Aufbruch und Resignation

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Neue Töne, neue Themen, ein anderes Lebensgefühl in der Lyrik von Peter Paul Wiplinger.

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Neue Töne, neue Themen, ein anderes Lebensgefühl in der Lyrik von Peter Paul Wiplinger.

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Der 1939 im Mühlviertel geborene Peter Paul Wiplinger ist seit 1966, als sein erster Lyrikband unter dem lateinischen Titel "Hoc est enim" ("Denn dies ist") erschien, dichterisch und geographisch viel unterwegs. Sein literarisches Spektrum reicht vom gesellschaftskritischen und philosophischen Gedicht bis zur politischen Lyrik, vom Landschaftsgedicht (er ist auch als künstlerischer Fotograf tätig) zur lyrischen Meditation. "Borders / Grenzen" (1977), "Gitter" (1981), "Abschiede" (1981), "Farbenlehre" (1987) und "Lebenszeichen" (1992) sind die Titel seiner bekannten Lyriksammlungen. "Lebenszeichen" wurde in mehrere Sprachen übersetzt.

Schon die zweisprachige (englisch-deutsche) Gedichtsammlung "Borders/Grenzen" war ein unmittelbares Bekenntnis zur Humanität, die Aussage eines jüngeren österreichischen Dichters. Was geschah in Mauthausen? Was erzählen uns die jüdischen Friedhöfe? Fragen mit moralischen Auswirkungen, Fragen unseres gestörten Verhältnisses zur Geschichte.

Auch in der Gedichtsammlung "Gitter" verschrieb er sich der Kritik der gesellschaftlichen Zustände und menschlichen Unzulänglichkeiten. Der Gedichtband steckt die Begrenzung, die Enge, die Grenzen, die uns umgeben, ab. Hoffnung bildet den Kontrapunkt. Im Foto-Gedichtband "Abschiede" hat Wiplinger, unterstützt durch eigene Fotografien, lyrische Themen in einer Weise erweitert, die seiner Lebenshaltung entspricht. Es geht um ursprüngliche menschliche Landschaft, nichtkonforme menschliche Existenz, ökologische Wirklichkeit im weitesten und philosophischen Sinn des Wortes.

Wiplinger war immer kulturpolitisch stark engagiert. So überrascht es nicht, daß er in seinem vorletzten Band "unterwegs" (1997) die aktuelle politische und kulturelle Situation mit der persönlichen Lage des Dichters ohne jede überflüssige Zier verbindet. Die kurzen, einfachen Verse bringen eine Fülle von Wortmaterial zu den Themen Landschaft, Leben, Liebe, Heimat, Freiheit, Hoffnung, Erde und Tod. Diese Gedichte öffnen sich dem Leben auf eine unprätentiöse Art. Doch die Stunde der Reise ist oft auch die Stunde der Illusionen, die man in die Zukunft projiziert. Viele Gedichte zeugen von politischen Anliegen (Sarajevo im Krieg; Zagreber Notizen; Jüdischer Friedhof Innsbruck; Jüdischer Friedhof Klagenfurt; Panorama St.Petersburg). Stärker als früher ist jetzt die Liebeslyrik vertreten, verbunden mit der resignierten Erkenntnis der Abgründe in der Beziehung der Geschlechter.

Auch im jüngsten Lyrikband "Schnittpunkte" steht im Vordergrund die Selbsterfahrung. Sie wird gleichsam hörbar. Kurz, spröde, in knappen Sentenzen und Verszeilen, die mit einem oder zwei Worten fast minimalistisch wirken, evoziert Wiplinger eine beinahe tagebuchartige Wiedergabe seiner Erlebnisse, garniert mit einer melancholischen Folge von Gedanken über die Defizite und Verluste des Lebens. Seine Lyrik gewinnt zunehmend Eigenart aus den kleinen Begebenheiten, der Stille, den Pausen außerhalb der pragmatischen Aktualität. Die Erfahrungen der vielen Reisen des Autors werden gekonnt mit den Eigenarten der Landschaft verbunden und bilden eine manchmal nur scheinbare Symmetrie des vorübergehenden kurzen Glücks. Das Phänomen Heimat wird in knappen, bildhaften Versen als ein ontologisches Stilleben mit vielen Fragezeichen dargestellt. Die Suche nach den Wurzeln im engeren Lebensbereich ist mit dem Gefühl der Solidarität und Liebe verbunden, noch mehr aber mit Enttäuschungen und verletzten Hoffnungen. Darum empfindet der Dichter sein Schicksal oft als einen Weg "nirgendwohin", er weiß nicht, wohin er heimkehren soll.

Wesenhaftigkeit und Dichte persönlicher Probleme und der dialektischen Beziehung zur Umwelt finden lyrische Form. Die vielschichtige Realität lebt, verdichtet, in der subtilen Metapher. Gekonnt und zugleich einfach erscheinen die Verse von Peter Paul Wiplinger in einer poetischen Landschaft, in der das Wort der Widerspiegelung der inneren Wirklichkeit dient und dieser Wirklichkeit mit ihren Sehnsüchten, dem Schmerz, dem Drang der Gefühle, der Sinnlichkeit der Seele einen Sinn verleiht. Was der Dichter über seine Erfahrungen sagt, richtet sich vor allem nach innen, zu den Wurzeln des eigenen Ich: mein spiegelbild zerbricht in mir die liebe rettet mich vielleicht Doch gibt es sie noch in der heutigen Zeit, und kann sie retten? Wiplinger versucht behutsam zu antworten, weit von einer lichten Heiterkeit und blindem Optimismus. Er schlägt einen neuen, dünkleren Ton an, manches dabei mag verwundern, da er bisher vor allem als Vertreter der zeit- und gesellschaftskritischen Literatur galt. Dies ist auch im neuen Lyrikband nicht ganz verstummt (siehe "Friedhof in Kosevo" auf Seite 147), doch scheint vieles jetzt nur angedeutet. Im Vordergrund steht nun die hörbar gemachte Selbsterfahrung.

Die verschiedenen Bestandteile dieser neuen Lyrik (siehe etwa das Kurzgedicht auf Seite 30), des Erlebten, Verlust der Liebe, Tod der nächsten Verwandten oder Freunde, Trauer, mischen sich auf neue Weise mit den Reiseerfahrungen. In solcher Situation ist es ein Gewinn, mit anders denkenden, anders lebenden, anders sprechenden Menschen verbunden zu sein. Was in anderen Büchern und Texten Wiplingers als Abrechnung mit gesellschaftspolitischen Tendenzen erscheint, mündet in der neuen Lyriksammlung in den Strom der "poetischen Zeit".

Manches wiederholt sich, manches wirkt wie eine triviale Parole, wird zu prosaisch mitgeteilt. Und doch lohnt es sich, mitzugehen, sich in Wiplingers Bilder und Empfindungen zu vertiefen, denn plötzlich befindet man sich in einem Kontinuum, einer poetologischen Lebensgeschichte ohne eigentlichen Anfang, ohne eigentliches Ende, als läge das innere Leben des Dichters auf dem Seziertisch.

Schnittpunkte. Gedichte 1966 - 1998. Von Peter Paul Wiplinger Edition Roetzer, Eisenstadt 1999. 176 Seiten, geb., öS. 198/e 14,39

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