Auf was Verlass ist

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Von Wahl- und Politikergebnissen.

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Wer, wenn nicht er" war das unausgesprochene Motto des Wahlkampfs von Herbert Sausgruber. So durfte es jenseits des Arlbergs freilich nicht heißen, denn er durfte sich dort in den letzten Wochen und Monaten nicht blicken lassen. Dem höheren Ziel des Landesparteiwohls musste sich auch das diesjährige Philosophicum Lech unterordnen: Bundeskanzler Wolfgang Schüssel sagte seine Teilnahme an der Eröffnungsdiskussion zum Thema "Wahrheit und Lüge" ab. (Dort hätte er unter anderen auch auf Siemens-Chef Albert Hochleitner treffen sollen, was - zumal bei diesem Thema - vor dem Hintergrund des geplatzten VA-Tech-Deals nicht unpikant gewesen wäre, aber das ist eine andere Geschichte...)

Statt "Wer, wenn nicht er" lautete die Botschaft in Vorarlberg also "Auf ihn ist Verlass". Sie ist, wie wir seit letztem Sonntag wissen, bestens angekommen. Das hat wohl zunächst mit ihrer Stimmigkeit in sich zu tun: Sausgruber strahlt, wer wollte das bestreiten, Verlässlichkeit, Integrität, Seriosität aus - da wurde, im Unterschied etwa zu Salzburg, erfolgreich eine "Marke" kreiert. Dazu kommen eine Landes-SP, die sich erst mühsam wieder aus dem Koma zu erholen anfängt, und der eisige Wind, der die Gesamt-FP schon seit geraumer Zeit umweht und vor dem offenbar auch der Arlberg keinerlei Schutz zu bieten vermag. Und - siehe oben - "natürlich eine gewisse Distanz zu Wien und Brüssel", wie der Landeshauptmann nach seinem Triumph gegenüber den Vorarlberger Nachrichten freimütig einräumte.

Nicht zu gering veranschlagen sollte man freilich auch die entsprechende Medienlandschaft: Wo ein Haus ein Quasi-Monopol hat, dort lässt sich im Zusammenspiel von Politik und Medien ein - von der Größe her überschaubares - Land als eine Art permanenter Bürgerplattform inszenieren. Das muss per se nichts Schlechtes sein, aber es fördert jedenfalls den inneren Zusammenhalt, was wiederum stets den Regierenden zugute kommt.

Einigermaßen komplexer sind die Verhältnisse in Sachsen und Brandenburg, wo ebenfalls letzten Sonntag gewählt wurde. Dort wurden die extremen Ränder zu Lasten von SPD und CDU gestärkt: Die PDS, die es nie geschafft hat, eine glaubwürdige Trennlinie zu ihrer Vorgängerin, der kommunistischen Einheitspartei SED, zu ziehen; die ungeniert die Ressentiments der Wende-Verlierer im Osten bedient; die viel zu jenem Klima beigetragen hat, in dem DDR- und Mauer-Nostalgie in beiden Teilen Deutschlands um sich greifen. Und - schlimmer noch - die rechtsextremen Parteien DVU (Brandenburg) und NPD (Sachsen), deren Wahlkampagnen einen schaudern ließen; die ebensowenig eine Trennlinie zu ihren politischen Ahnen gezogen haben, aus deren Vernichtungsfeldzug als eine der Folgen erst die Teilung Deutschlands und Europas entstand; die jene ansprechen, "die noch Deutsche sein wollen" und alles Nicht-Deutsche für den Niedergang verantwortlich machen; die von "Mitteldeutschland" sprechen, wenn sie Ostdeutschland meinen, weil ja auch Teile Polens...

Auf solche Gruppierungen verlässt sich eine nicht unerhebliche Zahl an Wählerinnen und Wählern, wenn diese meinen, auf sonst nichts mehr sei Verlass. Wenn sie die "blühenden Landschaften" nicht zu sehen vermögen, wenn sie ständig von Einschnitten ins Sozialsystem hören, wenn sie den Eindruck haben, die anderen - diesfalls CDU und FDP - würden genauso, wenn nicht schärfer agieren. Sind diese Menschen ungerecht, dumm, verblendet? Ist denn nicht einiges im Osten tatsächlich "aufgeblüht" - dank gigantischer Transfers aus dem Westen? Oder sind Reformen im Sozialbereich nicht notwendig, was ein Blick auf andere europäische Länder zumindest nahelegen könnte? Mag sein - aber es nützt nichts, wenn es die Leute nicht verstehen: weil man ihnen zuviel versprochen hat, weil man unangenehme Wahrheiten zu lange zurückgehalten hat, weil man Zusammenhänge nicht ausreichend erklärt (lauter fast systemimmanente Todsünden der Politik).

Das Entsetzen nach Wahlergebnissen wie denen von Sachsen oder Brandenburg ist stets groß. Aber letztlich spiegeln sie nur das herrschende Politikverständnis wider.

rudolf.mitloehner@furche.at

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