Auf den NS-Trümmern sprießt die Hoffnung

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Rund sieben Jahrzehnte nach den NS-Verbrechen auf ihrem Boden suchen die Bürger der Region Mauthausen eine Identität abseits des Stigmas - und jenseits des Verdrängens.

Mauthausen, 26. April, nachmittags. Im Veranstaltungszentrum "Donausaal“ versucht Alfred Zauner seine Anspannung zu verbergen: "Wir wissen nicht, wie viele Leute kommen werden“, sagt der Organisationsberater, während draußen die Sonne zum Frühlingsausflug lockt. Doch die Sorge verflüchtigt sich: Kurze Zeit später füllen sich die Reihen, kaum ein Platz bleibt leer. Rund 100 Menschen sind gekommen, Junge und Alte, Frauen und Männer, allesamt Bürgerinnen und Bürger von Mauthausen, Langenstein und St. Georgen/Gusen - jenen Orten nahe Linz, auf deren Boden während der Nazizeit unzählige KZ-Häftlinge gequält, versklavt und ermordet wurden.

"Viele Menschen in der Region haben Jahrzehnte mit Verdrängen und in kollektiver Scham verbracht. Sie leiden auch darunter, dass sie von Gästen mitunter als Nachfahren der Täter gesehen werden“, weiß Zauner. Jetzt, 75 Jahre nach dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland, suchen die Bürger dieser Orte eine Identität abseits des Stigmas - und jenseits des Verdrängens. Das Projekt "Bewusstseinsregion“ lädt sie ein, auf den Trümmern der Vergangenheit an einer neuen, menschenrechtlich orientierten Zukunft zu bauen. Beim Treffen im Donausaal werden erstmals konkrete Ideen und Ergebnisse der bereits beteiligten Bürger und Experten präsentiert.

"Denkmalschutz muss lebbar sein“

Am Anfang dieses Prozesses stand ein massiver Konflikt: Als vor einigen Jahren die Langensteiner die letzten Baracken aus der NS-Zeit schleifen wollten, verhängte das Bundesdenkmalamt ein striktes Verbot. Um die Sache nicht weiter eskalieren zu lassen, bat das Denkmalamt Experten, Vertreter von Opferschutzverbänden, Gemeinden, Bund und dem Land OÖ an den Runden Tisch, um Perspektiven für die "NS-Tatorte“ zu diskutieren. Man einigte sich auf einen umfassenden Bürgerbeteiligungsprozess, der Ende 2012 mit einem Auftakt in den Gemeinderäten startete. Mit der Projektleitung wurde der Menschenrechtsberater Alfred Zauner beauftragt. "Denkmalschutz muss lebbar sein“, ist er überzeugt: "Unser Projekt ist dann erfolgreich, wenn ein Mauthausner, der im Ausland auf seinen Wohnort angesprochen wird, künftig sagen kann:, Ja, wir wissen um die schreckliche Vergangenheit. Aber wir haben daraus gelernt und etwas daraus gemacht.‘ “

"Alpbach der Menschenrechte“

Um die lokale Bevölkerung ins Boot zu holen, arbeitete das Projektteam mit "Bürgerräten“ und der vom US-Amerikaner Jim Rough entwickelten "Dynamic facilitation“: In drei generationenübergreifenden und regional gemischten Bürgerräten tauschen 37 per Zufallsgenerator ausgewählte Personen in einem kreativen Prozess je eineinhalb Tage lang ihre Wahrnehmungen, Ängste und Erwartungen an die "Bewusstseinsregion“ aus und entwickelen Lösungsvorschläge.

Martina Handler, die als eine von zwei geschulten Moderatorinnen die Menschen in Mauthausen dabei begleitet, ist begeistert vom Engagement: "Besonders hat mich beeindruckt, wie viele Junge sich gemeldet haben und wie viel sie über die Vergangenheit wissen.“ Außerdem arbeiten vier Expertengruppen aus Wirtschaft, Regionalentwicklung, Kunst und Wissenschaft an einem Ideenmix.

Die Ergebnisse können sich sehen lassen: Von einer "Gedenkrose“, die in den lokalen Gärten erblühen soll, bis zu Kulturevents, Themenfoldern und einem Gedenkgarten reicht die Ideenpalette. St. Georgens Bürgermeister Erich Wahl träumt sogar schon von einem "Alpbach der Menschenrechte“, das mit Lernwerkstätten, Schulprojekten und Symposien eine regionale, positive Identität stärken soll. Damit diese Ideen auch umgesetzt werden können, braucht es nun ein Regionalbüro sowie öffentliche Fördergelder vom Staat und der EU.

Konfliktpotential und ungelöste Fragen gibt es in der Region freilich noch genug: In St.Georgen ist ein großer Streit im Gange, weil nicht alle das am Kirchenplatz geplante Mahnmal begrüßen, in dessen Zentrum eine Skulptur des im KZ Gusen ermordeten Priesters und Pädagogen Dr. Johann Gruber ("Papa Gruber“) stehen soll. Offen ist auch, ob und wie die lokale Bevölkerung künftig in die Mai-Gedenkveranstaltungen im ehemaligen KZ Mauthausen eingebunden wird - bisher hat sich diese nämlich kaum beteiligt. "Ich glaube, der Damm ist jetzt gebrochen“, meint der ehemalige, langjährige Generalsekretär des internationalen Mauthausen Komitees, Albert Langanke, und hofft, dass Bevölkerung und Opferverbände, angetrieben von der jüngeren Generation, nun näher zusammenrücken.

Aufbruchsstimmung im Donausaal

Die angeregte Diskussion im Donausaal ("Unsere Orte sind viel mehr als ihre belastete Vergangenheit“) und die engagierten Statements der Mitglieder der Bürgerräte ("Wir können etwas bewirken“) zeigen: Die Zahl derer, die die Vergangenheit lieber begraben wollen, schrumpft. Das Schweigen ist einer konstruktiven Auseinandersetzung mit den Nazi-Verbrechen gewichen. Ein wichtiges Zeichen, auch angesichts der zunehmenden rechtsextremen Übergriffe in Oberösterreich.

Peter Menasse, als Kommunikationsberater für die "Bewusstseinsregion“ tätig, betont: "Es ist wichtig zu wissen, wie es geendet hat und der Opfer zu gedenken. Aber es ist auch wichtig, herauszufinden, wie es begonnen hat und was es braucht, damit Menschen in Sachen Menschenrechte nicht umfallen wie die Dominosteine. Das sehe ich als eine große Chance.“

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