Aus ungewohnter Perspektive

Werbung
Werbung
Werbung

"Von oben her betrachtet. Dächer und Dachlandschaften“ heißt die Sommerausstellung im Museum Kitzbühel. Sie zelebriert anhand exquisiter Beispiele den Wandel des Blicks vom 17. Jahrhundert bis heute.

Egon Schiele und Alfons Walde haben sie geliebt, Gerhard Richter, Hans Weigand und Hubert Schmalix lieben sie: die Sicht auf Dächer und Dachlandschaften. Und sie sind nur fünf von jenen 18 Künstlern, deren Arbeiten zu diesem Sujet das Museum Kitzbühel für seine heurige Sommerausstellung aus diversen Sammlungen und Museen zusammengeliehen hat. Um mit ihnen fast das gesamte museale Haus zu infiltrieren inklusive des prächtigen Dachgeschosses, das für die Dauer der Schau aufgerissen worden ist für eine auf den Giebel gesetzte hölzerne Plattform, von der aus sich schön nicht nur auf die Dachlandschaft Kitzbühels blicken lässt.

Großer Lauschangriff

Die hat sich doch noch so einiges von jenem Charme erhalten, der Alfons Walde vor fast hundert Jahren zu seinen Bildern inspiriert hat. Hier im luftigen Außenraum hat auch Hans Weigand eine große Folie montiert, deren Motiv die Wirklichkeit auf eigene Art und Weise dupliziert: indem er Sequenzen des Gesehenen ineinander verschachtelt und mit riesigen Satellitenschüsseln garniert, die ausgerichtet sind auf den großen Lauschangriff aus dem bzw. in das Weltall. Nicht von Außerirdischen, sondern von den Beatles stammt allerdings der Song, der hier oben erklingt - entstanden während der Aufnahmen zum legendären Album "Let it be“ der Pilzköpfe am Dach ihres Londoner Studios. Diese hölzerne Aussichtswarte wird nach dem Ende der Schau wieder abgebaut, die Waldes werden bleiben, die ausgeliehenen Bilder und Skulpturen wieder heimreisen. Auch die absoluten Highlights der Schau: Egon Schieles "Kleine Stadt“ von 1914 und das "Stadtbild“, das Gerhard Richter 45 Jahre später gemalt hat.

Der Schiele erscheint als raffiniert in der Fläche zelebriertes Puzzle aus Linien und Flächen, in seiner Anmutung reduziert zur dekorativen Metapher für das Urbane schlechthin. Gerhard Richter hat sein "Stadtbild“ in einer Zeit gemalt, in der sich der Künstler vom Hyperrealismus gerade verabschiedet, um die Wirklichkeit in sämtlichen Nuancen zwischen Weiß und Schwarz malerisch aufzulösen. Naturgemäß mehr mit Schiele verwandt sind die Ansichten von Kitzbühel, die Alfons Walde gemalt hat - im Sommer wie im Winter, mit und ohne Schnee, den er so wiedergeben konnte wie kein anderer.

Fast von der übermächtigen Natur erdrückt kommen dagegen die "Berghöfe im Wipptal“ von 1921 von Wilhelm Nikolaus Prachensky daher. Allzu fröhlich dekorativ erscheint im Gegensatz dazu die zu bunten Geometrien aufgelöste Spielzeugstadt von Hubert Schmalix.

Immer eine Freude ist dagegen die hintergründig stille Kunst von Rudolf Wacker, die in ihrer beklemmenden, die Luft abschnürenden Hermetik weniger ein friedliches Behaustsein als ein Gefangensein meint. Das Haus wird auch bei Olaf Quantius zur Metapher. Er hat das Modell einer hölzernen, Geborgenheit suggerierenden Hütte in die Schau gestellt und daneben das Bild eines Hauses gehängt, dessen Tür weit offen steht - die Farbe rinnt, die Realität verschwimmt.

Um das Dach bzw. das geöffnete Fenster als Äquivalent für das Öffentliche bzw. Private geht es dagegen in Siggi Hofers akribisch mit Buntstiften auf ein riesiges Blatt Papier gezeichneter "Demokratie“. Als politisch aufgeladenes Statement sind auch die Fotografien zu verstehen, die der Südafrikaner David Goldblatt aus der Vogelperspektive von den Slums seiner Heimat geschossen hat. Größer könnte der Kontrast nicht zu dem Stich von Andreas Faistenberger sein, der 1620 den "Kosmos Kitzbühel“ als schräg idyllische Insel konstruiert hat. Für Erwin Wurm wiederum sind seine in Alu gegossenen Häuser die idealen Orte, um auf ihren weichen Dächern die Abdrücke seiner Knie bzw. seines Hinterteils zu hinterlassen.

Auf Megastädte fokussierte Satellitenbilder sind die Basis von Nikolaus Schletterers dekorativ alles Individuelle zu Mustern auflösenden Bildern, während jene von Ines Lombardi in poetisch flirrender Monochromie eine Ahnung von der Brutalität einer Stadt wie São Paulo transportieren.

Sturz in die Tiefe

Klassische Medien wie Malerei, Zeichnung und Fotografie machen den Schwerpunkt der von Günther Moschig klug kuratierten Schau im Museum Kitzbühel aus, in der auch ein Video nicht fehlen darf, das allerdings bereits 1970 entstanden ist. Es stammt vom Amerikaner Bas Jan Ader, und seine Hauptdarsteller sind er und sein Haus, auf dessen Dach der Künstler anfangs in höchst labilem Gleichgewicht auf einem Stuhl sitzt, bevor er in die Tiefe stürzt. Dass hier ein zutiefst trauriger Mensch mit den Mitteln des Slapsticks über den Sinn des Lebens räsoniert, ist wohl nicht schwer zu erraten.

Von oben her betrachtet

Dächer und Dachlandschaften

Museum Kitzbühel

bis 31. Okt., tägl. 10-17, Do bis 20 Uhr

www.museum-kitzbuehel.at

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung