Befreiende Kraft von Märchen

19451960198020002020

Juan Antonio Bayona erzählt in seinem bildmächtigen Jugenddrama "Sieben Minuten nach Mitternacht" einfühlsam und bewegend, wie ein Zwölfjähriger lernt, mit Krankheit und Tod seiner Mutter umzugehen.

19451960198020002020

Juan Antonio Bayona erzählt in seinem bildmächtigen Jugenddrama "Sieben Minuten nach Mitternacht" einfühlsam und bewegend, wie ein Zwölfjähriger lernt, mit Krankheit und Tod seiner Mutter umzugehen.

Werbung
Werbung
Werbung

Mitten hinein in einen Alptraum des zwölfjährigen Conor (Lewis Mac-Dougall) wirft der Spanier Juan Antonio Bayona ("Das Waisenhaus", "The Impossible") den Zuschauer in seiner Verfilmung von Patrick Ness' Jugendroman, der wiederum auf einer Idee der 2007 an Brustkrebs verstorbenen irisch-britischen Autorin Siobhan Dowd beruht: Die Kirche vor Conors Landhaus stürzt ein, der Friedhof wird von einem Abgrund verschlungen und in diesen droht auch seine Mutter zu stürzen. Zwar kann der Bub noch ihre Hand ergreifen, doch seine Kraft reicht nicht aus, sodass er sie schließlich verzweifelt loslassen muss.

Ausgelöst wird dieser Alptraum durch Conors Alltag, denn schwer leidet der Junge unter der Krebserkrankung seiner Mutter (Felicity Jones). Während sie todkrank in ihrem Bett liegt, muss er sein Leben selbst organisieren, sodass der Umzug in die Stadt zur ungeliebten Großmutter (Sigourney Weaver) droht.

Grandiose Bildkraft

Inspiriert von einem Filmabend mit dem Klassiker "King Kong und die weiße Frau", aber auch durch seine eigenen Zeichnungen und die seiner Mutter, flieht Conor, der zudem immer noch unter der Scheidung seiner Eltern leidet, aus dem quälenden Alltag in eine Fantasiewelt. Realität und Fantasie verschwimmen und kurz nach Mitternacht wird die mächtige Eibe vor dem Haus zum Baumungeheuer.

Zunächst mag dieses zwar dem Burschen Furcht einflößen. Doch bald beginnt es ihn in drei Geschichten zu lehren, sich seinen eigenen Ängsten, seiner Wut und seinen Aggressionen zu stellen und schließlich auch die Mutter loszulassen.

Ist dieses Monster an sich schon ein gewaltiger Anblick, so begeistern die drei Geschichten noch mehr durch ihre herausragende visuelle Gestaltung. Nicht nur in eine Märchenwelt mit Königen, Hexen und Alchimisten führt hier das Baumwesen, sondern der Film befreit sich auch stilistisch von der Realität und wird zum begeisternden bildmächtigen Zeichentrickfilm, in dem die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen und immer wieder Ambivalenzen sichtbar werden.

Bayona verknüpft dabei durchgängig Conors persönliche Situation mit diesen Märchen und ist stets auf Augenhöhe mit dem von Lewis MacDougall großartig gespielten Jungen. In jeder Szene ist er präsent, sodass der Zuschauer tief in seine Gefühlswelt eindringt und aus seiner Perspektive das Geschehen erlebt.

In ein Rührstück können solche Geschichten über Krankheit und Tod leicht abgleiten. Bayona aber verhindert dies durch die märchenhaften Elemente, die gleichzeitig ganz plastisch und anschaulich die Gefühle des Buben vermitteln.

Die Psyche eines Kindes

Ein seltsamer Mix mag "Sieben Minuten nach Mitternacht" damit sein, erzählt aber weit aufregender und tiefschürfender als rein realistische Dramen von den Verwundungen einer kindlichen Seele, macht aber auch deutlich, welches Ventil die Fantasie und Märchen sein können, um traumatische Erfahrungen zu verarbeiten und Lösungen für die Realität zu finden.

Ganz ruhig und fast wortlos kann so auch der mit neun spanischen Filmpreisen ausgezeichnete Film in einem Epilog enden, in dem die fantastischen Geschichten mit einem Blättern in Conors Zeichenbuch und dem seiner Mutter wiederum in der Realität geerdet werden, aber mit den Zeichnungen auch eine Hommage an klassische Horrormythen von "Gullivers Reisen" bis "Frankenstein" geboten wird.

Sieben Minuten nach Mitternacht (A Monster Calls) USA/E 2016. Regie: Juan Antonio Bayona. Mit Felicity Jones, Sigourney Weaver, Lewis Mac-Dougall, Liam Neeson. Constantin. 108 Min.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung