Auf gewundenen Wegen zum Ziel

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Das menschliche Gehirn ist ständig - selbst im Schlaf - aktiv und verarbeitet somit fortwährend Informationen. Zumindest im weitesten Sinne gilt: Man kann nicht nicht denken. "Natürlich", würde man sofort sagen. "Ist doch klar!" Menschen erleben Denken als etwas Selbstverständliches. Trotzdem ist es den meisten von uns nicht bewusst, was dabei passiert: Das sich strukturierende Gehirn schafft immer neue Verbindungen.

Eine Wiener Forschergruppe beschäftigt sich bereits seit über 25 Jahren mit messbaren Aktivitäten bei Denkprozessen im Gehirn. Die Methode ist das EEG (Elektroenzephalogramm), das die funktionelle Vernetzung von Nervenzellen erforscht bzw. die gleichzeitige Aktivität von Gruppen von Nervenzellen. Dabei wird die Beobachtung, welche Areale in welcher Intensität (Amplitude) und welchem individuellen neuronalen Rhythmus (Frequenzband) gleichzeitig aktiv sind, in einem statistischen Wert des Zusammenhanges, der Kohärenz, ausgedrückt. Die komplizierte mathematische Verrechnung führt zu einer Fülle von Daten, die in Form von farbigen Bildern dargestellt werden - so genannten brain maps (siehe Foto).

Wie wichtig diese Methode ist wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, was den Menschen eigentlich ausmacht: die Denkvorgänge. Im Vergleich zu so basalen Funktionen wie Hören, Sehen oder Riechen kann Problemlösen als so genannter "komplexer" Denkvorgang bezeichnet werden. Es zählt zu den höchsten Stufen geistiger Tätigkeit. Diese bilden sich in der oberen Rindenschicht des Hirns (Kortex) ab. Ein Problem im Sinne einer Denkaufgabe liegt vor, wenn der gewünschte Zielzustand, nämlich die Lösung, mit dem verfügbaren Wissen nicht unmittelbar erreicht werden kann. Es muss also aktiv Information aufgenommen und verarbeitet werden. Dabei interessiert vor allem das "Wie".

Ein zur Zeit laufender Versuch im Wiener Institut für Hirnforschung hat diese komplexen Denkvorgänge zum Gegenstand. Konkret handelt es sich um einen psychologischen Testentwurf (TEKODE) mit Handlungsaufforderung. In Form eines Brettspiels, ähnlich dem Schach, sollen beim Versuchsteilnehmer aktive und kreative Lösungen geweckt werden. Dabei interessiert die Fähigkeit des Einzelnen, eine aus mehreren Komponenten zusammengesetzte Denkaufgabe durch Vorstellung und anschließend aktives Bauen auf dem Brett zu lösen. In diesem Fall sind es die Fähigkeiten (Modalitäten) der Raumvorstellung, Sprache und des logisch-formalen Schlussfolgerns, die in der Problemstellung vermengt sind.

Besonderes Interesse wird in der Studie dieser Nutzung geistiger Fähigkeiten bei komplexen Denkanforderungen entgegengebracht: Wo liegen Zentren der Aktivierung? Können individuenspezifische Unterschiede der Aktivierung im Kortex, etwa bei gleichem Erfolg, beobachtet werden? Die komplexen Verschaltungen zwischen Arealen, die für bestimmte Fähigkeiten wie eben Raumvorstellung, Sprache oder logisch-formales Schlussfolgern zuständig sind, könnten bei Menschen durchaus verschieden sein. Individuelle Muster der Vernetzung wären möglich, obwohl es sich um den Lösungsprozess derselben Aufgabe handelt. Das würde ein Hinweise auf individuelle Schwerpunkte im Denken sowie in der Herangehensweisen an ein Problem liefern. Ob sich allerdings die Vermutung bestätigt, unterschiedliche Strategien könnten zum gleichen - richtigen oder falschen - Endergebnis führen, wird sich erst in den nächsten Monaten weisen.

Dies führt im Grunde direkt zur Debatte um den "freien Willen": Sind wir frei zu denken oder folgen wir nur unserem eigenen "Muster"? Jedenfalls ist unser Denken, unsere Herangehensweise an Probleme immer an das individuelle Gehirn gebunden, das wir "mit uns tragen". Wie "frei" unser Denken letztlich abläuft, hängt davon ab, wie wir es definieren, und ob wir entscheidende Fragen stellen: Frei wovon? und Frei wozu? Wenn wir das begreifen, sind wir jedenfalls frei zu einem dynamischen Gedanken-Austausch mit der Welt.

Die Autorin

ist Dissertantin in der Arbeitsgruppe "Integrative Neurophysiologie" am Institut für Hirnforschung der Uni Wien.

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