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Der Mensch ist ein zeitlich organisiertes Wesen. Angesichts der Tatsache, dass nahezu alle körperlichen und psychischen Funktionen rhythmisch oszillieren, hat die Erforschung der "inneren Uhr“, der endogenen zirkadianen Abläufe, zunehmende Bedeutung erlangt. Während die kürzesten Rhythmen eine Periodendauer von Millisekunden umfassen, dauern die längsten Rhythmen über Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte. Der Schlaf-Wach-Rhythmus ist zweifellos der zentrale Rhythmus des Menschen - und besonders störanfällig: Gemäß österreichischen Umfragen berichten bis zu 25 Prozent der Bevölkerung über gestörten Schlaf, 6-10 Prozent leiden an einer behandlungsbedürftigen Schlafstörung.

Die innere Uhr des Organismus steht in Wechselwirkung mit externen Zeitgebern wie Lichtverhältnissen, Schul- oder Arbeitsbeginn, etc. Kommt es zu einer Diskrepanz zwischen dem zirkadianen Rhythmus und den sozial bedingten Zeitgebern, spricht man von "sozialem Jetlag“ - eine besondere Form von Schlafstörung, gekennzeichnet durch ein Auseinanderklaffen der biologischen und sozialen Uhr. Im Gegensatz zum Jetlag bei Fernflügen ist es dann nicht der Übertritt in eine andere Zeitzone, sondern das soziale Anforderungsprofil, das der inneren Uhr des Körpers entgegenläuft.

Schlafdefizit bei Jugendlichen

"Bei Jugendlichen scheint der soziale Jetlag insgesamt ein zunehmendes Problem zu sein“, berichtete der Pädiater Reinhold Kerbl bei der Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Schlafmedizin und Schlafforschung in Wien. Jugendliche weisen ein erhöhtes Risiko für sozialen Jetlag auf, da sich innerhalb weniger Entwicklungsjahre der Zeitpunkt der Schlafmitte stark nach hinten in Richtung Morgen verschiebt. "Diese Verschiebung scheint einerseits biologisch festgelegt, andererseits aber auch durch veränderte Lebensumstände mitbedingt, etwa durch nächtlichen Gebrauch des Mobiltelefons, TV im eigenen Zimmer, Internet, oder Ausgehen am Wochenende“, so Kerbl. Als negative Einflussfaktoren elektronischer Medien werden die gesteigerte psychische und emotionale Stimulation durch den Mediengebrauch sowie die Verschiebung des zirkadianen Rhythmus durch das künstliche Licht diskutiert.

Die bei Jugendlichen beobachtete Phasenverschiebung führt häufig zu einem Schlafdefizit während der Woche mit teilweiser Kompensation am Wochenende. Laut Kerbl kann Schlafmangel bei Jugendlichen nicht nur mit Tagesmüdigkeit, Leistungsdefiziten und Störungen der Tagesbefindlichkeit, sondern auch mit emotionalen und psychischen Störungen, etwa Neigung zur Selbstverletzung oder gar Suizidalität, assoziiert sein. Darüber hinaus wird der soziale Jetlag mit körperlichen Störungen in Zusammenhang gebracht. Der deutsche Chronobiologe Till Roenneberg etwa geht davon aus, dass eine verbesserte Übereinstimmung zwischen der biologischen und sozialen Uhr einen Beitrag zur Bekämpfung von Adipositas bzw. "Fettsucht“ leisten kann.

Generell ist der soziale Jetlag vor allem ein Problem von "Nachtmenschen“, denen frühes Aufstehen schwerer fällt als "Morgenmenschen“, auch weil sie meist eine verkürzte Nachtschlafdauer haben. Eine an der Universität München durchgeführte Studie hatte kürzlich zu dem Ergebnis geführt, dass die Mehrheit der Bevölkerung in den westlichen Ländern - bis zu 80 Prozent - davon betroffen sei. Demnach leiden circa zwei Drittel der Bevölkerung unter mindestens einer Stunde chronischen Jetlags, ein Drittel an zwei Stunden oder mehr. Als Extremform eines sozialen Jetlags gelten die Auswirkungen der Schichtarbeit, die ein unvermeidlicher Bestandteil von Rund-um-Uhr-Gesellschaften geworden ist. Studien zeigen, dass Schichtarbeit langfristig mit einem erhöhten Risiko für Stoffwechselstörungen und Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf- und auch Krebserkrankungen einhergeht.

Schulbeginnzeit und Schlafhygiene

Während der zirkadiane Rhythmus unter anderem genetisch determiniert ist, sind die externen Zeitgeber variabel und zumindest teilweise willkürlich veränderbar. Eine Langzeitstudie in einem Schuldistrikt in Minnesota hatte gezeigt, dass bei Vorverlagerung des Schulbeginns von 7:15 Uhr auf 8:40 Uhr die Schüler eine zusätzliche Stunde Schlaf pro Nacht erhielten. Entgegen aller Befürchtungen führte der spätere Schulbeginn nicht dazu, dass die Schüler noch später ins Bett gingen. Ein positiver Effekt zeigte sich neben der schulischen Anwesenheit vor allem hinsichtlich des Verhaltens der Schüler. Die schulischen Leistungen in Form von Noten verbesserten sich über den Zeitraum von vier Jahren geringfügig.

Allerdings sind große individuelle Unterschiede in der Chronobiologie der Schüler zu beachten, so Kerbl: "Zehn Prozent der Schulkinder wünschen sich einen Schulbeginn vor 7:30 Uhr; das andere Extrem aber sind Schüler, die eine Verschiebung der Beginnzeit um bis zu vier Stunden wünschen.“ Laut Kerbl gibt es keinen idealen Schulbeginn, idealerweise aber an Chronotypen angepasste Beginnzeiten - ein Modell, das nur in großen Schulen prinzipiell denkbar wäre.

Als Therapie- und Präventionsmöglichkeiten für sozialen Jetlag gelten vor allem der vernünftige Gebrauch von Mobiltelefon, TV und Internet, Vermeidung überlangen Ausgehens sowie die grundlegenden Regeln der Schlafhygiene wie zum Beispiel regelmäßige Zeiten für das Zu-Bett-Gehen und Aufstehen. Andererseits kann natürlich auch eine zeitliche Anpassung der sozialen Umfeldbedingungen versucht werden - sofern dies den Rahmen der Möglichkeiten nicht überschreitet.

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