Aus der Schattenwelt zur Wahrheit

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Eine Ausstellung der Träger des Otto-Mauer-Preises in Salzburg erinnert an einen wichtigen Brückenbauer zwischen Kirche und moderner Kunst.

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Eine Ausstellung der Träger des Otto-Mauer-Preises in Salzburg erinnert an einen wichtigen Brückenbauer zwischen Kirche und moderner Kunst.

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Seit 1981 verleiht der Otto-Mauer-Fonds der Erzdiözese Wien den Otto-Mauer-Preis für bildende Kunst. Der Fonds ist eine Gründung von Kardinal Franz König auf Grund einer großzügigen Schenkung von Prälat Karl Strobl, der die Kunstsammlung von Monsignore Otto Mauer, die er geerbt hatte, der Erzdiözese zur Verfügung stellte. Diese wiederum verpflichtete sich, jährlich einen größeren Betrag zur Förderung von Kunst und Wissenschaft auszuwerfen, darunter auch ursprünglich 100.000 Schilling, seit einigen Jahren 150.000 Schilling für den Otto-Mauer-Preis, der damit der höchstdotierte Preis für österreichische Künstler unter 40 Jahren ist. Intendiert wurde damit, die Initiativen des Monsignore fortzusetzen, dem das Gespräch der Kirche mit Kunst und Wissenschaft ein zentrales Anliegen war.

Otto Mauer (1907-73) war eine prägende Gestalt des österreichischen Katholizismus in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, ein hinreißender Redner, großer Anreger auf vielen Gebieten, Entdecker und Förderer junger Talente - ein prophetischer Geist. Er verband einen scharfen kritischen Intellekt mit dem leidenschaftlichen Willen zur Erneuerung von Kirche und Gesellschaft.

Es ging ihm auch um eine Kehrtwende im Verhältnis der Kirche zur modernen Kunst, die lange genug verteufelt worden war. Dabei verfolgte er nicht vordergründige kirchenpolitische Ziele, vielmehr war es seine tiefste Überzeugung, daß Kunst eine der wesentlichen Äußerungen des Menschen ist. Die Kirche, so sagte er, "muß einen Lernprozeß einschalten... Das Christentum muß doch eine große, überzeugende, gewinnende Ekstasis, ein Außer-sich-Geraten und eine Mobilisierung aller spirituellen Kräfte sein, es muß doch etwas Kreatives sein. Die Christen können doch nicht einfach immer nur Nein sagen zu dem, was die Welt erdenkt oder erfindet."

Dabei war Mauer alles andere als ein naiver Optimist, vielmehr war es seine Überzeugung, daß diese Welt im argen liegt, "ein Tummelplatz der Dämonen" ist. Das gilt auch für die Kunst, weshalb er manchen Richtungen durchaus kritisch gegenüberstand (z. B. dem Surrealismus). Er war von der Erlösungsbedürftigkeit der Welt überzeugt.

Das kennzeichnete auch sein Verhältnis zur Kunst: Mauer war überzeugt, daß Kunst, die der Wirklichkeit verpflichtet ist, das Leiden nicht ausklammern dürfe, daß deshalb ihre Form "oft eine zerschlagene und deformierte" sein müsse, woraus sich sein Naheverhältnis zu den existentiellen Richtungen der modernen Kunst ableitete. Viele seiner Reden endeten mit den Worten von John Henry Newman: "Ex umbris et imaginibus in veritatem: aus der Welt der Schatten und der Bilder zur Wirklichkeit, zur Wahrheit." Auch die Kunst hat die Differenz zwischen der jetzigen und der vollendeten Welt offenzuhalten, daher lehnte Mauer alle Tendenzen ab, Kunst und (jetziges) Leben zu identifizieren: Kunst darf nie ihr kritisches Moment verlieren.

Bei Mauer blieb nichts bloße Theorie. 1954 gründete er die "Galerie St. Stephan", die er wegen Protesten später in "Galerie nächst St. Stephan" umbenennen mußte. Sie wurde rasch die führende Wiener, ja österreichische Avantgarde-Galerie. Er eröffnete mit Herbert Boeckl, zeigte alsbald auch die damals noch nicht anerkannten Expressionisten, entdeckte dann noch völlig unbekannte junge Künstler und förderte sie nach Kräften.

Natürlich machte sich Mauer mit all diesen Aktivitäten nicht nur Freunde, sondern wurde von diversen Kreisen heftig angegriffen, während er in der Kunstszene immer mehr Anerkennung wegen seines Mutes und seiner Kompetenz fand. An seinem 60. Geburtstag organisierten seine Künstler eine Ausstellung und schenkten alle gezeigten Werke ihrem Förderer. Josef Mikl hielt eine Rede, die mit den Worten schloß: "Daher bitten wir Sie, genauso weiterzuarbeiten wie bisher, als Direktor einer Weltgalerie unter wenigen großen Weltgalerien."

Nach dem völlig unerwarteten Tod von Otto Mauer im Jahr 1973 überlegte Prälat Karl Strobl, sein Universalerbe, der auch die rund 2.000 Werke umfassende Sammlung erhalten hatte, wie man "mit diesem Pfund wuchern", die Initiativen Mauers fortführen könne. In langen Verhandlungen mit der Diözese kam es zur Gründung des Otto-Mauer-Fonds und in vielen Gesprächen mit mir wurde das Konzept des Otto-Mauer-Preises entwickelt. Mit folgenden Prinzipien: 1. Unabdingbarer Maßstab für den Preis ist die künstlerische Qualität. Da Qualität nur durch den Vergleich erkannt werden kann, wurde die Form der Einreichung und der Beurteilung durch eine kompetente Jury gewählt. Wir entschieden uns für eine Fünfer-Jury. Dabei wurde darauf geachtet, daß immer wieder neue Juroren eingeladen wurden.

2. Der Preis soll dazu beitragen, das "eben Entstehende" (Otto Mauer) zu sichten und jeweils auf ein Werk aufmerksam zu machen, das besondere Beachtung verdient. In den ersten 15 Jahren wurden jeweils bis zu drei Originale eingereicht, die "als wichtig, aber nicht das einzige Kriterium für die Fragen der Preiswürdigkeit" galten, also auch eine Einbeziehung der Entwicklung des Künstlers erlaubten. Diese Form der Einreichung begünstigte Malerei, Graphik und Skulptur. Die stets wachsende Bedeutung neuer Medien, auch die Unmöglichkeit, ortsgebundene Werke einzureichen, führten 1996 zu einem neuen Modus: "Einzureichen ist eine Dokumentation des bisherigen Gesamtwerkes."

3. Der Preis soll ein Zeichen dafür setzen, daß die Kirche sich für die Kunst der Gegenwart interessiert, weil sie weiß, daß es hier um geistige und spirituelle Entscheidungen für die Zukunft geht. Damit ist nicht intendiert, daß Werke mit religiösen Motiven oder unmittelbar erkennbaren christlichen Tendenzen auszuwählen sind, ohne daß das ausgeschlossen wäre, wenn hohe Qualität vorhanden ist. Es sollen aber nicht jene Bestrebungen gefördert werden, denen es um eine neuerliche Etablierung einer "christlichen" Sonderkunst geht.

4. Es wäre nicht im Sinne von Otto Mauer, wenn man jene Tendenzen fördern würde, die zu seiner Zeit wichtig waren. Mauer war ein ungeheuer wacher Geist, der das jeweils Neue, wenn es Qualität hatte, gefördert hat. Robert Fleck hat gezeigt, wie er von der Kunst der Neuländer ausging, im Krieg auf Alfred Kubin und Hans Fronius aufmerksam wurde, nach dem Krieg Beckmann, Corinth und die Expressionisten ausstellte, dann die Gruppe St. Stephan förderte (Hollegha, Mikl, Prachensky und Rainer) und sich schließlich Oberhuber, Hollein, Pichler, Gironcoli und Beuys zuwandte. Die Kunst hat sich aber weiterentwickelt, und Mauer war der letzte, der an einem bestimmten Punkt stehengeblieben wäre.

Der Preis hat in seinen ersten Jahren kräftige Signale gesetzt, was ein Blick auf die Namen der ersten fünf Preisträger (1981-85) beweist: Alfred Klinkan, Gottfried Mairwöger, Erwin Bohatsch, Erwin Wurm und Gunter Damisch. Doch schon 1986 war der Höhepunkt dieser "Neuen Malerei" überschritten. Die Grenzen der Kunst wurden erneut hinausgeschoben, ein erweiterter Kunstbegriff setzte sich durch. 1986 erhielt Franz West mit einer Doppelplastik aus Papiermache den Preis, die das Banale in eine lebendige Form verwandelte. Im folgenden Jahr war Gustav Troger mit einer Stahlplastik der Gewinner.

Ganz neue Wege beschritt Peter Kogler mit Bildern einer computersprachlichen Struktur (1988). 1989 folgte Brigitte Kowanz mit einem Lichtobjekt, 1990 Christoph Luger mit einer riesigen abstrakten Holzkohlezeichnung, 1991 Martin Walde mit Bildern einer äußerst reduzierten Zeichensprache, 1992 Lois Renner mit Fotografien von Kleinmodellen von Ateliers, die komplexe Fragen nach dem Sinn von Kunst im historischen Kontext provozierten. Die Werke der Preisträger nach 1986 sind individuell sehr verschieden, verraten aber einen hohen Reflexionsgrad, ebenso wie die folgenden: 1993 Heimo Zobernig, 1994 Tobias Pils, 1995 Maria Hahnenkamp, 1996 Otto Zitko.

Die meisten der prämierten Werke sind sehr innovativ. Durch den Preis wurde die Öffentlichkeit frühzeitig auf Begabungen aufmerksam gemacht. Einen Beweis dafür lieferte die documenta X in Kassel (1997), auf der vier ehemalige Preisträger vertreten waren: Franz West, Peter Kogler, Martin Walde und Heimo Zobernig.

1997 hat Matthias Boeckl die Leitung der Jury übernommen. Er wird sicher der Grundkonzeption des Preises treu bleiben, auch wenn er neue Wege beschreitet, was ja durchaus im Sinne des Preises ist.

Der Autor ist emeritierter Professor für Kunst an der Katholisch-theologischen Hochschule in Linz und leitete viele Jahre die Jury des Otto-Mauer-Preises.

Bis 27. Oktober läuft die jüngst eröffnete Ausstellung der Otto-Mauer-Preisträger im Salzburger Bildungshaus St.Virgil.

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