Auf zum Schwur, Tirolerland ...
Zwei ganz Große, zwei Generationen, zwei Schicksale: Albin Egger-Lienz und Max Weiler, die zwei Tiroler Bahnbrecher der Moderne.
Zwei ganz Große, zwei Generationen, zwei Schicksale: Albin Egger-Lienz und Max Weiler, die zwei Tiroler Bahnbrecher der Moderne.
Der eine entfachte mit seinem "Auferstandenen" in der Kriegergedächtniskapelle in Lienz den größten Kunstskandal der Zwischenkriegszeit um 1925: Albin Egger-Lienz (1868 bis 1926). Der andere muss bald nach seinem Kriegseinsatz im Zweiten Weltkrieg die heftigsten Proteststürme um seine Hungerburgfresken in Innsbruck durchkämpfen: Max Weiler, geboren 1910 in Absam bei Hall in Tirol.
Aber: tempora mutantur. Denn heute gelten beide Maler als Bahnbrecher zeitgenössischen österreichischen Kunstschaffens. Diesen beiden heute international anerkannten Künstlern sind zur Zeit Ausstellungen von höchstem Anspruch gewidmet: Dem Osttiroler Albin Egger-Lienz erweist seine Heimat auf Schloss Bruck, Lienz, in 24 Ausstellungsräumen mit rund 130 Werken, berühmten Bildern wie "Feldsegen", "Der Sämann", "Haspinger Anno Neun", "Die Alten", "Kriegsfrauen", "Weihbrunnsprengender Bauer" oder "Auferstehung", mit Grafiken, Briefen, verschiedenen Objekten aus den Beständen des Museums Schloss Bruck, des Landes Tirol und des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum zum 75. Todesjahr eine umfangreiche Referenz (bis 4. November). Und der im Jänner dieses Jahres verstorbene Doyen der österreichischen Moderne, Max Weiler, wird in der Tiroler Landesgalerie im Taxispalais, Innsbruck, durch seine hinreißenden Vorstudien, Skizzen und Entwürfe zu den Wandbildern in der Theresienkirche sowie durch Einblick in deren künstlerischen Entstehungsprozess und in den leider unvollendet gebliebenen Gesamtplan des Zyklus in beispielhafter Weise gewürdigt (bis 22. Juli). Hat der doch gerade mit diesem Sakralkunstwerk - das auch per Shuttle-Bus auf der Hungerburg live zu genießen ist - nicht nur in Tirol, sondern auch in Österreich als einer der ersten Maler den Grundstein zur zeitgenössischen Moderne gelegt!
Egger-Lienz und Weiler! Zwei ganz Große, zwei Generationen, zwei Schicksale - ein einziges Ziel: Ingenuin Albuin, unehelicher Sohn einer Magd und des bescheidenen Kirchenmalers und Fotografen Georg Egger aus Lienz, vom Vater in dessen Familie aufgenommen: "Mein Eifer, als Maler etwas rechtes zu werden, kannte keine Grenzen. ... Einer der denkwürdigsten Tage aber war, als mein trefflicher Vater mir mitteilte, ich könnte in den nächsten Tagen meine so heiß ersehnte Kunstakademie in München besuchen." Mit seiner kurzen, dicken Lodenjoppe und seinem altmodischen Regenschirm, den er als Malstock benützte, war Albin Egger beim Eintritt in die Akademie ein unverkennbarer Gebirgssohn. Alter: 16 und dreiviertel Jahre.
Ganz anders Max Weiler, Sohn des Dr. Max Weiler, k.k. Richter in Solbad Hall/Tirol, Gymnasialmatura. Sein Streben aber war dasselbe: "Ich bin auf etwas aus, das werde ich erreichen, über alle Umwege, dem bellenden, bissigen Hund zum Trotz." Ein eigensinniges Stoßgebet mag diesen eisernen Vorsatz begleitet haben.
Egger-Lienz erinnert sich: "Als ich das erste Jahr in der Akademie meine erste Arbeit begann, machte ich in meinem Ernst das Kreuzzeichen auf Stirne, Mund und Brust."
Ernsthaftes ringen, unermüdlicher Fleiß, Vertrauen in ihr Können, in ihre Berufung, Kämpfe; Niederlagen und immer wieder Aufstehen, Verwirklichung der Ahnungen, Vorstellungen, Träume. Bis zum Ende des Lebens.
Egger-Lienz: "Wenn die Welt untergeht und manche alte Werte und Begriffe sich verwischen, so steht mein Werk außerhalb des Rummels, wie ein Stein für sich."
Weiler: "Ich bin aufgebaut bis zum letzten Tag. Ich bin ein Formalist, alles ist präzise Form, alles ist gemacht."
Und auch Egger-Lienz hat, kurz vor seinem Tod mit erst 58 Jahren nach seinem letzten Werk, der "Pieta" gewusst und gesagt: "I bin fertig." Er hatte seinen Auftrag vollendet.
Mögen auch die äußerlichen Lebenswege der beiden großen Österreicher und ihre subjektive Bildsprache in unterschiedlichen Richtungen verlaufen sein, hat Max Weiler auch die Professur an der Wiener Akademie ausgeübt, und Egger-Lienz sie nach bitteren Enttäuschungen schließlich abgelehnt, so sind doch vor allem Charakterfestigkeit und unendliche schöpferische Kraft, die aus dem Rhythmus der Natur und nur aus ihm quillt, die unverrückbaren Grundpfeiler, die beide Künstler miteinander verbinden und sie in ihren einsamen Positionen zu Monolithen ihrer Zeit machen.
Liebe zur Heimat "Egger-Lienz, ein erratischer Block, der sich zwar sichtlich aus allen zeitgenössischen Wegen und Irrwegen heraushob, dafür aber auch leicht missverstanden oder als quasi atavistisches Element verdrängt werden konnte" (Kristian Sotriffer) "Die innige Verbindung von Natur und Spiritualität, das ist das eigentliche Gefilde seiner künstlerischen Abenteuer - sie schildern nicht Dinge in ihrer kritikwürdigen Durchschnittlichkeit, sondern das, was sie mit der Ordnung des Werdens verbindet. In der künstlerischen Kraft JA zu sagen, darin liegt Weilers größte Stärke" (Gottfried Boehm). Und das in einer Zeit, die nur zu gerne negative Weltsicht, Gewalt und Schrecken zum Mittelpunkt kreativer Debatten erhebt!
Egger-Lienz wie auch Max Weiler entwickelten aus der Liebe zu ihrer Tiroler Heimat, ganz aus der Natur heraus ihre unverwechselbare Kunst. "Die schöpferische Kraft ist nichts anderes, als ein Gewahrwerden der Dinge. Sie müssen erst von uns gestaltet werden, und wenn dies kraftvoll geschieht, wird das Naturbild nicht verändert, sondern beseelt, verdichtet, bedeutungsvoll", beschreibt Egger-Lienz sein Werk und entspricht damit ganz der "inneren Figur" von Weilers Landschaftsempfindung. Denn dieser malt nicht, was er vor Augen hat, sondern dringt gleichsam in den Schöpfungsakt der Natur ein: "Still, nicht laut, eindringlich, nicht mächtig."
Und das trifft auch auf das Menschenbild der beiden Tiroler Künstler zu. "Ich male keine Bauern, sondern Formen", betont Egger-Lienz. Im nahen Sarnthein bei Bozen, im Iseltal oder im Ötztal findet er die Modelle, denen er - in Loslösung von der Genremalerei Defreggers und in fortschreitend monochromer Farbigkeit - keine äußere Dramatik auferlegt. Schrecken und Kampf werden nach innen verlagert, gegenwärtig nur in Gesicht, Haltung, in Statik und klarer Gliederung der Massen. "Der Sensenmann (aus dem Gemälde "Das Kreuz"), welchen ich noch einmal hier, der Bewegung halber, groß mit Tempera malte, macht sich mit dem Iseltaler Kopf ausgezeichnet (sehr schauerlich)", notiert er.
Obwohl man Albin Eggers Kunst in Italien und Deutschland wesentlich größeres Verständnis entgegenbrachte als in Österreich, steht er 1925 nach dem außergewöhnlichen Erfolg seiner großen Retrospektive im Wiener Künstlerhaus am Höhepunkt seines Schaffens, wenn sich auch sein Leben dem Ende zuneigt.
Volkszorn Die Wandbilder in der Kriegergedächtniskapelle in Lienz aus dieser Zeit, die er - ohne Entgelt - den "gefallenen Brüdern der Heimat" widmet, entwirft er in einem thematisch-geschlossenen Bogen. Saat des Bösen - Krieg - Tod - Erlösung - Auferstehung. Die Kapelle selbst ist ein Werk des großen Tiroler Architekten Clemens Holzmeister. Doch Eggers Fresken, vor allem die "Auferstehung Christi" sind sehr bald heißen Debatten ausgesetzt.
