Befreiung von den Befreiern

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Siegreiche Armeen lassen sich gern als Befreier feiern: dieser Nimbus soll nachträglich Sinn für die Kriegsgräuel stiften, soll ein opferreiches Kampfgeschehen zur historischen Notwendigkeit verklären und dem Blutzoll die Weihe höherer Gerechtigkeit zusprechen. Die - im doppelten Sinn - betroffene Bevölkerung empfindet das freilich zumeist anders. Was in der Euphorie einer beendeten Zwangsherrschaft zunächst als Befreiung anmutet, erweist sich in den Niederungen eines mühseligen und kargen Nachkriegsalltags bald als belastender Oktroi. Und die öffentliche Meinung kippt binnen kurzem zum Wunsch: "Befreit uns von den Befreiern!" Die von den Medien vermittelte Stimmung im gegenwärtigen Irak lässt erkennen, wie schnell ein positiv besetztes Fahnenwort' semantisch verkommen und zu einem Stigmawort' mutieren kann.

Geschichtliche Situationen sind prinzipiell unvergleichbar. Dennoch fühlt sich der Verfasser dieser Zeilen an die als Kind erlebte Nachkriegszeit in Österreich erinnert. Brachiale Übergriffe der Besatzungsmächte, politische Bevormundung und ein Gefühl kollektiver Hilflosigkeit entluden sich verbal, freilich oft verkappt, in Leitartikeln, Flüsterwitzen oder Kabarettnummern. Dem Vokabel Befreiung wuchsen gleichsam Anführungszeichen.

Auch in den Regierungserklärungen jener Jahre sind Signale wachsender Ungeduld nicht zu überhören. In der Rede Julius Raabs von 1956, nach Erreichung des Staatsvertrags, verliert der Ausdruck Freiheit endlich das Pathos eines schmerzlich vermissten Wertes - und wird als dringliches Anliegen alsbald von seinem Reimwort Freizeit abgelöst.

Die Etymologie von frei führt zur Grundbedeutung "eigen(ständig)", die sich assoziativ mit "lieb" und "vertraut" verbindet. Die Verwendungsweisen im modernen Wortschatz besetzen freilich ein semantisches Spektrum zwischen Brisanz und Banalität: von Freigeist und Freispruch bis Freibad und Freibier.

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