Begegnung auf Distanz

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Es ist eine gern geübte Praxis, bei komplexen editorischen Kärrnerarbeiten Kleinigkeiten anzumäkeln - ein fehlender oder falscher Stellenkommentar von hunderten, eine Formulierung im Vor-oder Nachwort, die dem Kritiker nicht angemessen erscheint -und darüber das Prinzipielle der Leistung zu übersehen oder deren Erbringer gleich ganz zu ignorieren, wie es die Besprechung des Bandes in der Süddeutschen Zeitung tat.

Hier sei er genannt: Der Klagenfurter Germanist Hubert Lengauer hat mit der Edition des Briefwechsels zwischen Ingeborg Bachmann und Hans Magnus Enzensberger wertvolles Basismaterial für zukünftige Forschungen zu beiden AutorInnen und zur Zeitstimmung generell zugänglich gemacht. Und das für die LeserInnen auf die bequemst mögliche Art und Weise. Die fast 150 Seiten Stellenkommentar ermöglichen dank doppelter Fixierung aller Referenzstellen mit Seitenzahl/Zeilenposition (samt Incipit) sowie der Nummer des jeweiligen Poststücks und dank Lesebändchen ein problemloses Navigieren zwischen den beiden zentralen Elementen des Textkorpus des Buches. Dazu kommen sorgfältig zusammengestellte Werklisten beider Autoren, ein Literaturverzeichnis, eine umfangreiche, beide Leben und historische Fakten verschränkende Zeittafel, ein Personenregister und ein kleiner erfreulicher Bild-und Faksimile-Teil am Ende des Buches.

Rastlos durch Europa

Kennengelernt haben die beiden einander auf der Tagung der "Gruppe 47" im Schloss Bebenhausen bei Tübingen im Oktober 1955, an der Enzensberger zum ersten Mal teilnahm. Er ist drei Jahre jünger als die 1953 mit dem "Preis der Gruppe 47" ausgezeichnete Ingeborg Bachmann. Der Briefwechsel setzt im November 1957 mit einem sehr stilisierten, deutlich die Nähe der berühmten Kollegin suchenden Schreiben Enzensbergers ein und erstreckt sich über mehr als zehn Jahre, wobei er gegen Ende hin immer stärker ausdünnt. Insgesamt sind es 130 Korrespondenzstücke: 53 von Bachmann, verwahrt im DLA Marbach, 77 von Enzensberger, erhalten im Nachlass Ingeborg Bachmann im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek.

Am beeindruckendsten ist auf den ersten Blick vielleicht die unglaubliche Schwierigkeit, einander zu begegnen. Wohnt Bachmann in Rom, ist sie sicher auf Reisen, wenn Enzensberger dorthin kommt, wohnt er in Frankfurt, ist er sicher nicht da, wenn sie hier ihre Vorlesungen hält. Die Rastlosigkeit in diesen beiden Leben hat einiges an Verständigungsaufwand nötig gemacht, um jeweils zu rekonstruieren, "wie du über die karte von europa huschst"(Brief HME, 3.8.1959). Ein Treffen aber steht herausgehoben und lässt sich verschieden interpretieren. Egal, welchen Grad an Intimität man dieser Begegnung zumisst, nachzulesen ist, wie sehr Enzensberger in einem der Briefe "danach" plötzlich in einen Bachmann-Ton verfällt. Es mag voreingenommen sein, aber im Kontinuum gelesen, wirkt dieser Brief am wenigsten authentisch.

Von Bachmanns Seite ist der Ton fast gleichbleibend freundschaftlich, gerade die fehlende Nähe ist es, die sie immer wieder als das Beglückende herausstreicht. Seine Briefe seien die einzigen, "die in einer Sprache geschrieben sind, die ich verstehe, in all der Zeit, auch wenn Ziffern und Daten drin vorkommen", schreibt sie am 29. Jänner 1960, und das heißt wohl einfach, dass zwischen ihnen beiden kein vermintes Terrain liegt. "Ich habe auch nie Angst, wenn ich einen Brief von Dir aufmache, und sonst habe ich meistens Angst, wenn auch unbegründet oft."(Brief IB, 19.9.1962) Auch in der schwierigen Phase während und nach der Trennung von Max Frisch ist sie in ihren Briefen an Enzensberger bei aller Verschwiegenheit mitunter relativ offen.

Literarische Kooperationen

Was der Briefwechsel auch sichtbar macht, ist das ganz andere Verhalten der beiden im Kontext des Literaturbetriebs. Auch wenn Enzensberger in seinen Briefen an Bachmann durchaus zurückhaltender agiert, wird doch die bewundernswerte Umtriebigkeit deutlich, mit der er das Projekt einer übernationalen Zeitschrift (Gulliver) betrieb und die verschiedenen Stadien mit durchnummerierten Thesenpapieren resümierte. Dasselbe gilt für seine Anthologie "Museum der modernen Poesie" - Bachmanns Ungaretti-Übersetzungen dafür stehen am Beginn der Briefbeziehung -und in den 1960er-Jahren für sein Kursbuch, für das er unermüdlich und jahrelang von Bachmann versprochene Gedichte einfordert -mit Erfolg. Nach langen postalischen und sonstigen Verwicklungen übersendet sie vier Gedichte, darunter "Keine Delikatessen" und "Böhmen liegt am Meer" - sie erscheinen im Kursbuch 15 im November 1968.

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