Auf Wiederverfinstern in Madagaskar!

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Die Sonnenfinsternis ist out. Nichts verfällt so schnell der Schwindsucht wie ein Jahrhundertereignis.

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Die Sonnenfinsternis ist out. Nichts verfällt so schnell der Schwindsucht wie ein Jahrhundertereignis.

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Sonne und Mond hatten schlechte Spin Doctors. Ihre Berater müssen geschlafen haben. Der Mond verdeckte die Sonne genauso, wie es die Medien angekündigt hatten. Sogar der Name des Mondkraters, zwischen dessen Zacken der letzte Sonnenstrahl durchschoß, war längst bekannt. Hätte der Mond nicht wenigstens ein bißchen taumeln können?

Nun lesen wir freilich schon bei Adalbert Stifter in dessen Schilderung der totalen Sonnenfinsternis vom 8. Juli 1842, daß Sonnenfinsternisse Ereignisse sind, über die man alles schon im voraus weiß, sodaß man jede Phase abhaken kann, was zwar auch beim Hickhack der politischen Parteien der Fall ist, die aber eben doch den Medien zuliebe ihre Darbietungen etwas variieren. Der wesentliche Unterschied aber besteht darin, daß die Sonnenfinsternis so abläuft wie vorhergesagt, dann aber doch ganz anders ist, nämlich beeindruckender, aufwühlender, als wir sie uns vorgestellt haben. Freilich wurde noch keine Sonnenfinsternis von den Medien so totgeredet wie die jüngste. Sie wetteiferten darin, den Überraschungseffekt der Totalität nebst allem, was man dabei empfindet, so umfassend vorwegzunehmen, daß sich im Moment der Momente ein Hauch jenes Gefühls einschlich, das uns alljährlich beim Anzünden der Christbaumkerzen befällt, wenn wir nach wochenlanger Behelligung mit den Weihnachtsdekorationen der Kaufhäuser keinen Christbaum mehr sehen können.

Dabei hatte ich noch das Glück, von der Firma Zeiss schon um halb sieben Uhr früh zum Treffpunkt vor dem Planetarium im Prater vergattert worden zu sein: Weil wir so früh dran waren, war auch noch eine Meditationspause drin, die sich trefflich dafür eignete, das Hirn von allen Magazinvorschauen zu entleeren und gründlich durchzuspülen. Unser versierter Betreuer Professor Hermann Mucke wußte, daß alle alles schon wußten, beantwortete aber geduldig selbst die dümmsten Fragen, auch meine, über die ich aber hier diskret hinweggehe.

A propos Adalbert Stifter: Noch vor einem Jahr war es das Privileg weniger Literaturkenner, dessen Sonnenfinsternis-Text zu kennen, aber in den Tagen vor dem Ereignis kam man mit seinem Bildungsvorsprung schlecht an: "Ich lese auch Zeitung" war noch die wohlwollendste Reaktion auf ein dezentes humanistisches Namedropping. Und daß die besondere Sonnennähe einiger Fixsterne bei einer totalen Finsternis nach dem Ersten Weltkrieg die Verifizierung von Einsteins Behauptung ermöglichte, das Licht habe ein Gewicht, wußte Tage vor der Sonnenfinsternis im Cafe Tirolerhof auch schon der Herr am Nebentisch. Das haben wir von der Informationsgesellschaft.

Einen selbst nach dem Ereignis noch aktuellen Gag ließen sich Sonne und Mond immerhin einfallen: Das Foucaultsche Pendel ging während der Finsternis vor. Bis zur nächsten totalen Sonnenfinsternis (etwa alle eineinhalb Jahre gibt's eine irgendwo - Trendsetter buchen bereits für Madagaskar) können die Physiker darüber nachdenken, wieso. Bisher wissen sie es nämlich nicht. Unsere Massenmedien hingegen können jetzt ein paar Jahrzehnte darüber nachdenken, ob es nicht ein schöner Dienst am Leser wäre, vor der nächsten hierzulande sichtbaren Totalen am 3. September 2081 weniger zu schreiben, und dafür nachher, wenn es niemand mehr liest, womit die demokratische Gleichstellung der Sonnenfinsternis mit der Mehrzahl der sonst die Gazetten füllenden Wichtigkeiten erreicht wäre.

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