Aufklärer seiner Zeit

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Menschliche Verfehlungen als Motiv künstlerischen Schaffens - Francisco de Goya war ein scharfer Kritiker. Wien widmet dem spanischen Künstler einen Schwerpunkt.

Leichenberge. Geschändete Gefangene. Hinrichtungen. Hungersnot. Gräuelbilder, die uns durch den Krieg im Irak und die Folterskandale in dem Gefängnis von Abu Ghraib traurigerweise wieder allzu aktuell erscheinen. Tatsächlich stammen die Blätter mit den eindringlichen Titeln wie "Begraben und schweigen", "Bitter, dabei sein zu müssen" und "Leichen auf einem Haufen" aus dem Grafikzyklus "Desastres de la Guerra" von Francisco de Goya. Mit seinen 82 Radierungen hat der spanische Vorreiter der Moderne die horriblen Kriegsszenarien und die menschlichen Grausamkeiten, die jeder Krieg offenbart, in unübertroffener Weise bildlich festgehalten. Erschüttert von den Schrecken des napoleonischen Krieges und der enttäuschten Hoffnung, die spanische Aufklärer auf Frankreich gesetzt hatten, begann Francisco de Goya 1810 an der Serie zu arbeiten. Ein Jahrzehnt hindurch setzte er sich immer wieder an die Kupferplatten, um in einer Kombination aus Kaltnadel-Radierung und Aquatinta-Ätzung stets neue brutale Auswirkungen des Krieges darzustellen. Francisco de Goya ergreift für keine Seite Partei, sondern verurteilt Krieg und Gewalt an sich. Veröffentlicht wurden diese Grafiken zu Lebzeiten Goyas nie. Bis zur ersten Veröffentlichung dauerte es 40 Jahre, nur einige Probeabzüge dürften bis dahin im Freundeskreis des Künstlers zirkuliert sein.

Goya im 20. Jahrhundert

Mit diesen beinahe filmartig ablaufenden Blättern, deren sprachlichen Kommentaren und dem psychologischen Tiefblick hat sich Goya sowohl formal als auch inhaltlich als einer der modernsten Künstler der Kunstgeschichte etabliert. Kriegszeichnungen von Otto Dix und Max Beckmann, Filmszenen von Sergej Eisenstein, Picassos Gemälde "Guernica" - Arbeiten des 20. Jahrhunderts, die auf Goyas Einfluss zurückzuführen sind. Ein Aspekt, der Rudolf Leopold dazu veranlasste, eine Ausstellung mit sämtlichen Radierungsfolgen zu initiieren: "Von Goya gingen entscheidende Impulse aus. Realisten wie Symbolisten, Expressionisten wie Surrealisten beriefen sich auf seine Kunst. Besonders schön zu sehen ist der Einfluss auf den in unserem Museum so hervorragend vertretenen Kubin."

Die Ausstellung ist Teil eines Goya-Schwerpunktes, den mehrere Institutionen gemeinsam veranstalten. Im Rahmen des KlangBogen-Festivals kommt gerade eine Goya-Oper des amerikanischen Komponisten Gian Carlo Menotti mit Placido Domingo in der Titelpartie zur Aufführung, das Kunsthistorische Museum folgt im Herbst 2005 mit einer großen Gemälde-Schau des spanischen Künstlers.

Abgesehen von der kleinen Reihe "Radierungen nach Velaszquez" schuf Francisco de Goya zwischen 1795 und 1824 vier bedeutende Radierfolgen: "Los Caprichos", "Los Desastres de la Guerra", "La Tauromaquia" und "Los Disparates". Dieses gesamte druckgrafische Ruvre in Form von 228 Blättern zeigt das Leopold Museum derzeit in einer klassisch-elegant gehängten Schau mit Leihgaben der jeweiligen Erstauflagen des Stadtmuseums Oldenburg. Das niedersächsische Museum ist aufgrund der regen Sammlertätigkeit des Kunstmäzens Theodor Francksen seit 1908 im Besitz aller Radierungen.

Umstrittener Kritiker

Neben den "Desastres" zeugt vor allem die 80 Blatt umfassende Radierungsfolge "Los Caprichos" - zwischen 1797 und 1799 entstanden - von der bahnbrechenden Modernität Goyas. Sie verbildlicht die Entwicklung vom Hofmaler zum individuellen Künstler, der ohne Auftrag von Adel, Klerus oder König lediglich für sich und für den freien Markt arbeitete. Als einer der ersten Künstler hat Goya seine subjektive Sichtweise der Wirklichkeit - auch auf die Gefahr hin, etwa von der Inquisition verfolgt zu werden - in eine unverkennbare Bildersprache umgesetzt. Dabei spielt das serielle Moment eine entscheide Rolle. Goya relativiert das einzelne Bild. Erst die Serie, die verschiedenen, einander oft konterkarierenden Blätter bilden ein Ganzes.

Seit ihrem Erscheinen waren die "Caprichos" heftig umstritten. Für die meisten Interpreten wurde Goya durch den Zyklus zum Aufklärer schlechthin, zum beißend-scharfen Kritiker, der die unaufgeklärte Lebensweise der von der reaktionären Kirche dominierten spanischen Gesellschaft desavouiert. Andere sehen es genau umgekehrt und meinen, Goya kritisiere die aufgeklärte Vernunftdoktrin, sie erkennen auf Blatt 43 "Der Schlaf/Traum der Vernunft erzeugt Ungeheuer" eine Parteinahme Goyas für einen romantischen, phantasie- und innenweltorientierten Kunstbegriff.

Entlarvte Gesellschaft

Es ist gerade die Mehrdeutigkeit, die Goyas Grafik so faszinierend und zeitgemäß macht. Unübersehbar entlarvt Goya die gesellschaftlichen Praktiken und Wertvorstellungen seiner Zeit: Scheinmoral, Pseudopartnerschaften und Zweckehen, Misshandlungen und Missbräuche, autoritäre und unverantwortliche Erziehungsmethoden, Aberglauben und Hexenwahn, die Perversionen und die Habgier des Klerus, die korrupten Machenschaften des Adels und die brutalen Vorgehensweisen der Inquisition werden aufs heftigste angeprangert. Zugleich lassen sich die "Caprichos" nicht bloß auf eine direkte Gesellschaftssatire reduzieren. Denn Francisco de Goya vermeidet konkrete Örtlichkeiten und thematisiert zutiefst menschliche Verfehlungen. Zugleich verschlüsselt er das bildlich Dargestellte durch sprachliche Kommentare. Beinahe comicartig setzte Goya unter alle "Caprichos" einen Ausspruch, einmal (auf Blatt 43) integriert er die sprachliche Aussage sogar in das Gezeichnete. Die "Untertitel" wie "Auf und ab", "Wer würde das glauben" oder "Dahin geht es" sind so vieldeutig, dass sie die Bilder nicht auf eine Bedeutung festschreiben, sondern durch Verrätselung erst recht subjektive Interpretationsspielräume für den Betrachter eröffnen.

Francisco de Goya

Die grafischen Zyklen

Leopold Museum

Museumsplatz 1, 1070 Wien,

Bis 20. September täglich außer Di, 10-19 Uhr, Do 10-21 Uhr

www.leopoldmuseum.at

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