B. Dumont: "Kino ist ABERGLAUBE"
Der französische Meisterregisseur Bruno Dumont über seine TV-Miniserie "Li'l Quinquin", die nun in zwei Teilen im Kino gezeigt wird.
Der französische Meisterregisseur Bruno Dumont über seine TV-Miniserie "Li'l Quinquin", die nun in zwei Teilen im Kino gezeigt wird.
Die Bestie Mensch", "Im Herz des Bösen", "Der Teufel in Person" und "Allah Akhbar" - so heißen die vier Kapitel, in welche der französische Regisseur Bruno Dumont seine erste Arbeit für einen TV-Sender (Arte) unterteilt: "Li'l Quinquin" kommt in zwei Teilen (Kapitel 1 & 2 ab 8. Mai, Kapitel 3 & 4 ab 5. Juni) ins Kino und ist dennoch ein einziger, großartiger, vielschichtiger, komödiantischer Wurf. Der kleine Quinquin (Alane Delhaye) steht als rebellischer Anführer einer Jugendgang im ländlichen Norden Frankreichs dem unbeholfenen Ermittlerduo Captain Van der Weyden (Bernard Pruvost) und Rudy Carpentier (Philippe Jorge) gegenüber, das versucht, eine Mordserie aufzuklären. Während Quinquin seiner paradiesischen Liebe zu Eve (Lucy Caron) frönt, werden im Körper von Kühen, Schweinen und Schafen immer wieder menschliche Leichen gefunden. Die "Bestie Mensch" ist das bestimmende Motiv dieser feinsinnig grotesken Abhandlung über Institutionen, Ideologien - und "innere" Werte.
Die Furche: So witzig wie in "Li'l Quinquin" waren Sie noch nie. Wie kam dieser Wandel - und warum in Form einer Fernsehserie?
Bruno Dumont: Ich sehe das als eine natürliche wie intellektuelle Entwicklung, die in gewisser Weise eine Konsequenz meiner bisherigen Arbeit ist. Es ist ja ein Missverständnis, dass etwas nicht tiefschürfend sein kann, wenn es im Fernsehen läuft - oder wenn es witzig ist oder gar beides. Die Komödie begründet sich zudem immer im Konflikt, wie er dem menschlichen Wesen eigen ist. In all meinen Filmen lauert die Komödie versteckt hinter der Tragödie. So betrachtet fühlt sich "Li'l Quinquin" für mich tatsächlich wie eine Selbstparodie an.
Die Furche: Sie betonen hier die Komödie vor allem im Grotesken.
Dumont: An der Realität interessiert mich nicht, sie naturalistisch abzubilden, auch wenn viele immer wieder sagen, ich wäre ein naturalistischer Regisseur. Mich interessiert, wie ich die Realität entstellen kann, weil ich nur dann wirklich etwas entdecken kann. In Hinsicht auf die Komödie reizt mich daher die Übertreibung, die Akkumulierung, die Wiederholung, so lange, bis an einem Punkt eine Deformierung eintritt. Ohne Entstellung kann es keine Veränderung geben und keinen Ausdruck, nur dadurch bekommt etwas Bedeutung oder Sinn und wird zu etwas, das wir Kino nennen können. Die Furche: Die Landschaft Ihrer Filme, besonders das nördliche Boulonnais am Ärmelkanal, bestimmt die Figuren - und umgekehrt - auch weil Sie zum Großteil mit ortsansässigen Laiendarstellern arbeiten.
Dumont: Das ist eine Symbiose, auch mit mir selbst, weil ich von dort stamme. Der persönliche Hintergrund der Darsteller formt die Identität der jeweiligen Filmfigur mit. Das ist überhaupt das Fundament, worauf im Kino eine Transfiguration fußen kann.
Die Furche: In "Li'l Quinquin" ist die Lösung der Mordfälle nicht vorrangig. Was bedeutet diese Aufklärungs-Verweigerung?
Dumont: Sie erlaubt mir, jeweilige Einzelteile ungehinderter zu betrachten. Die beobachtende Hinwendung zur conditio humana ist für mich für einen Film interessanter als die Bewertung menschlicher Aktionen. Der Instinkt des Menschen, seine Impulse, sein reziprokes Verhältnis mit der Natur steht für mich am Anfang jeder Aktion und auch im Fokus dessen, was ich schreibe.
Die Furche: Kommissar Van der Weyden hat eine spezielle Liebe für flämische Maler, aufgrund seiner Namensverwandtschaft und wegen ihrer disproportionalen Motive.
Dumont: An der flämischen Malerei mag ich, dass es da nicht um Perspektive geht. Darüber findet Van der Weyden seinen Zugang: Alles verhält sich zueinander unproportional, in den Gemälden, wie in seiner Welt. Bei Malern wie Govaerts und Van der Weyden werden ganz normale Menschen zu "Helden".
Die Furche: In Ihren Filmen sind Fundamentalismus und Fanatismus wiederkehrende Themen - am deutlichsten wohl in "Hadewijch","Das Leben Jesu" und "Flandern". Wo in Ihrem philosophischen Bogen über die Menschheit verorten Sie diese Fragen?
Dumont: Mehr als diese Themen in konkrete politische Kontexte zu stellen oder sie geografisch zu verankern, interessiert mich die generelle menschliche Fähigkeit zur totalen Barbarei. Das Barbarische im Menschen ist unausrottbar, egal wie "hoch zivilisiert" oder technisch fortgeschritten eine Gesellschaft ist. Man kann Barbarei weder tilgen noch permanent unterdrücken. Gerade Bereiche wie Religion und Politik sind eine Arena, in der die Menschen -je nach Macht als Individuen oder Gesellschaften - Barbarei ganz offen ausleben.
Die Furche: Die Liebe zu seiner Freundin Eve ist ein Ausdruck von Hoffnung - und damit ein weiterer Aspekt, der in Ihrer Arbeit sonst nicht so deutlich hervortritt.
Dumont: Kino ist Aberglaube. Wie bei Superman. Oder der Auferstehung. Kino ist die ganze religiöse Palette. Wir alle brauchen etwas Spirituelles, wir brauchen ein "Jenseits". Dieses Jenseits ist das Kino. Durch Kino können wir das Jenseits sehen. Dahingehend glaube ich an die Ironie. Ich bin überzeugt, dass Ironie uns rettet. Auch deswegen hatte ich große Freude daran, nun eine Komödie zu machen. Auch wenn wir wissen, dass Quinquin im Prinzip ein kleines Biest ist, das eines Tages zur großen Bestie werden wird, liegt allein in der Tatsache, dass wir das wissen, viel Ironie. Wir sind uns aber auch bewusst, dass es anders kommen könnte: Er könnte ein guter Mann werden, ein guter Mensch. Ironie ist mein Optimismus. Am Ende wissen wir ohnehin: alles war eine Täuschung.
Li'l Quinquin (P'tit Quiniquin) F 2014. Regie: Bruno Dumont. Mit Alane Delhaye, Lucy Caron, Bernard Pruvost, Philippe Jore. Stadtkino. 2 x 100 Min. Teil 1: ab 8. Mai, Teil 2: ab 5. Juni im Kino