Ausgerissen und Entwurzelt

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Die Porträts der Fotografin madame d'Ora zeigen Vertriebene nach dem Zweiten Weltkrieg - Gesichter von menschen ohne Boden, nicht fremd der unsrigen Zeit.

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Die Porträts der Fotografin madame d'Ora zeigen Vertriebene nach dem Zweiten Weltkrieg - Gesichter von menschen ohne Boden, nicht fremd der unsrigen Zeit.

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Sie war ein Star, der hellste Stern am Wiener Fotografen-Himmel. "Die Photobildnisse des Fräulein d'Ora weichen von der Alltagsmache weitaus ab", jubelte 1909 die "Photographische Korrespondenz". Ihre Bilder "verraten ein zielbewußtes Streben, die zu porträtierende Person in der günstigsten Phase aufzufassen und man vermißt mit großer Genugtuung das sonst so vielfach beliebte Beiwerk, wie es zumeist üblich ist". Die Fachzeitschrift "Deutsche Kunst und Dekoration" klatschte im Jahr darauf Beifall: "Es gelingen ihr Bildnisse, die nicht das mindeste von dem Seelenlosen, Maskenhaften, Gezwungenen der berüchtigten Berufsphotographen-Aufnahmen enthalten."

Ganz stimmte das nicht. Denn als die 1881 in einem großbürgerlich-jüdischen Wiener Haus geborene Dora Kallmus mit 26 Jahren ein Fotostudio eröffnete, wurde sie unter dem Künstlernamen Madame d'Ora nicht nur schnell berühmt, sondern sie galt auch als berüchtigt. "Für Deine Arbeit gehst Du über Leichen", sagte ihre Schwester. Und die von ihrem kometenhaften Aufstieg überraschte wie verärgerte Wiener Fotografen-Szene (vorwiegend älter, natürlich männlich) unterstellte ihr Skrupellosigkeit. Kallmus selbst sah sich als Vorkämpferin von Frauen in der Berufsfotografie und "self-made woman", die es brillant verstand, neben der Kundschaft die Künstlerin werbewirksam ins rechte Licht zu rücken. Folgendes Kompliment aus der Zeitschrift "Die Dame" dürfte sie gefreut haben: "Man möchte sagen, sie ist tüchtig wie ein ganzer Kerl."

Das Who's Who Wiens

Ihre Kundenliste war das Who's Who des damaligen Wiens: Arthur Schnitzler wollte genauso mit Kind und Kegel von "der d'Ora" porträtiert werden, wie sich der spätere Kaiser Karl samt Familie von ihr ins richtige Licht rücken ließ. Gustav Klimt und Alma Mahler drückten sich im d'Ora-Studio ebenso die Klinke in die Hand wie Karl Kraus, Alban Berg, Max Reinhardt, Tina Blau, Anna Sacher "Fast täglich richtet mein Publikum die Frage an mich:'Wie werden Sie mich machen?'", beschrieb d'Ora ihre Fotokunst: "Ich lache und antworte fast stets:'Ich weiss es nicht.' Ich weiss es nämlich auch wirklich nicht -es kommt eben, das ist das ganze Geheimnis."

1925 zog Madame d'Ora nach Paris, ihr Geheimnis nahm sie mit, und auch der Erfolg übersiedelte in ihrem Gefolge von der Donau an die Seine. Madame d'Ora wurde zur Fotografin der Schönheit mit Modellen wie Josephine Baker oder Coco Chanel. "Machen Sie mich schön, Madame d'Ora!", lautet deshalb der treffende Titel einer noch bis Ende des Monats zu sehenden Ausstellung über die Mode-und Societyfotografin d'Ora im Leopold Museum.

Gleichzeitig präsentiert das Photoinstitut Bonartes auf der anderen Seite des Wiener Rings die andere Seite der d'Ora: "Porträts der Entwurzelung". Ohne Glamour und ohne Glanz. Selbst entwurzelt, fotografierte d'Ora 1948 Vertriebene in Salzburger und Wiener Flüchtlingslagern. Die Nationalsozialisten hatten den Himmel des Stars zerstört, sie aus ihren Heimat(en) Wien und Paris vertrieben, der Krieg hatte ihr fast alles genommen: Beruf, Besitz, ihre Schwester wurde im KZ ermordet, sie selbst überlebte als U-Boot in einem französischen Bergdorf. In die Zeit danach rettete Kallmus aber die Kunst der Madame d'Ora. "Mit der Fotografie wollte ich mich in eine Welt versenken, von welcher ich glauben konnte, sie sähe so aus, als wäre sie meine", beschrieb Dora Kallmus ihre Fotokunst.

Dieser Leitidee, sich in die jeweilige Welt ihrer Motive zu versenken, blieb sie auch nach der Zäsur des Zweiten Weltkriegs verpflichtet. Nach wie vor "beflügelt von den Schwingen des Genies", mit geschultem Auge für das beste Licht und Gespür für den richtigen Moment und sprechendsten Bildausschnitt fotografierte sie Menschen ohne Wurzeln, ohne Boden.

