Barylli läßt Liebenden nicht nur Flügel wachsen

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Üble Mischung vom "besten Boulevardautor": Kitsch, Mystizismus, Rache, Selbstjustiz

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Üble Mischung vom "besten Boulevardautor": Kitsch, Mystizismus, Rache, Selbstjustiz

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Gabriel Barylli ist Schauspieler, Filmemacher, Regisseur und Publikumsliebling. Seit zehn Jahren schreibt er auch Romane, meist mit Bühnenfassung und Drehbuch. Für Claus Peymann ist er "der beste deutsche Boulevardautor". An seinen letzten beiden Büchern läßt sich sehen, was "der Boulevard" schätzt, und was er hier unverhofft dazugepackt bekommt.

Die Handlung des Bestsellers "Wer liebt, dem wachsen Flügel" ist recht einfach: Ein junger Antiquitätenhändler sieht vom ersten Stock seiner Nachbarin beim Einzug zu. Der erste Liebesblick ist so heftig, daß er vom Blitz getroffen gleich aus dem Fenster fällt. Sogleich setzt er seine Antiquitäten zur Werbung ein: historisches Menü zum Abendessen, alte Musik von alter Schallplatte, Rotwein, Kaminfeuer, beim Zuprosten "verschränkten wir unsere Arme wie in einem alten Film und sagten du zueinander". Prompt "öffneten wir unsere Kleider und liebten uns leidenschaftlich vor dem heiß brennenden Feuer". Liebe pur, Liebe unsäglich kitschig. "Unaufhaltsam waren wir aufeinander zugeflogen, und unaufhaltsam flogen wir plötzlich nebeneinander her". Die Flügel sind offenbar, dem Buchtitel entgegen, schon angeboren, müssen nicht erst wachsen. Voll flügge, geht der erste Ausflug auf einen "Berg, mit Blick über das Tal, mit dem See in der Ferne ..." Wieder perfekte Regie: Mandolinen aus dem Autoradio, Chianti auf der Kühlerhaube, Lampions drumherum "mit Strom von einem mitgeführten Akku". Maria war "sprachlos. Sie erkannte in diesem Augenblick, daß sich etwas Großes anbahnte". Das Große stellt sich als Heiratsantrag heraus, ihr Jawort wird im "letzten Moment der untergehenden Sonne" gehaucht. Groß ist dann auch die Hochzeit, kurz jedoch die Hochzeitsnacht, denn, blitzartig wieder, erweist sich die Jungunternehmerin mit ihrer Firma weit mehr verheiratet als mit ihrem Antiquitätenhändler.

Am nächsten Morgen schon taucht sie total in Arbeit ein und kommt fortan nicht mehr nachhaus. Der alleingelassne Flugkünstler lamentiert über "das flugverhindernde Prinzip", wie er so Störendes wie einen Beruf bezeichnet, macht dümmlich einen Panik-Seitensprung und will sich schnell wieder scheiden lassen, als hätte er etwas zu Sperriges eingekauft. Sie jedoch, geschult in Krisenmanagement, übernimmt jetzt die Regie: Die Beiden regeln im Speisewagen von Salzburg nach Wien plaudernd das Problem. "Auf magische Weise war während unserer Reise alles von ihr abgefallen, was sie in der letzten Zeit bedrückt hatte." Noch magischer gehts dann im Prater her: Jetzt ist es wieder er, der weiter weiß und ihr berichtet, zu welcher Einsicht er gefunden hat. Sie lautet schlicht, "den andern so sein zu lassen, wie er ist." Davon getragen "breiteten wir unsere Flügel aus und schwebten hoch und flogen weit, weit hinaus in die unendlichen Räume des Weltenraumes, den man die Seele nennt". Flügelrauschen, Abheben hoch über den Konflikt Beruf/Partnerschaft, kein Schluß, Abdrehen des Tons.

Konsequenz ist nicht Baryllis Stärke. Vielleicht ist es das Flohmarktartige, das den flanierenden Betrachter reizt: Kindheitserinnerungen, Kochrezepte, Esoterisches, Erkenntnisse von Konrad Lorenz, Prophetisches fürs nächste Jahrtausend, Statistisches zur Scheidungsrate, Rostiges über einen Wasserhahn, Elegisches zu einer Cremeschnitte. Vom meisten nur Kostprobe, Vorderseite, die Schaubude dahinter ist nur ein paar Schritte tief. Jahrmarktstimmung auch durch das suggestive Anreden des Zuschauers: "Verzeihen Sie! ... Sie merken schon ... Was meinen Sie? ... Glauben Sie mir!" Vom Schausteller erwartet man das Laute, Übertriebene. Pathos darf triefen, unfreiwillige Komik ist durchaus gefragt, Metaphern dürfen sich ungestraft überschlagen: Das Leben ist "eine alles niederbrennende Springflut". Der moderne Schausteller mischt das Blumige mit Expertensprache: zielführende Strategie, flächendeckend, Eckdaten, Einstiegswissen. Der Boulevardautor weiß, daß sein Publikum gierig wartet auf die Monster aus der Geisterbahn. Also führt er sie reihenweise vor: Skandal der Mädchenbeschneidung in Afrika, Bedrohung der Nordvölker durch die Südvölker, "verbrecherische Diktatur der Kirche, deren Vertreter ... kleinen Knaben unter der Decke beibringen, was sexuelle Not bedeutet". Lauter scharfe Sachen für die Laufkundschaft. Boulevardpublikum hört sich auch gerne Heilslehren an. Barylli kennt das Rezept: Erst den globalen Bankrott erklären, "daß es bei niemand klappt mit der Liebe", dann die nicht ganz neue Erkenntnis verkünden, daß Ehe als "Aufzuchtsanstalt mit Fluchtverhinderung" irrtümlich mit "Garantie für lebenslanges Glück" verwechselt werde. Sein praktischer Rat: "Das Wasser des Lebens wieder ungehindert fließen" lassen. Harmlos also? Nicht mehr, wenn der smarte Emanzipator, "wenn ich könnte, wie ich wollte", die Fürsprecher der Beschneidung von Mädchen einer regelrechten Wasserfolter unterziehen will, um sie zu bekehren. Man steckt das gutwillig beiseite, weil man's im allgemeinen Rauschen der Metaphern nicht wörtlich nehmen will. Was aber unheimlich-wirklich dahintersteckt, kann man im zuvor erschienenen Zwilling zu diesem Buch lesen: "Denn sie wissen, was sie tun".

Die Trägerstory hier ist ähnlich. Wieder die Blitzfrau aus dem Ungefähren, diesmal in einem Cafe in Rom, wo er als Regisseur ein Drehbuch schreiben will. Wieder die totale Liebe schon nach ein paar Stunden, die ihm gleich das Sujet für sein Drehbuch liefert. Beruf und Liebe passen vorerst aufeinander. Die Schöne ist zauberisch-attraktiv, aber zugleich höllisch-gefährlich, als wäre sie die vorgeschobene Figur eines Hintergrund-Mephisto. Wieder Magie, die alle warnende Vernunft ausschaltet, er heiratet sie vom Fleck weg und pflanzt sie in sein Luxushaus wie in ein Serail, von fremden Blicken abgeschirmt. Weil sie sich langweilt, oder weil das Höllische durchbricht, kommt es zu einer Walpurgisnacht zwischen ihr und einem Filmkollegen, zu einer grauslichen Sado-Maso-Szene, in die sich der düpierte Ehemann am Ende noch selber mischt. Schlägerei und totale Niederlage durch höllische Verschwörung, der Filmrivale ruiniert ihm die Karriere, der Scheidungsrichter spricht ihn als Ehemann schuldig, von der tollen Frau hört man nichts mehr. Soweit wieder die steil aufsteigende Liebe, die dann ohne innere Entwicklung einmal direkt in den Himmel, hier auf Umwegen in die Hölle führt. Unterwegs ein Schuß Porno und Gewalt, wie es der Boulevard grad noch mag.

Das füllt etwa ein Buchdrittel, ist aber nur Einleitung für ganz andre Anliegen. Im Hauptteil tritt Mephisto nun leibhaftig als "Fremder" auf, stachelt den Niedergeschlagnen zu blutrünstiger Rache an, zunächst am gemeinen Filmkollegen, dann am gewissenlosen Scheidungsrichter. Bald aber weitet sich die Mordlust zum Privatgericht über alles Böse in der Welt: Wahllos werden Verantwortliche für Zerstörungen von Landschaften, Ozonschicht, Tierarten gekidnappt. Ein Profiteur von Kinderarbeit kommt dran, ein Banker, schließlich wieder der "hohe geistliche Würdenträger". Aus dem Spektakel wird diabolisch Ernst. Fürs Boulevardpublikum werden die Monster lebende Zielscheiben, die Schausteller laden zur Mitbeteiligung, Phantasie und Wirklichkeit verschwimmen wie bei Wahnsinnstätern. Beide Figuren fühlen sich wie von einer höheren Instanz gerufen, wollen als "Priester der Liebe" ihren gequälten Opfern Bekenntnisse abpressen, Einsichten einhämmern. Ein Dutzend solcher Femetorturen findet im Buch statt, auf 50 Seiten minutiös beschrieben. In ihrer perversen Pädagogik verschicken sie Bilder und Tonbänder ihrer grausigen Lektionen an mutmaßliche Mitverantwortliche. Die Botschaft: "Man muß Übeltäter exemplarisch ausrotten, denn sie wissen, was sie tun."

Ich lese hier nicht einen Boulevardroman, sondern einen Rückfall um 500 Jahre: 1489 erschien der "Hexenhammer", ein Lehrbuch der Inquisition, das genau beschreibt, was man dem Körper antun muß, damit die Seele in den Himmel kommt. Nach diesem Vorbild richten sich Baryllis Inquisitoren in Geist und Buchstaben: Ankläger und Richter in einer Person, keine Verteidigung, allein Verdacht schon ist Anklage. Die Vorfahren überließen die Exekution dem weltlichen Arm, heute vollstrecken sie ihr Urteil eigenhändig. Horror als Kunstgattung führt die finstere Seite der Welt mit künstlerischen Mitteln vor: Dante, Goya, Sade, Poe, Hitchcock, Nitsch. Terror dagegen ist jenseits von Kunst, und auch von Amüsement und Boulevard, geht aus von Briefbombern, anonymen Drohern, Lynchfanatikern, Psychopathen. Ein Publikum, das Unterhaltung sucht, schätzt Horror, Terror aber nicht. Mit dieser Unterscheidung wird es vielleicht auch einen Lieblingsautor wie Barylli anders lesen.

Wer liebt, dem wachsen Flügel. Denn sie wissen, was sie tun. Zwei Romane von Gabriel Barylli. Beide: Nymphenburger, München 1999. "Wer liebt ...":192 Seiten, geb., öS 248.-/E 18,02. "Denn sie wissen ...": 319 Seiten, geb., öS 298.-/E 21,65

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