Aufforderung zum Rücktritt

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Carmen Epp, eine Journalistin aus dem Kanton Uri, geht unter dem Titel "Ich schäme mich" weit über die Grenzen des Lokaljournalismus hinaus. In der Medienwoche, einem digitalen Magazin aus der Schweiz, schreibt die Redakteurin des Urner Wochenblatts zur Verantwortung ihres Berufsstandes. Unaufgeregt, authentisch, nachdenklich, reflektiert und bescheiden mahnt sie: "Politiker werden zum Rücktritt aufgefordert, wenn sie schwere Fehler begehen. Weshalb nicht auch Journalisten?" Was folgt, ist deshalb so wirkungsvoll, weil es frei von Eitelkeit in bester eidgenössischer Tradition Argumente für ein besseres Selbstverständnis liefert. Dabei wäre die Ausgangsbasis dieser Überlegungen abseits der Schweiz wohl noch besser: Mehr noch als dort nehmen in Deutschland und Österreich Journalisten Positionen ein, die ähnlich wirken wie jene von Politikern. Statt Beobachtung aus der Distanz pflegen sie Rivalität um die Deutungshoheit. Dieser Trend zum Erklärmedium und zur Meinungszeitung, zur Interpretation bis Vision gilt als Rettungsreifen der Zunft. Ihr Lebensretter kann aber nur Glaubwürdigkeit sein; und deren Bedingungen ändern sich mit dem Rollenwechsel. Je mehr die unlegitimierte vierte Gewalt sich anmaßt, in die Aufgaben von Legislative, Exekutive und Judikative aktiv einzugreifen, desto eher gelten für sie auch jene ungeschriebenen Gesetze, deren Umsetzung vor allem die Journalistik fordert. Der Schritt vom Ein-zum Mitmischen vollzieht sich oft kaum bemerkt von seinem Geher. Umso wichtiger ist die Bewusstseinsschärfung dafür, dass auf diese Weise auch jene Verantwortung "übernommen" wird, wie wir sie aus den Stehsätzen zu Rücktritten kennen. Schon dabei sind wir nicht sensibel genug: Denn wer Verantwortung erst übernimmt, wenn er geht, sagt indirekt, dass er sie davor nicht hatte. Das ist unverantwortlich.

Der Autor ist Medienberater und Politikanalyst

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