Dass diese Fotos 70 Jahre später so heutig erscheinen, hat mit den jetzigen Zeitläuften zu tun, in denen das Thema Flucht wieder allgegenwärtig und entwurzelte Menschen zum nahen, für viele zu nahen Nachbarn in Not geworden sind. Verblüffend gleich wie heute auch die ablehnende Reaktion von Politik und Bevölkerung gegenüber den damaligen "Displaced Persons" (DPs). Wobei zwischen den 327.000 deutschsprachigen Flüchtlingen, den 124.000 fremdsprachigen und 19.000 jüdischen DPs nicht groß unterschieden wurde der mit antisemitischen und ausländerfeindlichen Argumenten unterfütterte Tenor lautete: Weg! Bis einem US-Offizier der Geduldsfaden riss, er gegenüber dem österreichischen Außenminister klarstellte: Österreich solle sich nicht so aufführen, als ob es "einer der alliierten Staaten wäre und als ob es nicht selbst dazu beigetragen habe, dass sich gegenwärtig so viele DPs in seinem Staatsgebiet aufhalten".

Anlass und Hintergrund der von d'Ora in Flüchtlingslagern fotografierten Serie der "Displaced Persons" sind nicht restlos geklärt. Wahrscheinlich fotografierte sie im Auftrag des UN-Flüchtlingswerks. Während jedoch die anderen UN-Fotos aus der Zeit von heroischen Hilfeleistern und passiven, folgund arbeitsamen Hilfsempfängern erzählen, um die Umsiedlung in Aufnahmeländer zu erleichtern, öffnen die Fotos von d'Ora einen Blick in Leid und Perspektivlosigkeit der Heimatvertriebenen. D'Oras Fotos illustrieren die wissenschaftlichen Ergebnisse der Schweizer Psychiaterin Maria Pfister-Ammende, die als eine der Ersten nach dem Zweiten Weltkrieg die Schwierigkeiten von Flüchtlingen bei der Anpassung an eine fremde Umgebung, die extreme psychische Belastung des Lagerlebens und die soziale Randposition von Flüchtlingen untersuchte: "Inmitten eines lebendigen, arbeitenden Volkes muß er sich als 'Flüchtling' erkennen, als Mensch ohne Boden, für den Augenblick im Nichts."

Im dunklen Licht

Die im Schatten sieht man nicht, heißt es anderswo. Madame d'Oras Porträts zeigen Schattenmenschen im dunklen Licht ihres Alltags. Für Magdalena Vukovi´c, Kuratorin der Bonartes-Ausstellung, zeigt die Analyse der Fotos, dass d'Ora auch beim Fotografieren in den Flüchtlingslagern auf jene bewährten Strategien setzte, "die zeit ihrer Karriere als Porträt-und Modefotografin zu ihren Markenzeichen gehörten": die sorgfältige Inszenierung und gezielte Lichtführung. Vukovic´: "Die Räume wirken dennoch kaum erhellt, betont doch die Fotografin mit den Lichteffekten paradoxerweise ihre Düsterkeit." Bilder starker Brüchigkeit und Zeugen dafür, wie schnell, wie tief Entwurzelung gehen kann.

Ein weiterer, um nicht zu sagen der glaubwürdigste Zeuge für die Folgen von Heimatlosigkeit ist Madame d'Oras Zeitgenosse Stefan Zweig. Obwohl Kosmopolit sein Leben lang, obwohl vermögend, obwohl bewundert, fehlt dem entwurzelten Wiener Europäer die Kraft, anderswo wieder Wurzeln zu schlagen. 1942 setzt er gemeinsam mit seiner Frau "durch die langen Jahre heimatlosen Wanderns erschöpft" dem Leben ein Ende. "Denn losgelöst von allen Wurzeln und selbst von der Erde, die diese Wurzeln nährte, - das bin ich wahrhaftig wie selten einer in den Zeiten", schreibt Zweig in der Einleitung zu "Die Welt von gestern", die auch die Welt von Madame d'Ora war. "Am Tage, als ich meinen Paß verlor, entdeckte ich mit 58 Jahren, daß man mit seiner Heimat mehr verliert als einen Fleck umgrenzter Erde", lautete Zweigs Erkenntnis im Exil.

Madame d'Oras Porträts zeigen dieses Mehr an Verlust und beschreiben dieses Loch, das nach dem Rausreißen der Wurzeln bleibt. Nur die Stärksten, die Mutigsten, die Wenigsten schaffen es wie Dora Kallmus sich als Madame d'Ora ein zweites Mal zu erfinden, sich wieder zu verwurzeln und mit dem Verlust der ersten Wurzel nicht zu verkümmern, sondern erneut zu wachsen: "Und dass man mir Alles genommen hat, kommt den Photos zu gut", wird sie im Ausstellungskatalog zitiert, "denn Alles ist nur überflüssiger Ballast".

Authentisch

Vor dem Zweiten Weltkrieg war Madame d'Ora (geboren am 20. März 1881 in Wien - gestorben am 28. Oktober 1963 in Frohnleiten) Fotografin der Reichen und Schönen. Später fotografierte sie in Flüchtlingslagern -und setzte weiterhin auf Licht und Gespür. So schuf sie düstere, authentische Bilder, die beklemmend von Entwurzelung erzählen.

Bilderstarke Brüchigkeit Die Fotos links fotografierte d'Ora 1948 in einem Salzburger Flüchtlingslager.

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