Ausbruch aus diffusem Unbehagen

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Patricia Josefine Marchart gelingen in ihrem Roman "Jemand" über eine Frau mit Sinn- und Lebenskrise zwar nicht immer existenzielle Verankerungen der Geschichte, aber doch immer wieder starke Passagen.

"Jemand" ist der Titel des ersten Romans, den die Linzer Autorin Patricia Josefine Marchart nach ihrem Prosadebüt "Wilde Geschichten von Frauen" (2002) nun vorlegt; und der Titel lässt erahnen: Hier kommt etwas sehr gewichtig daher, das vielleicht in eine leichtere Verpackung besser gepasst hätte.

Pubertätsgeschichte

Die Autorin wie die Ich-Erzählerin Gerda Sanders haben zwar die 30 schon überschritten, aber der schmale "Roman" ist letztlich doch eine Pubertätsgeschichte geworden. Nun ist die Pubertät im Einzelleben zweifellos eine einschneidende Epoche, auch wenn sich beim Leser ob der Vielzahl an Pubertätsgeschichten leicht Ermüdungserscheinungen breit machen.

Dazu kommt das Problem dieser Generation, deren Jugend an welthistorischen wie familiären Erschütterungen oft vergleichsweise arm verlief. Die Älteren hatten wenigstens noch mit Auswüchsen echt schwarzer Pädagogik zu kämpfen. Das war unangenehm zum Erleben, ließ sich aber retrospektiv gut erzählen.

Marchart begegnet dem relativen Erlebnisvakuum mit einer Neigung zu Aufladung und Inszenierung von Alltagsgebärden oder Gegenständen, und seien es die Rollos im Schlafzimmer der neu gemieteten Wohnung: "Es musste ein besonderer Tag sein, an dem ich sie hinaufziehen wollte."

Und die Autorin wählt das größte Thema des Lebens, den Tod, und eröffnet es mit einem starken Auftakt. Die junge Frau ist Masseuse, und eines Tages stirbt ihr ein Klient buchstäblich unter den Händen weg. "Ich habe einen Schwur gemacht. Ich werde alles tun, um herauszufinden, was das Leben ist", heißt es gleich zu Beginn, und das lässt Sandra "Grenzerfahrungen" suchen und bringt zugleich die Erinnerungen an all die kleinen Erlebnisse der Kindheit zum Sprudeln.

Jagd nach sich selbst

Auf der Jagd nach sich selbst und dem Sinn und dem Leben reist Sandra zunächst ans Meer nach Italien und sucht dort einige - auch erotische - Abenteuer. Wieder zu Hause spielt sie mit dem Gedanken, ihren eigenen Tod vorzutäuschen, um endlich frei zu sein. Das wäre relativ leicht möglich, weil ihre einzige Freundin Lea Pathologin ist und eine Ersatzleiche willig zur Verfügung stellen würde.

Keine Einengungen

Gerade rechtzeitig wird Sandra klar, dass dieses Manöver nicht nur eine starke Heldin, sondern vor allem ein starkes Gemäuer braucht, aus dem es auszubrechen lohnt. In Marlen Haushofers Roman "Eine Handvoll Leben" (1955) etwa täuscht die Ich-Erzählerin einen Selbstmord vor, um den klassischen Zielort und zugleich das Gefängnis der Frauen in den 1950er Jahren - Ehemann, Kind, Eigenheim - wieder verlassen zu können. Doch in Sandras Fall sind keine äußeren Einengungen da. Die junge Frau lebt allein und autonom und ihre Probleme, soweit sie uns zugänglich werden, liegen in ihrer Beziehungslosigkeit und einem diffusen Unbehagen, das Leben nicht so recht zu fassen zu bekommen. Dem begegnet sie mit eigenartigen Obsessionen, einer latenten Neigung zur Nekrophilie und einem gewissen Zähl- und Systematisierungswahn.

So ergeht es ihr auch auf der Flucht. Wie sehr sie sich zu Spontaneität zwingt, es wird immer wieder etwas Regelhaftes daraus. Befreit wird sie aus ihrer Sinn- und Lebenskrise schließlich etwas unvermutet durch die Liebe zu Joel, den sie in einer Bar kennen lernt.

Auch wenn die existenzielle Verankerung der Geschichte nicht ganz überzeugt, gelingen der Autorin immer wieder starke Passagen. Am besten vielleicht jene, wo sie sich zu Figuren am Rande des Geschehens Lebensgeschichten ausdenkt. Diese Miniaturen, sei es über den Schalterbeamten in Foggia oder die verstorbene Vormieterin, sind dicht, verzichten auf jede Überladung, und ihre Knappheit passt gut zur Sprache des Buches, die aus sehr kurzen, einfachen Sätze besteht. Etwas erdrückend wirken die ständig wiederholten Formeln "die Wahrheit ist" und "es interessierte mich"; auch schiefe Bilder wie "Er ... drückte sich zwischen mich" wären vielleicht zu vermeiden gewesen. Sehr stimmig hingegen sind die gezielt gesetzten Austriazismen. Ein schönes Wort wie "Unterleibchen" habe ich schon lange nicht mehr gedruckt gesehen.

Jemand

Roman von Patricia Josefine Marchart

Jung und Jung Verlag, Salzburg 2005

166 Seiten, geb., e 19,50

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