Aufbruch des Christentums

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Aus Kardinal Joseph Ratzinger, dem Präfekten der Glaubenskongregation, wurde im April 2005 Papst Benedikt XVI. Manche hofften auf neue Offenheit. Doch das scheint ein Irrtum gewesen zu sein.

Die derzeitigen Entwicklungen in Rom werden unterschiedlich gedeutet. Jemand, der sehr klar Stellung bezieht und die eingeschlagene Richtung kritisiert, ist der deutsche Dogmatiker Peter Hünermann.

Die Furche: Setzt Papst Benedikt XVI. mit seiner Offenheit gegenüber der Piusbruderschaft Zeichen für einen Kurs weg vom Zweiten Vatikanischen Konzil?

Peter Hünermann: Schon seit der Berufung nach Rom führte er mit Lefèbvre, mit der Piusbruderschaft Verhandlungen. Von ihm und Lefèbvre direkt ist ein Vertrag ausgeführt worden, in dem zugesagt wird, dass man die Piusbruderschaft und Lefèbvre als ihren Vorgesetzten anerkennt; von der Piusbruderschaft wird verlangt, das universale Magisterium des Papstes anzuerkennen, das er zusammen mit den Bischöfen ausübt. Von den übrigen Texten des II. Vatikanums wird überhaupt nicht gesprochen. – Es gibt keinen Fall, wo einer zurückkehrenden Gruppe auferlegt wurde, sich zum II. Vatikanum im Ganzen zu bekennen. Das heißt, es ist immer von diesen Auflagen dispensiert worden.

Die Furche: Sie sollen Papst Benedikt XVI. Amtsmissbrauch vorgeworfen haben?

Hünermann: Ich habe von einem gravierenden Amtsfehler gesprochen; mit dem Wort Missbrauch ist bei uns Böswilligkeit verbunden, das möchte ich ihm nicht unterstellen; aber ich meine, dass das ein Fehlweg ist. Die Piusbruderschaft hat einen „katholischen Katechismus“ zur Kirchenkrise veröffentlicht. Da wird gefragt: Warum ist die gegenwärtige Kirchenkrise so tief und schlimm? Antwort: „Weil sie von den höchsten katholischen Autoritäten selbst mit veranlasst ist.“ Oder: „Was sind die größten Irrtümer des II. Vatikanischen Konzils?“ Antwort : der Ökumenismus, die Religionsfreiheit, die interreligiösen Gespräche; dann: „Kann man an der neuen reformierten Liturgie teilnehmen und die Sakramente empfangen?“ In diesem Katechismus heißt es schlicht: „Nein, lediglich im Sterbefall, wenn man absolut keine andere Möglichkeit hat, denn Sakramente muss man in einer gültigen Form empfangen.“ – Da frage ich mich, worüber wollen die eigentlich verhandeln?

Die Furche: Was sind die großen Unterschiede zwischen dem I. und dem II. Vatikanum?

Hünermann: Das I. Vatikanische Konzil wollte antworten auf Grundherausforderungen der Moderne: auf die moderne Wissenschaft und Absolutheitsansprüche, die von Wissenschaftlern erhoben wurden. Es stellt heraus, dass Glaube sein Fundament in Gottes Offenbarung hat; dass kirchliche Autorität nicht wie eine zivile Autorität von der Volkssouveränität her zu modellieren ist. Hier kommt die Souveränität Gottes ins Spiel – daher hat die Kirche ihre eigene Struktur. Dann wird gesagt, Glaube und Vernunft sind zwei unterschiedliche Erkenntnisprinzipien; in der Vollendung gehören sie zusammen. Aber wie Glaube Denken durchdringt und Denken Glaube, wird nicht thematisiert. Es war der große Schritt des II. Vatikanums, grundsätzliche Aussagen des Glaubens über Offenbarung und Schrift zu reflektieren – nicht nur insofern sie einen Ursprung von Gott her haben, sondern auch, wie sie zu gebrauchen sind. Man spricht vom „Heilsmysterium der Kirche“; dass Gottes Heilswille von Anfang an die Menschheit begleitet hat und dass alle möglichen Leute unterschiedlich zum Volk Gottes gehören: Leute, die ihrem Gewissen folgen, Leute, die zum jüdischen Volk gehören; Christen, die als Heiden eingepfropft sind. Das ist eine entscheidende Ausweitung des Blicks auf die Kirche und wesentliche Voraussetzungen für interreligiösen und ökumenischen Dialog.

Die Furche: Wie ist das Verhältnis zu den modernen Wissenschaften heute?

Hünermann: Theologie und Kirche müssen mit großer Offenheit auf die Naturwissenschaftler zugehen, weil sie Aufschlüsse über die Realität bekommen, die wichtig für das Verständnis des Glaubens und die Auslegung der Schrift sind. In der jüngeren Theologiegeschichte haben wir enorm profitiert von Interpretationsmethoden im Bereich der Sprachwissenschaften und der historischen Wissenschaften. Wir haben Möglichkeiten gewonnen, die Plausibilität des Glaubens darzustellen. Ähnliches gilt für die Naturwissenschaften. Wie Evangelikale, Fundamentalisten oder auch Zeugen Jehovas etwa die Genesis auslegen, kann man doch keinem modernen Menschen zumuten.

Die Furche: Da scheint es bei manchen im Klerus andere Ansichten zu geben ...

Hünermann: Ich würde mir von der sonntäglichen Predigt erhoffen, dass man Einseitigkeiten im Verständnis der Bibel auch korrigiert, aber dass man ermutigt zu fragen: „Was sagt mir so ein Evangelium; hat das Beziehung zu meinem Alltag?“ Diese Ermutigung halte ich für wichtig. Zugleich muss man sehen, dass etwa die Aussagen, die im Markusevangelium über Jesus stehen, andere sind als die, die im Johannesevangelium stehen. Das sind unterschiedliche Zugangsweisen und die muss man daher auch in ihrer Unterschiedlichkeit stehenlassen. Ich verstehe nicht, warum der Papst in dem Jesusbuch, das er ja als Theologe geschrieben hat, solche Positionen zurückweist.

Die Furche: Heute scheint man in Rom eine „kleine brave Herde“ zu wünschen

Hünermann: Im Evangelium heißt es: „Geht hin und lehrt alle Völker!“ Es heißt nicht: „Baut irgendeine kleine Gruppe auf!“ Wenn ich Völker lehren will, dann muss ich zu ihnen gehen, muss mich mit ihrer Lebenswelt vertraut machen und muss dann das Evangelium in ihre Lebenswelt hineinsagen. Ein Idealbild einer kleinen Herde, meine ich, passt nicht zum Aufbruch des Christentums.

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