Befreiung von den Fesseln

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Wie der Komponist Arnold Schönberg den Maler Wassily Kandinsky beeinflußte - und umgekehrt - zeigt eine Ausstellung im Schönberg Center Wien.

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Wie der Komponist Arnold Schönberg den Maler Wassily Kandinsky beeinflußte - und umgekehrt - zeigt eine Ausstellung im Schönberg Center Wien.

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Um halb sieben Uhr abends, am Montag dem 2. Jänner 1911 stand im Münchener Jahreszeitensaal eine Erstaufführung am Programm: Arnold Schönbergs Erstes und Zweites Streich-Quartett, op.7 und op.10, sowie Drei Klavierstücke, op.11, fünf Lieder und das Rose-Quartett. Im Publikum saß damals Wassily Kandinsky. Vollkommen begeistert, schrieb er spontan an den Professor aus Wien einen euphorischen Brief, der den Grundstein einer befruchtenden Künstlerfreundschaft legte. Anlaß für das Arnold Schönberg Center in Wien, den Kontakten des Komponisten zur russischen Avantgarde nachzuspüren: In der Ausstellung "Schönberg, Kandinsky, Blauer Reiter und die Russische Avantgarde - Die Kunst gehört dem Unbewußten" kommen der rege Austausch zwischen Schönberg, dem "Blauen Reiter" und der Russischen Avantgarde anhand von über 200 Exponaten vielschichtig zum Ausdruck. Gemeinsames Streben ist die Auflösung der Harmonie in der Musik und der Weg vom Naturalismus zur Abstraktion in der Malerei.

Zwei kleine Skizzen stehen am Anfang eines spannenden Ganges durch die Befreiung der Kunst von den einengenden Fesseln der Konvention und des Konkreten: ein schwarzer Flügel, eine extrem schräge Perspektive, in schwungvollen Linien dynamisierte Menschen und ein Luster sind auf der ersten zu sehen, die zweite verzichtet auf den Raum, der Flügel verwandelt sich in eine abstrakte Blase, Menschenköpfe in Kreise. Beide hat Kandinsky unter dem Eindruck von Schönbergs Musik in der Nacht nach dem Konzert geschaffen. Das Farbbild daneben, ein malerischer Kraftakt in schwarz und gelb, mit ein paar rot blauen Tupfern und weißen Schlaufen, in die man mit Phantasie und Vorwissen ein bewegtes Publikum hineininterpretieren kann, entstand zu Schönbergschen Klängen. Mit Kopfhörern kann sich der Besucher akustisch auf die malerischen Botschaften einlassen.

1910 entwirft die "Blaue Reiter"- Künstlerin Gabriele Münter ein Ölbild, das Kandinsky mit Erma Bossi am Tisch zeigt. Wie ein Prophet mit erhobenem Arm und charismatischem Vollbart sitzt der russische Künstler beim Frühstück, die Frau hört ihm devot zu. Am Beginn des malerischen Befreiungsschlages steht die nostalgische Rückbesinnung zu volkstümlichen Wurzeln: Münters Blumenstilleben und ihr "Bauernhaus im Gebirge" zeigen das deutlich. Der Weg ins Unbewußte ist aber nicht aufzuhalten, der Diskurs über die Kunst rege, viele Publikationen erscheinen. 1911 übersetzt Kandinsky die "Harmonielehre" Schönbergs ins Russische und bespricht ein Jahr darauf dessen Bilder. Sein 1912 entstandenes Buch "Über das Geistige in der Kunst" widmet er "meinem lieben Herrn Schönberg, mit Ausdruck der Sympathie."

1927 sitzen beide Künstlerehepaare friedlich in Pörtschacher Rasen. Neben Fotografien, Originalpartituren in expressiv ungeduldiger Handschrift, einer Notiz über Kandinsky, Briefen und ähnlichem ist auch Schönbergs blecherne Malschachtel mit ein paar ausgedrückten Öltuben ausgestellt. Seine trübgrüngraue, der Natur noch verpflichtete Nachtlandschaft von 1910 kann gegen die gleichzeitig entstandenen, vollkommen aufgelösten Farbexplosionen des Russen David Burljuk oder die expressive, farbenfrohe Pfingstlandschaft von Alexej von Jawlensky aus dem Jahr 1911 nicht bestehen.

Im Nebenraum hängt eine Auswahl des Schönbergschen malerischen Werkes für sich: hier entfaltet es eine intime Qualität, die das Verständnis des avantgardistischen Musikers vertieft und um seine Bildwelten bereichert. So findet sich ein Blatt, auf dem Schönberg zu seinem op.18, "Die glückliche Hand", neben numerierten Takten ein Farbcrescendo von schwach rötlich über braun, schmutzig grün bis zu intensiv hellgelb und bläulichem Licht vermerkt hat. Auch seine Ausstattungsskizzen sind aufschlußreich, das "grüne Porträt" und das "Denken" können als Gemälde von visionärer Kraft für sich bestehen.

Wie Schönberg, so hatte auch Kandinsky eine Doppelbegabung: er schuf das lyrische Gedicht "Der gelbe Klang", das auf Video zu hören ist. Seine abstrakten Bildkompositionen nehmen den Ton und die Bewegung der Musik ohnehin auf die Leinwand mit.

Pawel Filonows "Blumen des Welterblühens", Boris Enders Farbkompositionen, Maria Enders neue räumliche Dimensionen und andere russische Avantgardisten komplettieren die Schau.

Bis 28. Mai. Schwarzenbergplatz 6, 1030 Wien. Information: (01) 712 18 88-50

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