Auf der Suche nach einem eigenen Leben

Werbung
Werbung
Werbung

V or fünf Jahren, am 23. August 2006 hastet eine junge Frau durch die Wohngärten von Strasshof bei Wien und fleht um Hilfe. Sie ist in einem unbeobachteten Moment aus den Fängen jenes Mannes geflüchtet, der die heute 23-Jährige achteinhalb Jahre lang in einem Fünf-Quadratmeter-Verlies in seinem Keller festhielt. Dreitausendsechsundneunzig Tage und Nächte. Mit ihrer Flucht und dem Selbstmord ihres Entführers endete einer der spektakulärsten Kriminalfälle in Österreich.

Nach ihrer Flucht hat sie ein Buch über ihr Schicksal geschrieben und eine Ausbildung zur Goldschmiedin begonnen. Mit Regisseurin Sherry Hormann arbeitet sie gegenwärtig an einer Verfilmung ihres Schicksals, denn das Interesse an ihr und ihrer Geschichte ist ungebrochen.

Der Kriminalfall begann auf dem Weg zur Schule in ihrem Heimatbezirk Wien-Donaustadt, als Natascha Kampusch am 2. Mai 1998 spurlos verschwand. Großangelegte Suchaktionen blieben erfolglos. Nach Zeugenaussagen wurden am 6. April 1998 neben 699 Fahrzeugen auch Wolfgang Priklopil und sein weißer Kleinbus überprüft. Der Nachrichtentechniker hatte kein Alibi und gab an, den Wagen für Bauarbeiten zu nutzen. Weitere Nachforschungen wurden in diese Richtung nicht unternommen und Natascha Kampusch blieb verschwunden, bis zu jenem Tag, an dem ihr in einen unbeobachteten Augenblick die Flucht gelang: Priklopil musste sich für ein Telefonat vom Garten entfernen. Die abgemagerte Kampusch, die währenddessen den Wagen säuberte, ergriff die Chance und rettete sich zu einer Nachbarin und rief von dort aus die Polizei - ihr 44-jähriger Entführer nahm sich Stunden danach das Leben.

Das zwiespältige Bild in der Öffentlichkeit

Der Medienhype um ihr Schicksal überrollte nach ihrer Flucht die junge Frau. 2008 hatte sie sogar eine eigene Talkshow auf dem Privatsender Puls 4, in der sie Prominente interviewte. Mit der Öffentlichkeit haderte sie allerdings: Während sie und ihre Berater betonen, dass sie nicht in die Medien dränge wurde ihr Privatleben und das ihrer Eltern immer wieder breit im Boulevard diskutiert. Journalisten verfolgten sie beim Eisessen, beim Baden, in der Disco, bei der Mutter - und konstruierten Geschichten dazu. Als eine österreichische Gratiszeitung unzulässig Fotos eines Discobesuches publizierte, klagte Kampusch auf Schadenersatz und bekam Recht. Mittlerweile hat sie sich komplett von der Öffentlichkeit abgeschirmt, und gibt selbst zum fünften Jahrestages ihrer Flucht keine Interviews.

Auch der "Kriminalfall Kampusch“ sorgt bis heute für Spekulationen. Man konnte nicht klären, ob es Komplizen gab, zudem läuft aktuell ein Verfahren gegen fünf Staatsanwälte wegen Verdachtes auf Amtsmissbrauchs. Der Akt liegt derzeit zur Beurteilung bei der Staatsanwaltschaft Innsbruck auf. Anfang September sollen weitere Entscheidungen getroffen werden.

Natascha Kampuschs Autobiografie "3096 Tage“ ist voriges Jahr erschienen und wurde mittlerweile in mehr als 30 Sprachen übersetzt. Im Juni wurde sie dafür mit dem österreichischen Buchliebling-Preis 2011 ausgezeichnet. Das Haus ihres Peinigers Priklopil in Strasshof hat sie vor drei Jahren als Schadenswiedergutmachung erhalten. Pläne für das Gebäude hat sie keine, das Einzige was sie nun will, ist in Ruhe gelassen werden, um endlich ein eigenes Leben zu beginnen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung