Aushöhlung des Berufsbeamtentums

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Die laufende Diskussion über ein neues Vertragsbediensteten-Recht wirft verfassungsrechtliche Fragen auf. Die Vertretung der Bundesverfassung dürfte in diesem Zusammenhang aber nicht die Aufgabe der Gewerkschaft öffentlicher Dienst (GÖD) sein.

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Die laufende Diskussion über ein neues Vertragsbediensteten-Recht wirft verfassungsrechtliche Fragen auf. Die Vertretung der Bundesverfassung dürfte in diesem Zusammenhang aber nicht die Aufgabe der Gewerkschaft öffentlicher Dienst (GÖD) sein.

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Daß die österreichische Bundesverfassung die bestimmende Grundordnung unseres Staates ist oder zumindest sein sollte, ist allgemein bekannt. Desgleichen ist schon über Fachkreise hinausgedrungen, daß es sich beim B-VG 1920 um eine Ruine handelt. Tatsächlich wird in Österreich zwischen der Realverfassung (das ist das, was wirklich gilt) und der geschriebenen Verfassung im B-VG 1920 unterschieden. So finden sich beispielsweise weder das Einstimmigkeitsprinzip im Ministerrat noch der Klubzwang im Parlament in der Bundesverfassung, beide sind aber nichtsdestotrotz nicht bloß existent, sondern vielfach wirksam. Soll aber deshalb die Rechtswidrigkeit zur Norm erhoben werden?

Im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt wurde eine Neuordnung der Kompetenzen und damit eine umfassende Novelle der Bundesverfassung zwischen Bund und Ländern vereinbart. Ansätze dafür gab es unter dem Schlagwort Bundesstaatsreform. Herausgekommen ist dabei bisher konkret noch nichts. Aber vielleicht ist das sowieso besser. Was soll eine neue Aufgabenverteilung zwischen den Gebietskörperschaften, wenn in Wahrheit der Schwerpunkt der normativen Vorgaben nach Brüssel gewandert ist? Nach Brüssel, zum Sitz der Kommission, nicht nach Straßburg, zum Europäischen Parlament. Schlägt sich das nicht auch mit dem demokratischen Grundprinzip unserer Verfassung?

Aber was soll's - in einer Gesellschaft, in der der wichtigste Wert der des Geldes ist und die Entwicklung der Börsenindices zentralen Stellenwert in der Berichterstattung hat? Wen interessiert da die Verfassung? Sie wird zwar zu runden Jubiläen gepriesen, unter Hinwegsetzung über verfaßte Grundsätze eher leichtfertig geändert, wenn schlagkräftige kleine Gruppen etwas fordern - aber sonst eher als eine Behinderung der flexibel an der veröffentlichten Meinung orientierten Politik verstanden.

Die verfassungsrechtliche Dimension der Auseinandersetzung über das neue Vertragsbediensteten-Recht des Bundes über die Besetzung von Spitzenpositionen in der Verwaltung künftig auch durch Vertragsbedienstete ist in der Öffentlichkeit noch nicht einmal andiskutiert. Über den Fernsehschirm flimmert lediglich eine Hackelei zwischen Beamtenstaatssekretär und Gewerkschaft. Wieso soll es überhaupt Beamte geben und wieso sollen nur diese Spitzenpositionen bekleiden dürfen, fragt sich der interessierte Bürger wohl zu Recht? Die Gewerkschaft ist mit ihren Bestrebungen nach einem Funktionsvorbehalt für Beamte - so scheint es zumindest - nur gegen die moderne Zeit und will überholte Privilegien retten. Daß mit einem System, das den Berufsbeamten zu einem Auslaufmodell macht, tiefgreifende Änderungen der Bundesverfassung bewirkt werden, wird bisher kaum zur Kenntnis genommen. Sicher auch deshalb, weil keiner der Akteure auf der politischen Bühne Jurist ist. Ein Staat kann aber ohne Recht und ohne Verfassung wohl kaum auskommen.

Die Bundesverfassung baut in vielfacher Weise auf der Existenz von Berufsbeamten auf. Diese werden nach ihrer Vorbildung aufgenommen, erwerben in einem System der beruflichen Weiterbildung spezifische Fachkenntnisse und sind einem strengen Disziplinarrecht unterworfen. Schon durch ihre grundsätzlich lebenslange Bindung an den Staat und die damit gegebene Abhängigkeit der Beamten vom Staat tragen sie eine höhere Verantwortung für dessen Funktionsfähigkeit, als beispielsweise hoch bezahlte Manager, die bald da bald dort tätig sind und oft genug nach einigen Jahren Tätigkeit einen Trümmerhaufen zurücklassen. Die Söldnermentalität (wer zahlt, bestimmt) war nicht die Haltung der Gründerväter der Republik. Es ist daher konsequent, daß die Führung der Verwaltung von der Bundesverfassung in Art. 20 den berufsmäßig Ernannten (d.h. den Beamten) und den auf Zeit gewählten Organen übertragen wurde. Da die zwanziger Jahre von basisdemokratischen Überlegungen geprägt waren, sollten auch bestimmte Verwaltungsorgane, wie die Bezirkshauptleute, gewählt werden.

