Banalität und Poesie

Werbung
Werbung
Werbung

"... ce qui arrive..." von Olga Neuwirth: als Uraufführung beim "steirischen herbst" und zur Eröffnung von "Wien Modern".

Seit Olga Neuwirth 1995 ihr Debüt bei den Donaueschinger Musiktagen gab, gilt sie als Shooting-Star der österreichischen Musikszene. Nach den letzten beiden großen Musiktheaterprojekten Bählamms Fest (Libretto von Elfriede Jelinek, Uraufführung 1999 bei den Wiener Festwochen) und Lost Highway (nach dem gleichnamigen Film von David Lynch, UA 2003, beim "steirischen herbst") ist nun ihr neuestes Werk ... ce qui arrive... beinahe zeitgleich bei den zwei wichtigsten österreichischen Festivals für zeitgenössische Musik zu erleben: dem Musikprotokoll im "steirischen herbst" sowie zur Eröffnung von "Wien Modern" (28. 10.) im Großen Saal des Wiener Konzerthauses.

Die Macht des Zufalls

In ... ce qui arrive..., einer multimedialen Raumkomposition, setzt die Komponistin in Kooperation mit der Pariser Medienkünstlerin Dominique Gonzalez-Foerster Bild, Klang und Text als selbständige, doch interferierende Ausdrucksebenen zueinander in Beziehung. Zentrales Thema: die Macht des Zufalls. Auf der posterartig, bisweilen am Rande des Kitsches operierenden Videokulisse von Strand und Meereswellen spielt der Wind mit dem Gewand einer Frau. Das transparente Licht, das sich in der Saalbeleuchtung fortsetzt, verändert sich zu den von der Musik ausgehenden dramatischen Impulsen - nicht ohne Ironie, wenn die Szenerie, plötzlich in dramatisches Dunkel und feuriges Abendrot getaucht, auf einmal an Scarlett O'Hara gemahnt.

Die lyrischen Texte aus einem Song-Zyklus Andrew Partners und Georgette Dees hat Olga Neuwirth ebenfalls mit Ironie in Klang gesetzt, als stammten sie aus einer aktualisierten Neuauflage der Dreigroschenoper. From west comes a wind, made of / bitter-sweet dreams / From east comes a storm, made of / desperate screams. Dem Zusammenspiel von Poesie, vorgetragen von Georgette Dee, und deren ironischer klanglicher Brechung verdankt die Produktion zweifellos ihre stärksten und erfrischend humorvollen Momente. Nicht durchwegs überzeugend mutet dagegen die Einbindung der Textfragmente aus The Red Notebook des amerikanischen Schriftstellers Paul Auster an, die von seltsamen, unvorhersehbaren Begebenheiten handeln und die semantische Dimension des Zufalls repräsentieren. Vom Autor vorgetragen, von scharfen Klängen oft blitzartig durchkreuzt, scheint die Sprache doch zu oft beziehungslos neben Klang und Bild "abzulaufen". Ohne Einschränkung gelungen aber ist die flexible Leuchtkraft der Musik, präzise realisiert vom Ensemble Modern unter Franck Ollu. Sie entstand allerdings nicht durch Zufallsoperationen, wie die Komponistin betont: "Beim Komponieren versuche ich, alles möglichst präzise zu notieren. Es handelt sich abermals um diesen menschlichen Versuch, gegen den Zufall zu arbeiten, indem man alles so gut wie möglich determiniert."

Leerraum als Chance

Mag das Konzept einer räumlichen Interaktion selbständiger Elemente auch nicht bis ins Letzte aufgegangen sein, vermittelt die Gratwanderung zwischen Banalität und Poesie, Dramatik und Ironie doch die Sehnsucht nach Unmittelbarkeit und Nähe in unserer distanzierten Welt und zeugt damit vom lebenswichtigen (künstlerischen) Bemühen, Leerraum als Chance zu begreifen: No more secrets, no more lies / keep silence, is a bad advice / To be good to you, to be good, to be.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung