Schublade auf, Autor und Werk hinein, Schublade zu - nun können Autor und Werk drin liegen bleiben und die Rezensenten fröhlich voneinander abschreiben, mit dem Griff in dieselbe Schublade. Vorgeblich schreiben Literaturkritiker gegen Etikettierungen an, doch oft kleben gerade sie die Etiketten an die Laden, mit Superkleber. Für manchen Autor mag es das Ende der Karriere bedeuten, bei anderen wiederum erweist sich die Schublade nicht als Sarg, sondern als Trittbrett.
Ende der neunziger Jahre erfand der Spiegel das "Fräuleinwunder" auch für die Literatur - die "Fräuleins" waren damit ziemlich unschön etikettiert, aber PR-wirksam war die Marke allemal. Der Buchmarkt ist ein Markt, und auf Märkten tummeln sich die Marken, nicht nur jene der Verlage und der Medien, sondern auch jene der Autorinnen und Autoren. Die Sehnsucht der Leser nach "human touch" - oder waren es die Medien? Wer war zuerst: die Henne oder das Ei? - kommt den "medienkompetenten" Autoren dabei sehr entgegen. Je schöner (die Person, nicht der Text), desto lieber gesendet und gesehen. Wer dem Stil entspricht, schafft es ins Lifestyle-Magazin, mit welcher Literatur auch immer. Autorinnen treten als Fürsprecher und Statthalter der eigenen Texte auf, Porträts und Interviews zeigen sie beim Füttern der Katze oder beim Tauchen im Meer. "Halten Sie mal eben den Handschuh des Ritters in die Kamera, über den Sie da neulich geschrieben haben!", pointierte die Schriftstellerin Felicitas Hoppe dieses lächerliche Bemühen (nicht nur) des Fernsehens, den Prozess literarischer Gestaltung ins Bild zu setzen. "In der Homestory, früher auch schlichter Autorenporträt genannt", schreibt Hoppe, "treffen wir den Autor in seinen vier Wänden. Aber wen treffen wir wirklich?" Weder den Autor noch den Text.
Wozu dann Literatur?
Die berühmte Frage "Was will der Dichter mit seinem Werk uns sagen?" kennt wohl jeder. Peter von Matt hat einmal pointiert festgestellt: "Er könnte es auch direkt sagen, tut es aber nicht. Daher müssen wir es herausfinden, damit wir gegebenenfalls einen Aufsatz darüber schreiben können." Wenn der Autor erzählen soll, was er der Welt mit diesem Buch sagen wollte, wird er zur Zitronenpresse seines eigenen Werkes. Mehr noch: Was er der Welt mit seinem Werk sagen wollte, sollte nach Möglichkeit relevant für das Leben sein.
Aber wenn es nur um Themen ginge, wozu dann Literatur, fragt sich auch der Schriftsteller Hugo Loetscher: "Wenn es sich nur darum handelt, den Leser für ein Problem zu sensibilisieren: Weswegen ein Roman und nicht ein Rapport und warum eine Erzählung und nicht eine Analyse? Weswegen quält sich einer mit dem Rhythmus im Vers ab statt mit Statistik? Und weswegen die Bühne und nicht direkt die Kanzel?"
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