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Bäume in der Frühe

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Eine Erzählung über einen Morgenspaziergang

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Eine Erzählung über einen Morgenspaziergang

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Ich wandere am frühen Morgen durch das sanfte Tal. An den Hängen hinauf stehen die Bäume im braunen Gras. Sie haben ihre Blätter an den Winterwind verloren. Nebel von der Farbe des frühen Reifes ist wie ein Hauch über den Wiesen, so fein und frisch wie der Tau auf einer Frucht, die noch keines Menschen Hand berührt. Darüber liegt jene freudige Rosenfarbe, die dem Tage Schönheit verheißt. So rührt die erste Ahnung nahenden Glückes an die Seele des Menschen — wie an den kühlen Nebel der Sonne zartes Widerspiel. So habe ich als Kind und junger Mensch meine Welt gesehen: im morgendlichen Sonnenglanz, umgeben von einem Hauch, den noch kein Staub beschwert...

Nun weiß ich schon, daß heute ein besonderer Tag wird. Habe ich heute andere Augen als sonst? Ist es, weil ich so ganz allein und nur mir selber hingegeben durch den Duft des jungen Jahres gehe? Der Anblick der Erle dort drüben ergreift mich. Vielleicht sollten wir alle nur lernen, besser zu sehen, um besser zu leben — vielleicht sollten wir öfter durch die goldbraunen Zweige einer Erle das reine Himmelsblau schauen, vielleicht sollten wir stiller werden, wie Blumen und Bäume sind: pflanzenhaft leben, uns vor dem Winde biegen, blühen, Frucht tragen und unsere Zeit erwarten.,.

Ich komme an Häusern vorbei. Ich sehe das Heer der Obstbäume in den Bauerngärten und plötzlich weiß ich es: wenn die Bäume kahl sind, kann man ihre Seele sehen. Da sind traurige, trostlose, klagende Bäume; solche, die ihre Äste mit verzweifelter Gebärde wie Arme ausstrecken ... dann kleine, freche, die mit spitzen Fingern in den Raum stechen. Sie haben allen Übermut des Wachsenden. Andere zeigen alle Tragik des Verwurzelten. Es gibt welche, die nichts als groß und einsam sind.

Das ist die liebe Linde — trotz ihrer leeren Äste meine ich die rauschende Weite einer vollen Krone zu sehen. Da sind glänzende Kirschbäume: ihr Holz ist fest und seidenglatt wie die Früchte, die sie tragen werden. Bieder sind die Apfelbäume, dunkel und ungepflegt, doch schlicht, gut und vertraut wie das tägliche Brot. An den Scheunen stehen Eschen, wie Menschen mit langen Haaren. Und Pappeln seh' ich, schlank, wie Schwerter oder schmale Flammen. Eine ist, als höbe das Land in ihr seine gefalteten Hände zum Himmel empor. Hier scheinen sie fehl ara Platze zu sein: sie sind Kirchen, Klöstern und Kalvarien-bergen zugetan. Wunderliche Weiden sind wie Harfen oder Leiern gewachsen: damit der Wind auf ihnen spielen kann. Sie stehen am Wasser, am geheimnisvollen Blut der Erde. Ob es wohl seine Nähe macht, daß sie so weise sind? Edle Kastanien bilden die Brücke zum wilden Wald. Sie haben fremdartige Seelen, sind steif und spitz und feierlich. Die Birken sind die reinste Offenbarung für die Schönheit der Bäume. Wunderbar auch ihre Schwestern aus dem Nadelwald, die lichten Lärchen: da gleißen sie aus den Waldhängen und tanzen und züngeln wie Flämmchen, als wollten die Berge zu brennen beginnen.

Nun komme ich in eine Gesellschaft runder Buchen. Das lichte Grau ihrer Leiber ist vollendete Farbe an vollendeter Form. Ich habe Ehrfurcht vor ihrer unverhüllten Größe und nackten Trauer und möchte doch die glatten Stämme streicheln und freundlich sehlagen wie ein gutes Tier.

Die Fichten sind herrlich — die meine ich nicht, die da den Hang hinaufschreiten und ihre Zweige nachziehen wie müde Könige ihr Schleppgewand. Die schöneren sind es, die ihre Äste fast waagrecht tragen, die Enden emporgebogen: ausgeglichen, erdverbunden und doch zum Himmel strebend. Hat nicht das weise, alle Stürme überdauernde China die Form der Pagode hervorgebracht: den Bau des reifsten Ebenmaßes, der doch nach oben weist?

Mein Weg zieht weiter, waldumschlossen, weicher, schwingender Boden voll knisternder Nadeln. Wer ihn ein paar Schritte gegangen ist, steht unvermittelt vor einem Tor. Ein junger Baum ist über den Weg gewachsen, als wolle er einen hemmen, mahnen: ehrfürchtig sich zu beugen und unter seinem Bogen durchzuschreiten in das Geheimnis des Waldes ... .

Und dann stehe ich vor dem Wunder des Waldes, um das ich meinen Gang getan. Es ist der Baum mit den schwarzen Blättern. Er lebt unter Birken und Vogelbeerbäumen, die wie um der Bildwirkung willen vor Tannengrün gestellt sind. Im Frühling blüht er flockenweiß vor der dunklen Masse des Waldes. Später trägt er winzige Holzbirnen. Dann flammt er auf, vom Herbste entfacht, und nun glänzen seine Blätter, die er eigensinnig behält, ganz schwarz. Sie zittern ohne Unterlaß. Der Baum mit den schwarzen Blättern ist ein unheimliches Wesen. Wie abgründig muß seine Seele seinl Und doch kann ich viele Stunden mit ihm verbringen....

Es will Abend werden. Das Wolkengrau über mir ist mit frühen Sternen bestickt. Dann naht groß und gütig die verzaubernde Finsternis. Manchmal, da beten die Bäume — an schwarzen Abenden, in dunklen Wiesen.

Unvermittelt seh' ich vom freien Felderplan die Stadt zu meinen Füßen. Da unten glühen kleine Lichter, irre Lichter — jedes bedeutet ein Menschenschicksal oder mehrere. Zu meinen Häupten blühen die unsterblichen Sterne. Aus der Einsamkeit von Berg und Baum, Stein und Sternen steig ich hinab zur Stadt, meinein Lichte und Schicksal zu.

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