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Er wollte "heilige Männer und Frauen" malen, die das "Gesicht unserer Jahrhunderte tragen, Bürger von heute, die trotzdem Beziehungen mit den ersten Christen" haben. Mit dieser Verschränkung erobert er für religiös motivierte Betrachter ein bis heute gültiges Terrain.

Für die äußerst einflussreiche Malerei der Romantik im 19. Jahrhundert war eine der zentralen Fragestellungen jene nach der Beziehung zwischen der Welt und dem Geist. Ständig war man auf der Suche nach jenen Bildern, die jenseits der bewussten Steuerung unsere Existenz mitbestimmen. Die eine Richtung unter den Romantikern brachte die Welt in ihrer Großartigkeit ins Bild, eine Großartigkeit, die ihrerseits wiederum als eine Spiegelung der Schönheit Gottes in der Natur interpretiert wurde. Eine andere Richtung reflektierte bildnerisch die Unzulänglichkeiten unseres Daseins als Menschen, die Ängste und Nöte unserer innersten Personmitte und die daraus entspringenden spirituellen Suchbewegungen. In einer Zeit, in der Gott auf sein Sterbebett gelegt wurde, kam der Romantik die Grundlage abhanden, und als man schließlich den Tod Gottes ausrief, besann sich die Kunst, vornehmlich jene des Impressionismus, auf eine Verliebtheit in den wunderschönen Glanz der Weltoberfläche. Im Impressionismus "erreicht der narzisstische Großstadtatheismus und amoralische Naturpantheismus der Neuzeit seinen Gipfel. Er ist der Farbe gewordene Antichrist." Eine der am meisten von Mythen verstellten Malerpersönlichkeiten könnte dieses überspannte Urteil von Egon Friedell durchaus unterschrieben haben - um in seiner Kunst der Farbe einen Ausweg aus dem autistischen Glanz zu zeigen.

Leben mit den Armen

Der 1853 geborene Vincent van Gogh beginnt mit einer Lehre als Kunsthändler, angeregt durch fromme Lektüre und das Vorbild des Vaters, der Pfarrer war, entschließt er sich zuerst, Theologie zu studieren. Das Griechische wird ihm dabei zur unüberwindlichen Hürde, außerdem scheint ihm all das Geschwätz der Theologen nur Probleme zu verursachen, statt diese zu lösen. Den Ausweg bietet eine Missionsschule, man lässt den anstrengend radikalen Vincent die Ausbildung allerdings nicht antreten. So zieht er sich als Missionar in ein Kohlerevier zurück, lebt mit den Armen als Armer und predigt. Der Erfolg ist mäßig, erst als er sich gemeinsam mit den Arbeitern gegen die Leitung der Mine erhebt, wird er vollständig akzeptiert. Daraufhin zieht die Missionsgesellschaft, die ihn bisher finanziell unterstützt hatte, ihre Gelder zurück - ein derart aufrührerisches Verhalten passte nicht in ihr großbürgerliches Selbstverständnis. So entschloss sich der Siebenundzwanzigjährige, Maler zu werden.

Van Gogh suchte seine Motive genau dort, wo er mit den Predigten aufgehört hatte, das eine schien nahtlos in das andere übergegangen zu sein. Mit einer eher düster gehaltenen Farbpalette versucht er seine ersten Meisterwerke, Bruder Theo, der als Kunsthändler in Paris seinen Unterhalt verdient, soll ihm beim Verkauf helfen. In Dutzenden Vorstudien erarbeitet er sich das berühmteste Bild aus dieser Zeit, die "Kartoffelesser". Aber nicht nur Malerfreunde kritisieren sein Endprodukt in Grund und Boden, auch der Bruder weiß um die Unverkäuflichkeit in Paris, dort hat gerade der Impressionismus Hochsaison, van Goghs Sujet und Malweise passen da überhaupt nicht dazu. Schließlich lernt Vincent in Paris den neuen Stil kennen, versucht sich vor Ort einige Zeit darin, um schließlich nach Arles in den Süden Frankreichs zu gehen. In den darauf folgenden Jahren bleibt er seinen Motiven, den einfachen Leuten und der Landschaft, treu, verbindet allerdings seine Herkunft mit der neuen Malweise und gelangt so zu einer ungeahnten Ausdruckskraft. Am Kunstmarkt nach wie vor erfolglos, unterstützt ihn Bruder Theo, mit dem ihn auch einer der berühmtesten Briefwechsel der gesamten Kunstgeschichte verbindet. Der Versuch einer Zusammenarbeit mit Gauguin scheitert, das permanent auf Hochtouren gehaltene Leben in ständiger nervlicher Anspannung hinterlässt seine Spuren.

