Autorisiert zum Massaker

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Europa war erstaunt, als sich 1809 die Tiroler gegen Bayern und Napoleons Armee erhoben. Tirol gedenkt heuer dieses Aufstandes. Sein Held, Andreas Hofer, war eine tragische Figur.

In den nächsten Wochen wird es in Tirol oft gesungen werden, das traurige Andreas-Hofer-Lied. „Es blutete der Brüder Herz … ganz Deutschland, ach, in Schmach und Schmerz“. Es geht um einen Rebellen aus den Alpen, einen Wirt aus dem Passeiertal, der Bauernsoldaten vor 200 Jahren zu erstaunlichen Siegen gegen die besten Armeen geführt hat.

Dieser Andreas Hofer ist noch immer ein Held, auch wenn er ideologisch missbraucht worden ist. Aber es besteht kein Zweifel, dass seine tragische Hinrichtung in Mantua die Konsequenz seiner falschen Verhaltensweise war – was mit der Schäbigkeit der Wiener Politik zusammenhängt.

Summa summarum: Fast nichts am Heldenepos aus den Bergen ist korrekt.

Hofer war kein „deutscher“ Held – und weder in deutschen Landen noch in Österreich trauerte man auch um ihn. Er war ein patriotischer Tiroler, dessen Kampf sich nicht gegen den Weltgeist Napoleon richtete, sondern gegen die mit Frankreich verbündeten Bayern. Er hasste die „boarischen Facken“ (bayrischen Schweine), empfand sie als Besatzer und wollte sie aus Tirol vertreiben.

Er kämpfte nicht um die „Freiheit“, sondern für die Rückkehr zur habsburgischen Zeit vor 1805; die von Kaiser Josef II. konzipierte Verwaltung – aufgeklärt, bürokratisch, zentralistisch – war ihm ein Gräuel. Die ähnlichen Reformen der Bayern waren der Grund des Aufstands von 1809.

Hofer kämpfte gegen die Modernisierungen in der katholischen Kirche; sein Zuhause war der Barockkatholizismus mit Heiligenkosmos und Wallfahrtskult. Wirte und Priester machten aus dem Aufstand von 1809 einen Kreuzzug gegen die „Gottlosen“.

Hofer kämpfte für die Erhaltung der Rechte der Tiroler Bauern und die Beibehaltung des Landlibells (1511), demzufolge Tiroler nur zur Verteidigung ihrer Grenzen ausgehoben werden durften. Die Bayern aber benötigten Kanonenfutter, um ihren Pflichten als Verbündete Napoleons nachzukommen.

Und nicht zuletzt war der „Sandwirt“ ein Gegner der bayrischen Fiskalpolitik, die seinen Weinhandel über die Pässe hinweg beeinträchtigte, indem man Steuern sogar auf Pferde und Maultiere einhob.

Hofer war nicht Repräsentant des ganzen Tirolervolkes. Die italienisch-sprachigen Welschtiroler stellten seine Autorität in Frage. Am Wiener Hof hatte er Gegner, denen seine selbstherrliche Regentschaft zuwider war – allen voran Kaiserin Maria Ludovika: „Mit welchem Recht können wir die Tiroler zur Untreue gegen ihren rechtmäßigen Gebieter aufmuntern? Und das ist der König von Bayern …“, schrieb sie an Erzherzog Johann, den Patron des „Bärtigen“ in Wien.

Der Tiroler Befreiungskampf war kein Ruhmesblatt für die Mappe der Menschlichkeit. Beide Seiten verübten Grausamkeiten. Für die katholischen Franzosen und Bayern hatte der Sandwirt seinen Anspruch verwirkt, sich auf Gott zu berufen. Hofers Priester waren für sie böse „Insurgenten“ und rücksichtslose „Partisanen“ (wie es der geniale Spielfilm von Felix Mitterer „Die Freiheit des Adlers“ an der Rolle des Kapuziners Joachim Haspinger festmachte). Also ist begreifbar, was Napoleon seinem Marschall Lefebvre als Taktik im Heiligen Land Tirol befahl: „Seien Sie schrecklich“ – und: „Sie sind zu Massakern autorisiert.“

Eines allerdings war Hofer keineswegs – nämlich dumm. Die grammatikalischen Fehler in seinen Briefen und Handbillets dürfen nicht darüber täuschen, dass er zwar keine höhere Schulbildung besaß, aber wegen seiner Begabung und seines Charismas zum siegreichen „Kommandanten“ aufstieg.

