Basisarbeiter der Baukultur

Werbung
Werbung
Werbung

Das Wien Museum zeigt: Erich Boltenstern war nicht nur der Erbauer des Wiener Ringturms, sondern ein solider Architekt mit vielen Arbeitsfeldern.

Als Symbol des Fortschritts stand der zeitlos elegante, 73 m hohe Wiener Ringturm am Beginn einer modernen Ära. "Das ist nicht Amerika, das ist Österreich ...", kommentierte die Wochenschau seine Eröffnung am 14. Juni 1955. Mit diesem Bürohochhaus schuf Architekt Erich Boltenstern ein Stadtwahrzeichen und sein Hauptwerk. Ebenso souverän bewältigte er die delikate Aufgabe eines vornehm-gediegenen Operninterieurs. Diese Pole zeigen seine Fähigkeit, verschiedensten Ansprüchen gerecht zu werden. Das damalige Österreich brauchte Menschen wie ihn: durch den Nationalsozialismus nicht kompromittiert, integer, bescheiden, konsensbereit war er einer der meistbeschäftigten Planer und exemplarisch für seine Zeit. Pragmatismus und Kostenbewusstsein prägen diese Architektur, deren stille Qualität solider Nachhaltigkeit bis dato kaum Beachtung fand. Die Schau über Boltenstern und die Baukultur nach 1945 im Wien Museum nimmt nun eine Revision vor. "Gerade die nicht revolutionäre, eher nüchterne Architektur der 50er kann erst von der heutigen Generation anerkannt und vorurteilsfrei bewertet werden", so die Kuratorinnen Iris Meder und Judith Eiblmayr, die auch die Schau gestaltete.

Ikone Staatsoper

Der Wiederaufbau der Staatsoper war Boltenstern ein Herzensanliegen: sein Großvater war Goldschmied, seine Mutter Louise Godina Opernsängerin, schon als Kind schnupperte er Opernluft, neben dem Architekturstudium machte er eine Gesangsausbildung, dissertierte über den Theaterbau, die Assistentenzeit bei Oskar Strnad, der auch Bühnenbildner war, empfand er als "eine der reichsten und glücklichsten Perioden meines Lebens". Sein respektvoller, vergangenheitsbewusster Umgang mit der Oper traf exakt den bürgerlich-repräsentativen Geschmacksnerv. "Nur mit größter Bewunderung kann ich der Erbauer des Hauses gedenken, die ein Werk seltener Klarheit und Großzügigkeit schufen, das in Funktion, Komposition und feiner Detaildurchbildung vollkommen war", so Boltenstern. "Mein Ziel war, einen festlichen, beschwingten und befreienden Raum zu gestalten, der zeitlos wirken soll. Ich empfinde meine Arbeit als Neugestaltung im gebundenen Rahmen." Die Staatsoperneröffnung am 4. November 1955 geriet zum Staatsakt, zeitgleich war die Opernpassage von Adolf Hoch und dem Stadtbauamt fertig. Wie sensationell damals die Rolltreppen wirkten, zeigt ein Dokumentarfilm.

Wiens Nachkriegsbauten

Das Passagenrondeau mit den charakteristischen roten Stützen ist zentrales Gestaltungselement der Schau, die am Beispiel Ringstraße die Nachkriegsbauten aufspürt. Das Espresso-Glasrund der Passage ist so wenig erhalten wie Carl Appels Steyr-Haus mit dem glamourös lichtgedeckten Autosalon am Kärntner Ring. In den bestechenden Fotos von Lucca Chmel, Filmen, Originalinterieurs, Plakaten für dekorative Schicht-Kunststoffe, Rückblenden von Margherita Spiluttini und Plänen lebt die Epoche wieder auf. Leichtfüßige Grandezza verströmt u.a. das Tanzcafé im Volksgarten von Oswald Haerdtl, der auch das Wien Museum plante. Seinen Pavillon für Felten&Guilleaume, eine Ikone der Nachkriegsmoderne, gibt es als Modell. Er stand am Messegelände, einem architektonischen Experimentierfeld, das im Expo-Pavillon von Karl Schwanzer 1958 seine Krönung fand.

Kein Revolutionär

Boltenstern war kein Revolutionär und kein Genie. Er war ein gewissenhafter Architekt, der nach dem Motto "weg vom bürgerlichen Garnitur-Denken zum funktionalen Möbel für jedermann" selbst kleinsten Bauaufgaben in angemessener Ernsthaftigkeit begegnete. Unverändert bewährte sich das Wochenendhaus in Kritzendorf, das er mit Schreibklappe, Hocker und Einbauten 1948 raumökonomisch durchplante, bis heute. Sein für 4.500 Ausflügler 1932 terrassenreich entworfenes Restaurant am Kahlenberg aber wäre fast verfallen. Der Wettbewerbssieg für ein Krematorium in Graz 1930 brachte ihm vom liberalen "Feuerbestattungsverein" Folgeaufträge, 1932 entwickelte er wachsende Häuser, später plante er eine opulente Bundespräsidentenvilla. Ob konservativ, modern, groß oder klein: der bescheidene Basisarbeiter der Baukultur plante gewissenhaft gediegen und legte so ein solides Fundament für die Zukunft.

Moderat modern. Erich Boltenstern und die Baukultur nach 1945

Wien Museum Karlsplatz, 1040 Wien

www.wienmuseum.at

Bis 29. Jänner 2006 Di-So u. Fei 9-18, Mi 9-20 Uhr.

Info: www.wienmuseum.at

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung