Aufforderung zum Spiel

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Unter dem Generalthema "Wenn Eigentum an seine Grenzen stößt" standen die diesjährigen Grenzgänge der ars electronica (4.-9. 9.).

Lass uns spielen gehen! Über Jahre hinweg hätte man in dieser Form eine Einladung zum Besuch der jeweiligen ars electronica in Linz aussprechen können. In diesem Jahr trifft diese Formulierung besonders zu. Nicht weil es das generelle Thema ist, dazu steuerte man jenen Wendepunkt an, "wenn das Eigentum an seine Grenzen stößt". Einmal trifft diese Aufforderung zum Spiel auf sehr viele der präsentierten Kunstwerke zu, beteiligt man sich nämlich nicht aktiv, tut sich oft gar nichts. Daneben tangiert das Thema Spiel aber auch die spezifischen Fragestellungen von Urheberrechten und deren Umgang im Kontext digitaler Kunst, die sowohl bei einigen Kunstwerken als auch in den Konferenzen thematisiert wurden.

Bereits die Vorstellung von Kunst, wie sie Friedrich Schiller in seinen "Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen" entwickelt, bricht eine doppelte Herrschaft auf. Ab nun gilt weder, dass die Form die Materie dominiert, noch dass ein verfeinerter Geschmack über einen wilden Geschmack Befehlsgewalt hätte. "Beim Spieltrieb hat man es mit einer lebendigen Kraft zu tun, die die Verteilung der Leben ent-regelt", fasst der Philosoph Jacques Rancière pointiert zusammen.

Ent-Regelung

Die Auflösung und Verschiebung von Regelsystemen ließen ungeheuerliche Sujets und genauso ungeheuerliche Formen das Licht der Welt erblicken - gemessen an den althergebrachten Deutungsmustern. Nicht zuletzt hat sich dabei auch die gesellschaftliche Zusammensetzung des Publikums massiv verändert. Die Hoffnung auf Demokratisierung, auf eine allgemeine Zugänglichkeit zu Kunstwerken, scheint sich nie dermaßen breit erfüllen zu können wie bei den computerunterstützten Arbeiten, die man zuhause vor dem Bildschirm nicht bloß konsumieren, sondern mit eigenen Ergänzungen weiterentwickeln kann.

Wenn man diese Ent-Regelung für jeden sinnstiftenden Zugang an der Hand haben sollte, dann ist klar, dass sich die präsentierten Werke bei dieser ars electronica nicht alle an das Generalthema halten. Am ehesten gelingt der Brückenschlag beim Projekt "Fallen Fruit" von David Burns, Dominik Hoelzl und Matias Viegener, die in Publikumsaktionen Obst sammeln, das auf oder über öffentlichem Grund wächst. Die Frage nach der Grenze zwischen den jeweiligen Besitzständen wird aber überragt von der Absicht, neue Gemeinschaften mit ihren Aktionen zu erzeugen, nicht zuletzt für die "Jam-Sessions", die kollektive Marmeladeherstellung.

Natürlich gab es auch heuer wieder Auszeichnungen. In der Kategorie Animationsfilm überzeugte "Madame Tutli-Putli" von Chris Laves, Maciek Szczerbowski und Jason Walker. Eine Dame aus den 20er Jahren reist mit dem Zug, über ihr auf der Gepäcksablage findet ein Schachspiel statt. Die Spieler erinnern an Marcel Duchamp und Man Ray, deren Spielzüge nicht per Hand, sondern in gut surrealistischer Manier vom Rütteln des fahrenden Zuges vollzogen werden. Auf dem Abteilniveau folgt dann ein plumper Annäherungsversuch mit eindeutigen Gesten von einem Tennisspieler, worauf sich die Dame in der Lektüre ihres Magazins verschanzt. Für die Kategorie der digitalen Musik war die Music Technology Group aus Barcelona mit ihrer Arbeit "reactable" erfolgreich. Auf einem runden Leuchttisch können Mitwirkende Bausteine bewegen und damit Musik "komponieren". Die Kombination aus der optisch einladenden Spielfläche und den phantastischen klanglichen Möglichkeiten erklärt den guten Besuch dieser Anlaufstelle für vielfältige Spieltriebe.

