Baukulturelle Parallelwelten

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Vierzig Jahre ist es her, dass die UNESCO erstmals ihre Welterbeliste veröffentlichte. Im Herbst 1978 startete sie mit zwölf Stätten, heute sind es 1073, wovon zehn in Österreich liegen. Ob aus Anlass dieses Jubiläums, ob aufgrund gesteigerten Handlungsbedarfs -EU-Parlament und EU-Rat haben das vergangene Jahr 2018 jedenfalls zum Europäischen Jahr des Kulturerbes erklärt, um dessen Bedeutung noch stärker im öffentlichen Bewusstsein zu verankern. Österreich kam dabei eine besondere Rolle zu, der es im Rahmen seiner EU-Ratspräsidentschaft und als Gastgeber der Abschlusskonferenz zum "European Year of Cultural Heritage" gerecht zu werden versuchte.

Während die Politik unser Land auf der europäischen Bühne auch in dieser Hinsicht als Insel der Seligen präsentierte, nimmt die Kritik von Bürgern und Experten am fortschreitenden Verlust historischer Bauten und Ensembles oder auch an der Verbauung einzigartiger Kulturlandschaften merklich zu. Dabei geht es um viel mehr als um die Handvoll international geschützter Orte und Objekte: Landauf, landab mündet etwa der grassierende Leerstand von Gebäuden, dem die Politik seit Jahrzehnten nichts entgegensetzt, in den unwiederbringlichen Verfall von Altsubstanz. In den derzeit stark wachsenden Zentren wiederum sorgt ein Neubauboom, der oft rein spekulativ ist, von den Stadtvätern indes als Notwendigkeit verkauft wird, für leichtfertigen Abriss oder aber für zerstörerische Umbauten und Nachverdichtungen des historischen Bestands.

So überraschte die -an sich für ihre Planungsqualität bekannte - Stadt Salzburg vor nicht allzu langer Zeit sowohl Anrainer wie auch Fachleute, als sie die alte Riedenburgkaserne weitgehend zum Abriss freigab, obwohl für Teile der Bausubstanz aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert ein Erhaltungsgebot bestand. Anstatt das Potential der historischen Architektur aufzugreifen und durch Umnutzung, Umbau und ergänzenden Neubau ein besonderes Quartier zu entwickeln, schuf man eine Tabula rasa, um der Wohnbauwirtschaft ein bequemes und rentables Umsetzen ihrer Standardlösungen zu ermöglichen.

Investoren erobern die Grazer Altstadt

In Graz wiederum ist die Stadt-und Verkehrsplanung seit geraumer Zeit darum bemüht, die Murstadt zu einer "Smart City" zu entwickeln -und fördert dabei auch nachhaltige Mobilität, also Zufußgehen, Radfahren, öffentlichen Verkehr und Carsharing. Ungeachtet dessen setzt sich die Politik immer wieder für eine völlig unzeitgemäße Ausweitung der Parkplatzkapazitäten im historischen Zentrum ein. So entstand am Karmeliterplatz eine Tiefgarage für 840 Autos -quasi als Fundament für die darauffolgende Verbauung des benachbarten Pfauengartens durch ein maßstabsprengendes Investorenprojekt: "Auf einem der letzten bebaubaren Areale in der Grazer Altstadt", so der Bauträger, wurde im Sommer ein dreiteiliger Komplex mit 160 Hotelzimmern eröffnet, der durch drei Dutzend Luxuswohnungen noch abgerundet wird.

Während der Investor sein Projekt, das zwischen die Grazer Burg, das alte Karmeliterkloster und den Stadtpark hineingezwängt wurde, vor allem in städtebaulicher Hinsicht lobt und von einem "Bindeglied zwischen Stadt (Karmeliterplatz) und Natur (Stadtpark)" spricht, versetzt sich der Redakteur eines Lokalblatts in die Situation der Nutzer und huldigt den inseratenträchtigen Komplex als "einmalige Möglichkeit, in einem Neubau direkt im UNESCO-Weltkulturerbe zu wohnen".

Trotz ähnlichen medialen Rückenwinds liegt ein anderes verkehrspolitisches Liebkind des Grazer Bürgermeisters und seines Stellvertreters derzeit auf Eis. Am Eisernen Tor, ebenfalls in der Kernzone des Welterbes, sollten "zur Aufwertung der City" noch zwei weitere Garagen mit insgesamt 600 Stellplätzen entstehen. Nach vehementen Protesten der Oppositionsparteien, Tausenden Unterschriften von Grazer Bürgern und einer an die Öffentlichkeit gelangten Abkanzelung des Vorhabens durch den Leiter der städtischen Verkehrsplanungsabteilung rückten die Stadtväter von dem "innovativen Innenstadtprojekt, das man rasch umsetzen will", allerdings wieder etwas ab.

Dabei würden die beiden Garagen, insbesondere jene unter dem denkmalgeschützten Brunnen, laut Befürwortern dem städtischen Freiraum "ein ganz neues Gesicht" geben. "Statt der betonierten Grundfläche des Brunnens soll hier künftig eine Glasfläche Platz finden, die gleichzeitig die Decke der Garage sein soll", gab sich die wichtigste Zeitung von Graz noch vor kurzem angetan. "Damit können Passanten und Autobesitzer durch das Brunnenwasser hindurch in die Garage sehen und den Parkvorgang der 300 Fahrzeuge beobachten." Der private Investor sprach gar von "Parken als Erlebnis" und "Parken als Tourismusmagnet" - die IG Architektur dagegen nahm dieses und andere Grazer Projekte zum Anlass, ihren letzten "planlos Award" Bürgermeister Siegfried Nagl zu verleihen.

Als Kandidatin für diesen Preis galt auch die Wiener Stadtregierung. Nominiert waren Alt-Bürgermeister Michael Häupl und Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou wegen ihres Engagements für den umstrittenen Luxusapartmentturm am Heumarkt in der UNESCO-geschützten Innenstadt - womit das Rathaus nach wie vor die Streichung Wiens aus der Welterbeliste provoziert. Noch ruinöser als die Wirkung des projektierten 66-Meter-Baus auf das historische Stadtbild sind freilich die Folgen der jahrelangen stadtplanerischen Ränkespiele für die Glaubwürdigkeit der Politik und ihrer "unabhängigen Experten".

Gleich mehrere Planungsinstrumente wurden so hingetrimmt, dass sie das -gemäß älteren Konzepten undenkbare -Hochhaus nun ermöglichen: der "Masterplan Glacis" für die gesamte Ringstraßenzone ebenso wie das neue Hochhauskonzept für Wien. Nahezu jeder Ausschuss und Fachbeirat, fast jede Kommission und Jury, die mit dem Turm befasst war, erwies sich in ihrer Beurteilung des Spekulationsprojekts als willfährig. Die Gemeinderatsabgeordneten wiederum versuchen sich bis heute abwechselnd in Falschbehauptungen, absurden Rechtfertigungen und unglaubwürdiger Naivität, um ihre Parteinahme für den schillernden Heumarkt-Investor zu erklären. Erst jüngst beschlossen sie, für das Großbauvorhaben keine Umweltverträglichkeitsprüfung einzufordern -um den Projektgegnern, bei aller Liebe zur Partizi-

FORTSETZUNG AUF DER NÄCHSTEN SEITE pation, nicht doch noch die Möglichkeit zur Teilhabe an der Entscheidung zu geben.

Wer denkt, es handle sich dabei um einen Einzelfall, irrt: Auf dem Areal des barocken Palais Schwarzenberg mit seiner historischen Gartenanlage, ebenfalls in der Kernzone des UNESCO-Weltkulturerbes gelegen, wurden tiefgreifende Änderungen genehmigt. Im Ehrenhof vor dem Palais entsteht gerade eine zweigeschoßige Tiefgarage, im Garten dahinter demnächst ein touristisches Gastronomiegroßprojekt für 880 Gäste, ein altes Wasserbecken dient als Bauplatz für ein Tennisklubhaus -und wo kürzlich noch Glashäuser standen, soll ein Hoteltrakt für eine höherwertige Nutzung sorgen. Dass das Rathaus selbst ab 1924 für den Schutz der gesamten Anlage sorgte, stellt für die heutigen Stadtväter offenbar keinerlei Verpflichtung dar.

Bizarres Projekt am Traunsee

Im oberösterreichischen Gmunden hofierte die Kommunalpolitik vor vier, fünf Jahren einen regionalen Schotterbaron, der vis-à-vis der Altstadt einen 32 Meter hohen Hotel-oder Apartmentturm errichten wollte -und zwar nicht am, sondern gleich im Traunsee. So dreist das spekulative Luxusprojekt inmitten dieser einzigartigen Kulturlandschaft auch war: Es fanden sich dennoch prominente Architekten, um es zu planen und vollmundig zu rechtfertigen. Die Einschätzung der Fachbeamten in Linz war freilich eine andere: Sowohl Naturund Landschaftsschutz als auch Umweltanwaltschaft und Raumordnung äußerten schwerwiegende Bedenken. Dies hinderte die Landespolitik aber keineswegs daran, dem Bau ihre Zustimmung zu erteilen, sprachen die -nie überprüften -wirtschaftlichen Argumente doch dafür. Der damalige Landeshauptmann wollte dem gut bekannten Investor angeblich sogar mit einer millionenschweren Förderung unter die Arme greifen, was eine Bürgerinitiative durch Einschaltung der EU-Wettbewerbsbehörde aber zu verhindern wusste. Derzeit ist der Turm im See vom Tisch, ähnliche Vorhaben liegen aber in den Schubladen.

Im burgenländischen Neusiedl werden sie bereits gebaut: luxuriöse Zweitwohnsitze, teils am, teils im See, obwohl das dauerhafte Bewohnen der Uferzone -noch dazu im UNESCO-Welterbe-Gebiet -eigentlich untersagt ist. Auch diesmal mit im Boot: ein unternehmerfreundlicher Bürgermeister und ein geschäftstüchtiger Architekt. Ihr Konzept erlaubt es, die hinderlichen Auflagen von Raumordnung und Umweltschutz zu umgehen und betuchten Wienern ein Eigenheim mit direktem Zugang zum Wasser zu ermöglichen. Denn die 22 Seehäuser werden flächenwidmungskonform als Teil einer Hotelanlage errichtet -die einzelnen Apartments dann aber an die "Hotelgäste" verkauft. Manche nennen das Etikettenschwindel, manche nennen es Betrug. Die Bußgelder für derlei "Planabweichungen" wären jedenfalls so gering, dass sie bei kolportierten Kaufpreisen von rund einer Million Euro pro Haus nicht ins Gewicht fielen. Ihr Erbe schützen mögen andere, du, glückliches Österreich, baue!

| Der Autor ist Stadtplaner, Filmemacher und Fachpublizist in Wien |

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