Auf Slapstick-Sex folgt Absturz

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Über Andreas Kriegenburgs "Lulu"-Inszenierung kann sich Claus Peymann im fernen Berlin ins Fäustchen lachen.

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Über Andreas Kriegenburgs "Lulu"-Inszenierung kann sich Claus Peymann im fernen Berlin ins Fäustchen lachen.

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Frank Wedekind würde sich im Grab herumdrehen, könnte er sehen, wie seine berühmt-berüchtigte "Lulu" im Burgtheater beginnt. Aber nicht aus Empörung, sondern vor Lachen. Es würde ihm dann allerdings nach kurzer Zeit gründlich vergehen. So, wie es auch dem Publikum des fin de siecle vergeht - nicht dem des damaligen, sondern des jetzigen. Anders als je zuvor beginnt die "Lulu": Sex schockiert niemanden mehr, was also anfangen mit dem ausufernden Text, den Wedekind selbst "Eine Monstretragödie" nannte? Eineinhalb Stunden lang inszeniert Andreas Kriegenburg, der neue Hausregisseur des Burgtheaters, Sexspiele als ebenso witziges wie artistisches Slapstick-Spektakel. Wenn dabei auch ein bißchen viel Milch in Lulus Gesicht geprustet und in die Hose geschüttet wird. Und manches schon recht dümmlich wirkt. Dann aber geht dem Regisseur die Luft aus und der Ballon fällt in sich zusammen, wird kleiner und kleiner und endet schließlich als verschrumpeltes Häufchen Regietheaterelend.

Der Sex-Slapstick wäre natürlich nicht durchzuhalten. Wer die "Lulu" kennt, weiß das und fragt sich, welche Kurve der Regisseur kratzen wird. Den ersten Ehemann hat Bernd Birkhahn, der sicher nichts dafür kann, verblödelt, aber aus den weiteren könnten ja noch Menschen werden oder wenigstens Theaterfiguren. Wann wird endlich die Tragik der Lulu erkennbar, fragt man sich. Sie wird nie, und die Männer bleiben Kleiderstöcke zum Aufhängen abgestandener Regieeinfälle, die immer schwächer und ärgerlicher werden.

Daß Jack der Ripper, der am Ende die Lulu mit dem Messer zerlegt, von einer Frau gespielt wird, ist wohl einer der seltsamsten. Lulu ist ein Opfer der Männer, auch wenn diese Regie sie streckenweise als Witzfiguren erscheinen läßt. Sie kommt aus der Gosse, steigt gesellschaftlich auf, stürzt ab, Jack the Ripper ist die Endstation. Der Mörder als ihr letzter Mann. Daß er von einer Frau gespielt ist, zeigt: Diese Inszenierung ist nicht oder nur halb oder auf eine sehr verquere Weise durchdacht. Wohl als Ausgleich läßt Kriegenburg Judith Hofmann die lesbische Gräfin Geschwitz atypisch spielen, nämlich so, daß man sie beim besten Willen nicht auf der zweiten Silbe betonen kann.

Natali Seelig ist ungemein beweglich, ungemein artistisch, und möglicherweise könnte sie sogar die Lulu spielen. Markus Hering: Ein verklemmter Maler, was die Regie von ihm fordert, macht er gut. Bernd Birkhahn, Ignaz Kircher, alle, alle: Sie haben sich eben dem Willen des Regisseurs gebeugt, sie tun alle nur ihre Pflicht.

Wie ist so ein Debakel möglich? Kriegenburgs Einstands-Inszenierung ist tiefste Provinz. Sie ist hinterwäldlerisches deutsches Stadttheater. Der Geist, der aus ihr weht, ist der Geist der provinziellen deutschen Lustigkeit. Sie schmeißt sich einem fiktiven Publikum an, von dem sie meint, man könne es gewinnen, wenn man nur alles verblödelt, wenn genug oft an Hosenschlitze gefaßt wird und wenn gelegentlich einer mit dem Präservativ wachelt. Daß eine solche Regie dann überall dort auf den Bauch fällt, wo sie Ernsthaftigkeit und Traurigkeit erzeugen möchte, ist klar. Halt ein Mißverständnis, das Ganze. Vielleicht lernt Kriegenburg noch, daß Wien und Burgtheater nicht die letzten Ausläufer der letzten deutschen Stadttheaterstadt sind.

Vielleicht wollte er halt unbedingt die "Lulu" inszenieren. Hat sich eben einfach übernommen. Man könnte an der Urfassung des Stücks - diese wurde gespielt - verzweifeln, hätte man nicht vor zehn Jahren die Inszenierung von Peter Zadek mit Susanne Lothar als Lulu gesehen. Da zeigten sich die grandiosen Möglichkeiten dieses Textes, dieser Figur.

Die Direktion des Burgtheaters wird gut daran tun, sich sehr genau anzuschauen, welche Werke sie ihren neuen Hausregisseur inszenieren läßt. Sonst könnte sich nämlich eines Tages im fernen, aber halt doch nicht gar so fernen Berlin Klaus Peymann am Ende noch so laut ins Fäustchen lachen, daß man ihn bis Wien wiehern hört.

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