Bekanntlich dauerte die Erfolgssträhne der Tiroler Selbstbefreiung vom Frühjahr 1809 bis Allerheiligen. Dann unterwarf sich Hofer den bayrisch-französischen Siegern – um den Waffenstillstand ein paar Tage später zu widerrufen. Die Kämpfe gingen weiter und er floh in sein Passeiertal. Dort erwartete er Hilfe von den Österreichern, obwohl dieses längst mit Napoleon über Frieden und eine intime Allianz handelseins waren: Die Tochter von Kaiser Franz, Maria Louise, sollte Napoleons Frau werden.

Ende Jänner 1810 wird Hofer verhaftet, am 19. Februar steht er in der alten Festungsstadt vor einem französischen Militärgericht. Der Ankläger wirft dem Sandwirt nicht die Organisation des Tiroler Aufstands von 1809 vor, sondern nur den Bruch der Waffenruhe, weil Hofer vom „Frieden von Schönbrunn“ gehört haben musste. Warum hatte der „Barbone“ nicht die Amnestie gewählt, die ihm offenstand?

Die korrekte Prozessführung war ein Spiel. In eine Brief Napoleons an den Stadtkommandanten von Mantua vom 11. Februar 1810 heißt es: „Da Hofer nun einmal in Mantua ist, geben Sie Befehl … ihn an Ort und Stelle binnen 24 Stunden zu erschießen.“

In Wien wusste man über all das Bescheid ... und nichts geschah. Man war vom Feind zum Verbündeten geworden. Kaiser Franz, dem das Ganze peinlich war, schrieb an seinen Minister Metternich am 12. Februar 1810: „Sie werden zur Befreiung und Rettung des Sandwirts vom Tode alle tunliche Verwendung eintreten lassen …“

Napoleons Auftrag an das Tribunal war zu diesem Zeitpunkt längst unterwegs.

Nun wechselte Österreich drei Jahre später wieder die Seite; Wien lud zum Kongress. Wichtigstes Ziel: Tirol musste zurück zu Habsburg. Und Europa sollte in einer „Heiligen Allianz“ gegen Aufständische jeglicher Art verschworen werden. Nur keine Helden!

Erst 13 Jahre nach der Hinrichtung exhumierten österreichische Offiziere geheim in Mantua die Gebeine Hofers. Kaiser Franz ließ die Patrioten bestrafen. Bis – weitere elf Jahre später – Hofers Reste in der Innsbrucker Hofkirche bestattet wurden.

Die Romantik blühte. Und in Deutschland schämten sich deutsche Patrioten für die seinerzeitige Zusammenarbeit ihrer Teilstaaten mit Napoleon. So auch ein sächsischer Dichter namens Julius Mosen, der den Heldentext „zu Mantua in Banden“ reimte.

Später trieben just die Bayern einen besonderen Hofer-Kult. Franz von Defregger war zwar ein geborener Tiroler, wurde aber zum Professor für Historienmalerei in München bestellt und malte dort alle großen Heldenepos-Bilder über das Jahr 1809. Der Schlachtenmal-Spezialist Peter Krafft wiederum war nie in Tirol – und auch das (derzeit umstrittene) Riesen-Rundumgemälde in der Hungerburgbahn stammt von einem Münchner namens Zeno Diemer.

Für die militanten Deutschnationalen war mittlerweile der Sandwirt zu römisch-katholisch, für Adolf Hitler später zu österreichisch. Und danach? 1948 verbot der Tiroler Landtag, das Hofer-Lied mit einem anderen Text zu verbinden. Und die Nachbarn Österreichs? Sie hatten mittlerweile ihre eigenen Helden – die Schweizer ihren Wilhelm Tell. Und Frankreich? Da blendete man die Vorfälle des Jahres 1809 in den Alpen aus. Es gibt keine Avenue de Bergisel.

Der Autor ist Journalist und Historiker, war 1975/76 FURCHE-Chefredakteur

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