Bereits 1923 hatte der Verfassungsgerichtshof vor dem Hintergrund der Frage, ob ein Totengräber Beamter sein muß, die Frage zu lösen, ob in der Verwaltung überhaupt Beamte eingesetzt werden dürfen. Da dies grundsätzlich bejaht wurde, war damit ein genereller Beamtenvorbehalt, wie er etwa im Bonner Grundgesetz vorgesehen ist, dahin. Vermutlich aber aus gutem Grund, denn das Führen der Verwaltung hat mit der zwar wichtigen, aber doch eine Hilfsfunktion darstellenden Totengräberei nichts zu tun. Führen der Verwaltung ist auch mehr als das Besorgen von Verwaltungsaufgaben. Bereits der Sprachsinn zeigt, daß hier die richtungsgebende Aufgabe angesprochen ist. Da die Beamten und die gewählten Organwalter zum Führen alternativ berufen sind, würde eine andere Interpretation wohl bedingen, daß auch einfache Referenten und Kanzlisten gewählt werden könnten. Das wäre aber wohl doch zu aufwendig; ein derartiger Sinn sollte den Verfassungsvätern nicht unterstellt werden.

Bereits 1925 wird das im Art. 20 angesprochene basisdemokratische Modell der gewählten Vollzugsorgane im Bereich der Verwaltung auf Verfassungsebene nicht mehr weiter verfolgt. Der Bundesverfassungs-Gesetzgeber schreibt für die Organisation der Ämter der Landesregierung vor: Den Abteilungen und Gruppen stehen Beamte des Amtes der Landesregierung vor. Unter der unmittelbaren Aufsicht des Landeshauptmannes obliegt die Leitung des inneren Dienstes dem Landesamtsdirektor. Dieser Landesamtsdirektor hat nach Art. 106 B-VG ein rechtskundiger Verwaltungsbeamter zu sein. Dieser Funktionsvorbehalt wurde nur für die Landesverwaltung ausdrücklich so festgeschrieben, nicht weil er für die Bundesverwaltung nicht gelten sollte, sondern weil eine vergleichbare Vorgangsweise für diesen Bereich selbstverständlich war.

Diese Selbstverständlichkeit findet ihren Ausdruck im B-VG auch darin, daß "ein leitender Beamter" vorübergehend mit der Leitung eines Ministeriums betraut werden kann (Art. 71 und 73 B-VG). Der Präsident des Rechnungshofes wird vom rangältesten Beamten des Rechnungshofes vertreten und dergleichen mehr. Dem Bundespräsidenten obliegt die Ernennung der Bundesbeamten, die hinsichtlich der höheren Beamten auch im Sinne von "Macht braucht Kontrolle" ausgeübt werden kann.

Alle diese Regelungen deuten auf einen Funktionsvorbehalt in dem Sinne hin, daß Führungsaufgaben in der Verwaltung von Beamten wahrzunehmen sind. Dem für bestimmte Funktionen im Landesbereich ausdrücklich normierten Funktionsvorbehalt für Beamte ist im Sinne des dienstrechtlichen Homogenitätsgebotes (die Dienstrechte der Gebietskörperschaften dürfen voneinander nicht soweit abweichen, daß ein Wechsel im Dienstverhältnis nahezu unmöglich wird) eine Rückwirkung auch auf den Bundesgesetzgeber beizumessen. Da Berufsbeamte in einem lebenslangen Dienstverhältnis nach dem Vorbildungsprinzip und dem Erfahrungsgrundsatz eingesetzt werden, setzt ein solcher Funktionsvorbehalt voraus, daß Beamte zumindest in einer repräsentativen Zahl auch tatsächlich vorhanden sind; nur aus einem solchen Kader heraus können Führungsfunktionen entsprechend nachbesetzt werden.

Eine gesetzliche Regelung, die eine im Verhältnis zur Besoldung der Beamten finanziell attraktivere Gestaltung der Vertragsbediensteten-Laufbahn bei gleichzeitiger Beschränkung der Aufnahmemöglichkeit in das öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis vorsieht, läßt in Verbindung mit der vorgesehenen Neuregelung des § 9 des Bundesministeriengesetzes (Eröffnung aller leitenden Funktionen für Vertragsbedienstete) eine drastische Reduzierung, wenn nicht das Aussterben der Berufsbeamten in den meisten Bereichen der Verwaltung erwarten. Eine derartige gesetzgeberische Maßnahme, die über weite Strecken der Laufbahn Vertragsbedienstete besoldungsrechtlich derart besser stellt, daß künftig im Bereich der Verwaltung nur Personen, für die die Höhe des Arbeitsentgeltes nicht entscheidend ist, das öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis anstreben werden, führt zu einer verfassungsrechtlich im höchsten Maße bedenklichen Reduzierung der Berufsbeamten. Deren in wesentlichen Funktionen bestehende Existenz ist aber in der Bundesverfassung vorausgesetzt und verankert. Der Verfassungsgesetzgeber hat es 1994 noch für notwendig erachtet, für die befristete Betrauung von Beamten mit Spitzenfunktionen eine eigene verfassungsrechtliche Grundlage zu schaffen. Nunmehr soll für den demgegenüber viel gravierenderen Eingriff - nämlich die generelle Öffnung der Leitungsfunktionen gegenüber Nichtbeamten - keine verfassungsrechtliche Neuregelung vorgenommen werden. Die Entwicklung des öffentlichen Dienstes im Bundesbereich sollte aus verfassungsgrundsätzlichen Überlegungen aber nicht durch eine scheibchenweise Änderung der Verhältnisse erfolgen.

Der Autor ist Hofrat am Verwaltungsgerichtshof.

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