Bären und Adrenalinstöße

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Die Bären vom Brooks River sind nicht einfach Bären, sondern Individualitäten und nicht selten Individualisten

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Die Bären vom Brooks River sind nicht einfach Bären, sondern Individualitäten und nicht selten Individualisten

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Der Bär: Projektionsfläche menschlicher Urängste, aber auch urmenschlicher Jagdleidenschaft. Auf der anderen Seite das verniedlichte und verharmloste Wildtier, auch hier das Tier, der Bär ebenso wie der Wolf, Projektionsfläche, diesmal für menschliche Harmoniebedürfnisse und Zurück-zur-Natur-Sehnsüchte. Die Mitte wird selten gehalten. Umso erfreulicher dieses Buch: "Die Bären von Brooks River - Alaskas berühmte Braunbären" von Matthias Breiter. Der 35jährige Breiter ist bei Heidelberg aufgewachsen, seit einer Bärenbegegnung in freier Wildbahn als Zwanzigjähriger auf die Bären fixiert, studierte Zoologie und etablierte sich als Autor und Fotograf für Naturthemen. Er fotografierte als Erster getauchte Bären unter Wasser: Atemberaubend!

Zu Bären fällt auch dem Österreicher allerhand ein. Zum Beispiel der Film "Der Bär", dessen Naturaufnahmen nicht in Amerika, sondern teilweise in Tirol entstanden. Wer ihn gesehen hat, erinnert sich an die Szene, in der ein Jäger in der Nahbegegnung mit einem wütenden Petz wimmernd mit dem Leben abschließt und zu einem Häufchen Elend zusammensinkt, worauf der Zorn der "Bestie" verraucht und sie sich trollt. Eine filmische Eins-zu-eins-Umsetzung der von Konrad Lorenz bei den Tieren so geliebten, in Auseinandersetzungen freilich selbst nicht angewendeten Demutsgeste. Nachahmung erfolgt auch bei der Begegnung mit Bären auf eigene Gefahr.

Dem Österreicher fällt aber zum Stichwort auch der Streit um die Auswilderung von Bären in der Steiermark ein, bei der sie von den einen als reißende Bestien dargestellt wurden - und von den anderen als brave Waldbewohner, von denen keine Gefahr ausgeht, wenn man sie nicht provoziert. Auch da das Wildtier als Projektionsfläche menschlicher Ur-Ängste und Ur-Wünsche. Dazwischen schlägt Breiter fundiertem Wissen Bahn, einem unverkrampften Verhältnis zum Wildtier bei aller gebotenen Vorsicht.

Anchorage ist nicht nur das Einfallstor nach Alaska, sondern auch der Ausgangspunkt jeder Reise in den Katmai National Park. Wenig nördlich von Anchorage beginnt das Reich des Permafrosts, des tief durchgefrorenen Bodens, der im Sommer nur oberflächlich auftaut. Der Katmai National Park mit dem Brooks River liegt aber südwestlich von Anchorage, ein kleines Paradies auf der Halbinsel zwischen Bristol Bay und Golf von Alaska am Rande der Arktis. Lachse gibt es hier in riesigen Mengen, kein Problem für Bären, sich genug Speck für den Winter anzufressen, selbst die Wölfe haben hier das Fischen gelernt, werden aber von den Petzen kurzgehalten. Ein großartiges Revier auch für Bärenbeobachter und Jagdrevier für den professionellen Fotografen.

Breiter ist auch Selbstbeobachter. Der Mensch sitzt mit seiner Kameraausrüstung am Ufer und bemerkt hinter sich eine Bärin mit zwei Jungen. Sie interessiert sich für ihn überhaupt nicht, trotzdem beginnt er zu überlegen, wie am besten von hier fortzukommen wäre. Urängste werden wach, oder besser: Ur-Erfahrungen und eine aus ihnen resultierende Ur-Vorsicht. Der Körper schüttet Adrenalin aus. Kein Wissen setzt diesen Mechanismus einfach außer Kraft. Die Bärin richtet sich zu ihrer vollen Höhe auf, fixiert einen Punkt, watet ins Wasser und fängt für sich und ihre Jungen einen fetten Lachs. Der Mensch nimmt seine Kameras und schlägt einen großen Bogen um die Jungen.

Furcht, so Breiter, ist ein ebenso schlechter Ratgeber wie Sorglosigkeit - wichtig ist Wissen. Weshalb dieses Buch jeder lesen sollte, der eine Tour in amerikanische Naturreservate plant. Um den Bären im Zweifelsfalle fernzubleiben. Denn Bären können auch dem Vorsichtigen gefährlich werden - einerseits durch ihre Neugierde, andererseits bei Begegnungen von Menschen und Bärinnen mit Jungen, oder einfach durch dumme Zufälle.

Weltweit leben noch 125.000 bis 150.000 Braunbären, die meisten davon in Rußland, mit rückläufigen Zahlen. In Nordamerika haben sie 95 Prozent ihres Territoriums verloren, noch leben schätzungsweise 50.000, davon 30.000 in Alaska, in den USA südlich der kanadischen Grenze nur noch rund 1.000. In Westeuropa halten einige Bären in Spanien, Italien und auf dem Balkan die Stellung, in Norwegen und Schweden haben sie sich nach einem Tiefpunkt in den dreißiger Jahren wieder von 130 auf 700 Individuen erholt.

Und Individuen mit höchst unterschiedlichen Eigenschaften sind die Bären wirklich. Individuen und zum Teil echte Individualisten. Wenn, was etliche Forscher annehmen, Neugierde ein sicheres Zeichen für Intelligenz darstellt, zählen Bären zu den intelligentesten Tieren. Unbekannte Gegenstände untersuchen sie jedenfalls länger und intensiver als manche Menschenaffen.

DIE BÄREN VON BROOKS RIVER Alaskas berühmte Braunbären Von Matthias Breiter Frederking & Thaler, München 1999 152 Seiten, 150 Farbfotos, geb., öS 715,- E 51,96

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