Mythos van Gogh

Van Gogh wird krank, leidet unter Angstzuständen und Halluzinationen und muss sich ärztlich behandeln lassen. Schließlich übersiedelt er nach Auvers-sur-Oise, nördlich von Paris, in die Nähe des Bruders, und malt in zwei Monaten ungefähr achtzig Bilder. Im Juli 1890 erliegt er den Folgen einer Schussverletzung, die er sich selbst zugefügt hatte. Zehn Jahre war er Maler gewesen, alle Meisterwerke waren in den letzten beiden Lebensjahren entstanden, und er hatte der Kunstentwicklung einen völlig neuen Weg aufgetan.

Offensichtlich waren damit alle Ingredienzien zur Mythenbildung gegeben. Der deutsche Expressionist Karl Schmidt-Rottluff erklärte ihn zum Vater, für Julius Meier-Graefe, den Legenden erzählenden Biografen, avancierte er zum Christus der modernen Kunst, Carl Sternheim stilisierte ihn sogar zum Gott. Viele Legenden sind frei erfunden, so hat van Gogh mehr als ein Bild verkauft, er wollte wie jeder andere Künstler auch Erfolg haben, er wurde nicht wahnsinnig, sondern litt an einer Krankheit, die in Schüben auftrat und dazwischen Arbeitsphasen für die besten seiner Bilder erlaubte, er hatte sich auch nicht das Ohr abgeschnitten - er wäre daran verblutet - und van Gogh malte auch nicht wie ein Besessener im Taumel, von vielen Bildern gibt es Vorstudien und mehrere Versionen, er war belesen und setzte sich auch theoretisch intensiv mit Kunst auseinander, wie der Briefwechsel mit Theo belegt.

Der Ausweg, den van Gogh der Farbe wies - vornehmlich dem Gelb, als der schwierigsten von allen -, stand trotz seines Bruchs mit dem kirchlich verfassten Christentum und einer Lebensweise, die eben dies unterstrich, auf dem Grund einer religiösen Existenz. Es gibt bei ihm keine biblischen Geschichten - er versucht sich nur an zwei Paraphrasen zu Rembrandt und Delacroix, den einzigen aus der Geschichte, denen er zugesteht, sie hätten biblische Szenerien oder gar die Figur Christi malen können. "Ich bewundere durchaus gar nicht den Christus im Olivengarten' von Gauguin, von dem er mir eine Zeichnung schickte. Ebenso wenig Bernard. Nein, in ihre biblischen Deutereien habe ich mich nie eingemischt. Ich sagte, Rembrandt und Delacroix hätten das wundervoll gemacht und ich liebte das mehr als die Primitiven; aber damit Schluss."

Neues religiöses Terrain

In seiner eigenen Arbeit hingegen geht er konsequent den Weg einer Transposition, die dem modernen Auge mehr entspricht. "Wenn ich hier bleibe, werde ich nicht versuchen, einen Christus im Olivengarten zu malen; vielmehr die Olivenernte, so wie man sie noch sieht, und wenn ich darin die wahren Verhältnisse der menschlichen Gestalt auffinde, so kann man dabei an jenes denken", schreibt er an Theo. Der Mensch, die Landschaft, die Sonnenblumen, alle sind sie aufgeladen mit der Energie der Farbe Gelb, mit der Energie der Sonne, die auch den "Sämann" in metaphysische Sphären hebt, obwohl er gleichzeitig mit beiden Beinen fest am Boden am bleibt. Er wollte "heilige Männer und Frauen" malen, die das "Gesicht unserer Jahrhunderte tragen, Bürger von heute, die trotzdem Beziehungen mit den ersten Christen" haben. Mit dieser Verschränkung erobert er für religiös motivierte Betrachter ein bis heute gültiges Terrain.

Vincent van Gogh

Der Blick in die Sonne

Von Walter Nigg, Zürich 2003 (Originalausgabe 1948), 154 Seiten, e 20.50

VAN GOGH - Mythos und Wirklichkeit Von Stefan Koldehoff,Köln 2003, 304 Seiten, e 35,90

Weitere Buchtitel zu Van Gogh auf Seite 18

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