt in Wahrheit Eselskult", ist bei Wyss zu lesen: "Erst nach der Kreuzesabnahme des Esels wird für den ganzen Christus Ostern dämmern". Wer auf den Esel gekommen ist, hat dann sein österliches Ziel erreicht.

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