Banales, altbackenes Vermächtnis

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"Die Stühle" von Eugene Ionesco am Wiener Akademietheater: Achim Benning inszeniert museal und lieblos.

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"Die Stühle" von Eugene Ionesco am Wiener Akademietheater: Achim Benning inszeniert museal und lieblos.

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Da nimmt ein Greis seine letzten Kräfte zusammen, um der Welt sein Wissen und seine Weisheit zu schenken, doch die Botschaft bleibt ungehört, die Essenz eines langen Lebens löst sich in Nichts auf. Dies ist nicht nur der erzählerische Hauptstrang von Eugene Ionescos Theaterstück "Die Stühle", sondern auch eine Metapher auf die aktuelle Aufführung dieses gar nicht so absurden Stückes am Wiener Akademietheater. Ein letztes Mal darf Achim Benning dort inszenieren - doch der Regie-Greis findet nicht die richtigen Ausdrucksmittel, um das 47 Jahre alte Stück in Bezug zur Gegenwart zu setzen. Das Ergebnis: Eineinhalb endlose Stunden, die nicht und nicht vergehen wollen - dagegen scheint die Lebensdauer der beinahe hundertjährigen Protagonisten wie ein flüchtiger Moment.

Annemarie Düringer und Branko Samarovski verkörpern das greise Ehepaar, und ihnen kann man den Flop am wenigsten anlasten. Trefflich, wenngleich ohne Humor, zeichnen sie die von Altersstarrsinn, Vergeßlichkeit und Bitterkeit geplagten Alten. Sie reden sich nur deswegen nicht mit "Mutti" und "Vati" an, weil sie schon längst die Mutterrolle übernommen hat und ihren Mann wie ein kleines Kind auf ihrem Schoß zu trösten pflegt. Nur den immer wiederkehrenden Vorwurf, es zu nichts gebracht zu haben, will sie ihm nicht ersparen. Die zwei tragisch-lächerlichen Alten leben nur mehr in den erinnerten Fragmenten ihrer Vergangenheit. Zu sagen haben sie sich schon lange nichts mehr, in erbarmungsloser Routine wiederholen sich ihre läppischen Dialoge Tag für Tag; zerhackte und gefilterte Erinnerungsstücke, die für den Außenstehenden ein skurriles und kaum entschlüsselbares Bild ergeben. Ein letztes Mal erstrahlt das verlöschende Lebenslicht der Alten, als sie sich gemeinsam zu einer großen, ja größenwahnsinnigen Phantasie aufraffen, an deren Ende ihr (tatsächlicher) Tod steht.

Daraus hätte man etwas machen können. Doch Regisseur Benning hat nur eine historische, eine museale Aufführung auf die klapprigen Beine gestellt. Er läßt die Geschichte lieblos, in erbarmungsloser Routine abspulen: Wenn zwei Gescheiterte in ihrer Phantasie einen Vortrag organisieren, so bedeutend, daß man Straßen nach ihnen benennen würde; wenn sie dann unter großen Anstrengungen Dutzende von Stühlen für ihre fiktiven Zuhörer auf die Bühne schleppen; wenn dann der Redner, der das geistige Vermächtnis des Alten verkünden soll, sich als stumm erweist - es berührt nicht, es löst nichts aus, es bringt niemanden zum Lachen. Altbackenes Theater, so heruntergekommen wie die an eine schäbige Theaterbühne gemahnende Akademietheaterbühne (Leo Bei).

Daß es ein Heute gibt, scheint Benning vage geahnt zu haben, daher hat er einen Fernseher auf die Bühne gestellt, über dessen Bildschirm hin und wieder Bilder flimmern. Kaum zu glauben: Was dem Alten im Stück versagt bleibt, gelingt Benning in den letzten Minuten - nämlich eine Botschaft rüberzubringen. Denn der stumme Redner (Paul Matic') ist niemand anderer als der Götterbote Hermes, Repräsentant einer veralteten Art der Kommunikation, einer Allgemeingültigkeit beanspruchenden Kultur, wenn man will: des gesamten untergehenden Humanismus. Er tritt ab, ohne sich endgültig artikuliert zu haben und überläßt das Feld dem sich plötzlich einschaltenden Fernsehapparat. Dieser Götze der Gegenwart vermag das Vermächtnis des Alten sehr wohl wiederzugeben, doch die vermeintlich große Erzählung entpuppt sich als unausgegorenes, banales Geschwätz: ein Dokument menschlicher Selbstüberschätzung, ein Abbild der Gegenwartskultur und eine Kurzzusammenfassung des Stückes für jene Zuseher, die zuvor in sanften Schlummer gefallen waren.

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