In der Kategorie für interaktive Kunst überzeugte der "Image Fulgurator" von Julius von Bismarck, eine umgebaute Kamera zur physischen Manipulation von Fotografien. Der Blitzschleuderer, so die Übersetzung des Apparates, erlaubt es, ein Bild auf das Motivobjekt zu projizieren, genau in dem Augenblick, in dem es von jemand anderem abgelichtet wird. Diese unbemerkt eingeschleusten visuellen Ergänzungen erschüttern einmal mehr das noch immer hohe Vertrauen, dass Fotografien landläufig entgegengebracht wird. Der Fulgurator wird von Bismarck aber auf angenehm subversive Weise eingesetzt. So bringt er von seiner Exkursion zu den Olympischen Spielen in Peking etwa eine postkartenfähige Fotografie des Mao-Mausoleums am Platz des Himmlischen Friedens mit, vor der Stirn des Konterfeis von Mao schwebt, den zynischen Namen des Ortes aufnehmend, eine Friedenstaube.

Bunte Abgaswolken

Gleich ein ganzes Bündel von Aktionen und Interventionen des Künstlerduos HEHE mit dem Titel "Pollstream - Nuage Vert" wurde als bester Hybrid Art Beitrag ausgezeichnet. Bunte Wolken dienen dabei zur Visualisierung von Emissionen. In Helsinki etwa veränderte sich der Grünanteil im von einem Kraftwerk ausgestoßenen Rauch proportional zum Stromverbrauch. Und in New York mischte sich ein ferngesteuerter Miniatur-Porsche unter den Verkehr, der mit einer heftigen Pinkwolke aus seinem Auspuff mehr Aufregung verursachte als seine großen, tatsächlich stinkenden Autokollegen.

Die Juryentscheidungen müssen schwierig gewesen sein, denn auch eine Reihe anderer Einreichungen sorgen für spannende Kunsterfahrungen. Etwa die Installation "Wave" von Alexander Ponomarev. Ein zwölf Meter langes, aber im Vergleich schmales Aquarium stößt im Ausstellungsraum an die Stirnwand. Über dieser Berührungsstelle zeigt ein Video flatternde Fahnen und Ozeanwellen. Alle fünf Minuten taucht der Künstler im Video auf, holt zwei Mal tief Luft, um dann auf das unter ihm befindliche Aquarium zu blasen. Zur Überraschung entsteht im Aquarium mit dem echten Wasser genau jene Wellenbewegung, wie sie auch ein echter Windstoß auslösen könnte - was man von einer virtuellen Windquelle nicht erwarten würde. Ross Phillips unterteilt in "The Replenishing Body" den Bildschirm in ein Schachbrett aus fünf mal fünf Feldern. Besucher können kurze Videosequenzen von sich aufnehmen, die dann in die Felder übertragen werden und so zu neu zusammengesetzten bewegten Figuren führen.

Muezzinrufe in der Schweiz

Zwecks interreligiösen Austauschs installierte Johannes Gees in einigen zentralen Kirchtürmen in der Schweiz programmierte Soundboxen, die zeitgleich den Ruf des Muezzins über die versammelte Eidgenossenschaft ertönen ließ. Und auch das Duo "tEnt" erzeugt mit seiner Arbeit "Call - Response", bei dem ein mit Hilfe spezieller Software entwickeltes Programm eine Reihe von Zwitscherlauten von bereits ausgestorbenen oder gar nicht existierenden Vögeln simuliert, eine besondere Kommunikationssituation. Die dabei entstehenden Zwitschereien treten mit realen Vögeln in Kontakt und das Computerprogramm "lernt" von den Antworten, um seine Töne und Sequenzen zu verfeinern. Was die Vögel davon halten, ist bislang unbekannt.

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