Sogar Holzmeisters Bau entkommt dem Volkszorn nicht und wird als "Waschkuchl" abgetan. Die Wogen der allgemeinen Empörung steigen hoch und höher. Der "Auferstandene" wird zum "Schwindsüchtigen" degradiert und auch zum "Indianer, dem nur der Nasenring fehlt". Der Virgener Pfarrer klagt von der Kanzel herab, dass solcherart wohl nur "ein Hektiker aus dem Bade stiege". Das Fresko "Totenopfer" wird einer örtlichen Sarghandlung gleichgestellt und die "Namenlosen" einer "Herde von Schweinen" (Wilfried Kirschl).
Da sich der Geschmähte und tief Verletzte keineswegs auf die erwünschte Abnahme des "Auferstandenen" einlassen will, folgt dem Skandal ein Messeverbot in der Kapelle durch das heilige Offizium, das erst 1983 erlöschen wird.
Nicht viel besser ergeht es Max Weiler mit seinen Hungerburgfresken. Für ihn steht der Kunstskandal am Beginn seiner Laufbahn. Egger-Lienz muss ihn kurz vor seinem Tod erleiden. Beide hat es sicher gleich hart getroffen.
55 Jahre ist es her, dass Weiler die mystischen, biblischen Szenen in die Tiroler Gegenwart versetzt: "Auf zum Schwur, Tirolerland, heb zum Himmel Herz und Hand ..." Für Max Weiler soll das Bundeslied der Tiroler nicht nur ein ihm aufgetragendes Thema illustrieren. Er will mehr. "Die Verehrung des Herzens Jesu", "Die Johannesminne", "Die Ölbergszene" und der "Lanzenstich" sollen Weilers persönliche Botschaft vermitteln. In der Strahlkraft seiner unverwechselbaren Farbigkeit fasst er die Details der Wandbilder in emotionaler Geste und harmonischer Verbindung von Naturerlebnis und Spiritualität zusammen, versetzt sie ins Tirolerische und erweitert das Programm ins Kosmische. "Die ganze Schöpfung war aufgerufen, dem Herzen Jesu zu huldigen - Erst diese kosmische Dimension lässt uns die Weltgeschichte wahrhaft als Heilsgeschehen begreifen" (Wieland Schmied).
Im Hier und Jetzt Aber nur wenige Tiroler wollen begreifen. Was zu viel ist, ist ihnen viel zu viel. Wiltener Chorherren treten als Engel auf, das Ölberggeschehen findet in Hall in Tirol statt, Tirols Schützen und Bauern exekutieren die Kreuzigung, ein Bauernknecht versetzt Christus den Lanzenstich. Das war zuviel des Bösen! Vertreter des Bauernstandes treten beim Bischof auf und fordern energisch, den Maler zu veranlassen, diesen Lanzenstich schleunigst zu entfernen. Weitere Diskussionsthemen wie ein "blaues Pferd", ein "violettes Herz", noch dazu getrennt vom Körper Jesu schwebend, peinliche Ähnlichkeiten mit bekannten Tiroler Persönlichkeiten entfachen das Feuer des Volkszorns zum Flächenbrand, der sich bis Rom ausbreitet. Obwohl ein Kreis von Klerikern und Laien an der Seite Weilers stehen, sieht sich der Künstler veranlasst, den unvollendeten Zyklus mit Tüchern zu verhängen, um dem drohenden Interdikt zuvorzukommen. Erst acht Jahre später - mit Einverständnis der kirchlichen Behörden in Innsbruck, aber ohne Dispens der vatikanischen Stellen - wurden die langen Vorhänge wegen starker Verschmutzung entfernt und die Fresken - heute formal und inhaltlich als hervorragende Beispiele zeitgenössischer Pionierkunst hochgelobt - endlich wieder enthüllt.
"Eine solche Darstellung der Passion Christi durch die Künstler diente seit je dem gleichen Ziel wie die Feier der heiligen Messe", bemerkt Wieland Schmied im Weiteren zur Eröffnung der Ausstellung im Innsbrucker Taxispalais, ... "sie führt uns das Mysterium des christlichen Glaubens vor Augen, das über die Zeitalter hinweg gültige Hier und Jetzt der Passion und damit der Erlösungstat Christi. Denn die Botschaft der Evangelien, des Neuen Testaments oder Neuen Bundes meint nicht etwas Entferntes oder Historisches ... , sondern sie trifft uns im Hier und Heute."
Wie einst Egger-Lienz so war auch Max Weiler gegen Ende seines Schaffens eine unvergessliche Retrospektive im Wiener Künstlerhaus gewidmet, die uns in ihrer metamorphotischen Naturdeutung, souveränen Schönheit und Aussagekraft tief berührt, und die Spannweite wie auch Komplexität seines riesigen Îuvres verstärkt vor Augen führt.