Bärendienst am Strauss

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Veronika Beci vergab mit einer schauderhaften Komponisten-Biographie eine Chance.

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Veronika Beci vergab mit einer schauderhaften Komponisten-Biographie eine Chance.

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Der musikalische Regent des Jahres 1999 ist Richard Strauss. Er starb 85jährig vor 50 Jahren, am 8. September 1949. Auch der Büchermarkt reagiert auf das Gedenkjahr. Derzeit sind 39 Werke über ihn im Handel. Für den musikwissenschaftlichen Laien gibt es fünf Ausgaben mit Briefen, denn Strauss schrieb, und zwar frisch von der bayerischen Leber weg, an zeitgenössische Komponisten, Dirigenten und auch viele Briefe an seine Librettisten Hofmannsthal, Stefan Zweig und Joseph Gregor. Den zwei noch erhältlichen Biographien hat eine junge Autorin nun eine weitere hinzugefügt: "Der ewig Moderne - Richard Strauss 1864-1949". Veronika Beci, Jahrgang 1966, studierte in Münster und Wien Musikwissenschaft, Germanistik und Archäologie.

In England, dem Land der großen Biographen, herrscht die Überzeugung, jede Generation solle sich die wichtigsten Gestalten der Vergangenheit neu aneignen. Dabei sei es nicht wichtig, ob inzwischen große Funde, neue Tatsachen über ein Leben ans Licht gekommen sind. Wichtig seien Wertungen, interessant sei die neue Beurteilung eines vielleicht umstrittenen Lebens und Werks. Die letzte Strauss-Biographie, verfaßt vom Musikjournalisten Franzpeter Messmer, erschien 1994. Sie ist vergriffen. Was also bietet das neue Buch? Veronika Beci erzählt das lange Leben des Komponisten, aber nur sporadisch. Ausführlich breitet sie die Kindheit aus: Die Mutter war eine Enkeltochter des Gründers der Pschorrschen Bierbrauerei in München, der Vater ein Hornvirtuose der dortigen herzoglichen Kapelle. Musik bekam das Kind zu Hause wie Nahrung. Die Autorin verliert dann aber den Menschen Richard Strauss immer mehr aus den Augen. Summarisch berichtet sie von den vielen Reisen, vom Weltbürger der Musik, dem Familienleben, dafür analysiert sie Musikstücke, als sei jeder ein geübter Partitur-Leser.

Den Menschen Richard Strauss scheint sie überhaupt nicht zu mögen, nur den Komponisten. Der junge Strauss sucht die Nähe der Wagner-Witwe Cosima. Sie urteilt: "Strauss bemerkt seinerseits mit dem Spürsinn des Strebers den Geruch der Macht." Ihre Urteile sind pauschal, geschwätzig und verraten die Superlativkrankheit. Über die Beziehung des Komponisten zum Konkurrenten Gustav Mahler: "Mahler gehört zu den interessantesten und ergreifendsten Gestalten der Musikszene der Jahrhundertwende." Was hat der Leser von so einem Satz? Von jedem, der Einfluß auf Strauss ausübte, wird die Lebensgeschichte und auch die der Vorfahren erzählt. So erfährt man nicht nur Unwesentliches über Gustav Mahler, sondern auch über dessen Vater, Mutter, Geschwister. Ist vom Lied die Rede, wird gleich eine (oberflächliche) Geschichte des deutschen Liedes mitgeliefert. Inhaltlich am schlimmsten ist die Manie, Inhaltsangaben der Opern im Stil miserabler Schüleraufsätze zu geben.

Ist man ein Pedant, wenn einen die Schreibung von "Samtbarrett" mit zwei R stört? Oder "Karrikatur"? Ist man kleinlich, wenn man am Genitiv von "Lohengrin" Anstoß nimmt: "des Lohengrins"? Nach Grinsen ist mir nicht zumute, wenn einer "so vollkommen als möglich" spielt. Hofmannsthal verfaßt schon als Gymnasiast "genievolle" Verse, die Jahreszahl 1907 ist "ungerade, blaß", Strauss ein "stupender Bajuware", "Amerika zieht Milliarden europäischer Einwanderer an." Ein schauderhaftes Buch! Welch vertane Chance!

Der ewig Moderne Richard Strauss 1864 - 1949 Von Veronika Beci Droste Verlag, Düsseldorf 1998 299 Seiten, geb., öS 364,

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