Auf den Funken Poesie kommt es an

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Die Wiener Albertina widmet Max Ernst, dem frühen Protagonisten des Dadaismus und Pionier des Surrealismus, eine umfassende Retrospektive. Zu bestaunen ist dabei nicht zuletzt sein Erfindungsreichtum hinsichtlich der Entwicklung neuer Techniken.

Nicht nur die Frage nach der Wahrheit bleibt oft unbeantwortet, auch wenn es um die Schönheit geht, verlieren sich die Worte leicht in überschwänglicher Bemühtheit. Ganz anders verhält es sich bei der nur mit einem Schmunzeln als klassisch zu bezeichnenden Formulierung aus Lautréamonts "Gesängen des Maldoror“: "Schön wie das zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch!“ Die Worte des Dichters, 1869 erstmals veröffentlicht, galten unter den Surrealisten als Urworte ihrer eigenen künstlerischen Sichtweise.

Diese Zusammenstellung einer eher ungewöhnlichen Definition konnte man zu seiner Entstehungszeit vielleicht noch als dekadent abtun, spätestens während des Ersten Weltkrieges errangen sie den Status einer neuen Logik. Die gesamte abendländische Kultur, von den christlichen Werten bis zu den denkerischen Leistungen der Aufklärung, wurde hinweggespült von den grauenhaften Geschehnissen dieses Krieges. So sah es zumindest der Soldat Max Ernst, der sich als Überlebender daranmachte, diese neue Logik in einem äußerst breit gefächerten künstlerischen Werk zu entfalten.

Ein Sinn zweiter Ordnung

Der studierte Philosoph Max Ernst (1891-1976) trat zunächst als Dadaist auf, Collage und Materialbild dienten ihm als hervorragende Möglichkeiten, die einer althergebrachten Ästhetik angepassten Bildfindungen über Bord zu werfen. Seine Beschreibung erinnert stark an Lautréamont. "Collage-Technik ist die systematische Ausbeutung des zufälligen oder künstlich provozierten Zusammentreffens von zwei oder mehr wesensfremden Realitäten auf einer augenscheinlich ungeeigneten Ebene - und der Funke Poesie, welcher bei der Annäherung dieser Realitäten überspringt.“ Den entscheidenden Unterschied zu einer x-beliebigen Zusammenstellung führt Max Ernst mit dem "Funken Poesie“ ein. Es reicht nicht, bloße Sinnlosigkeiten zu produzieren, diese müssen sich zu einem Sinn zweiter Ordnung aufschwingen.

Woher aber kommt dieser neue Sinn? Max Ernst und die Surrealisten insgesamt wollten sich die Kräfte des Unbewussten als mächtige Korrektive zu rational vermittelten Erkenntniswegen zunutze machen. Dies ließ sich nicht nur über eine dementsprechende Themenwahl bewerkstelligen, es brauchte auch geeignete Techniken, um vom Verstand ungesteuerte Werke erzeugen zu können. Ernst erweist sich bei der Entwicklung derartiger Methoden des gesteuerten Zufalls als äußerst erfindungsreich.

Die Collage gipfelt bei ihm in Bildromanen, in denen er Illustrationen aus Groschenromanen aus dem 19. Jahrhundert zu überspitzten Weltinterpretationen zusammenfügt. In der Frottage reibt er die strukturierten Oberflächen von Gegenständen grafisch auf den Bildträger ab. Ähnliche Übertragungen gelingen ihm bei der Grattage - hierbei kratzt er die oberste Farbschicht einer Malerei über einem darunterliegenden Gegenstand ab. Bei der Décalcomanie erzeugt er durch das Aufdrücken der Leinwand auf eine mit dünnflüssiger Ölfarbe bestrichene Glasplatte schlierenartige Strukturen. Bei der Oszillation schließlich lässt er aus einer per Seil über die Leinwand geschwungenen durchlöcherten Blechdose Farbe heraustropfen. In der Verwendung bei Max Ernst entgehen alle diese Verfahren der naheliegenden Gefahr banaler Ergebnisse. Denn er beschränkt sich nicht ausschließlich auf die mehr oder minder zufällig entstandenen Bildspuren, sondern er arbeitet daran in herkömmlicher Malweise weiter, um den Funken der Poesie überspringen zu lassen.

Max Ernst - Retrospektive

Albertina

bis 5. Mai, tägl. 10-18, Mi bis 21 Uhr

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