Begegnung mit Jacob Allerhand (1930-2006)

Werbung
Werbung
Werbung

Jacob Allerhand war nicht fromm, aber religiös, wie er von sich sagte. Er war immer zur Stelle, wenn die jüdische Stimme fehlte, war ein unbeirrter Verfechter des schwierigen jüdisch-christlichen Dialogs, eine "lebendige Brücke zwischen Juden und Christen" (Helmut Nausner). In seiner Person vereinten sich mühelos die Funktionen des Präsidenten der B'nai B'rith Österreich und eines Vorstandsmitglieds des Koordinationsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit.

Unvergesslich für mich, wie er bei einem Freitagabendgottesdienst in der armseligen Synagoge von Czernowitz geduldig einigen nichtjüdischen Teilnehmern der (akademischen!) Studienreise das Gebetbuch umdrehte: sie sollten es wenigstens richtig in der Hand halten! "Gegenseitiges Unwissen" nannte er eine der Ursachen für die Distanz zwischen Juden und Christen, "vernachlässigte Liebe gegenüber der Mutter" - gemeint ist das Judentum - eine fundamentale Fehlhaltung der Christen.

In der Schoa verlor der im ukrainischen Schtetl Ludwipol Geborene seine Familie, irrte durch die Länder der Sowjetunion, bis er endlich nach 1945 in Berlin bei einem Onkel Zuflucht fand. Nach Studien in Berlin, München und London kam er 1964 nach Wien.

Ohne zu verklären hat Allerhand vor allem mit seinem Engagement für die jiddische Sprache der Kultur des Schtetls ein Denkmal gesetzt. Anlässlich einer Radiosendung über den Sabbat hat Allerhand von seiner Kindheit erzählt, wie sich seine Familie auf den Schabbes vorbereitet hat. In der Anschaulichkeit dieser Erzählung ist mir aufgegangen, dass Sabbatkultur und Familienkultur die wesentlichen Elemente der Treue des jüdischen Volkes zu seiner Religion sind.

Eine eigene Familie ist Allerhand versagt geblieben, seine Studentinnen und Studenten waren ihm ein soziales Netz. Fast vier Jahrzehnte lang lehrte er an der Wiener Universität am Institut für Judaistik. Ostjudentum und Judentum der Aufklärung waren seine wichtigsten wissenschaftlichen Arbeitsgebiete, niedergelegt in zahlreichen Publikationen, weitergegeben in Vorträgen und Symposien zwischen Los Angeles und Moskau, Wien und Jerusalem. Jacob Allerhand war ein Kosmopolit, seine Vielsprachigkeit war vergleichbar mit der von Franz König, dem er freundschaftlich verbunden war, und an dessen Sarg er beim Trauergottesdienst im Stephansdom einen hebräischen Psalm sprach.

Was von ihm mit Sicherheit bleiben wird, ist die Liebe zur jiddischen Sprache und ihre Welt, die er in vielen - nicht nur jungen - Menschen entzünden konnte. Wie er etwa bei der Interpretation von Mordechai Gebirtigs Gedicht Avreml der marwicher oder Itzig Mangers Ojfn veg schtejt a bojm die Welt des Ostjudentums erstehen und Trauer über den Sturm spüren lassen konnte, der sie wegfegte, das wog jede allenfalls fehlende theoretisch-didaktische Systematik auf.

Manchmal nahm er Differenzen in einer Sache allzu persönlich; einmal war er furchtbar gekränkt, wollte nie mehr mit mir sprechen. Wenige Wochen später liefen wir einander in Jerusalem über den Weg. Ob er mir schon verziehen habe, fragte ich ihn. Da umarmte er mich mit den Worten: "Wenn man sich in Jerusalem trifft, darf man nimmer bös sein aufeinander!"

Hubert Gaisbauer

Am 13. November findet im Otto Mauer-Zentrum, 1090 Wien, Währinger Str. 2-4, um 19.30 ein Schiwe-Sitzen (jüdischer Trauerritus) für Jacob Allerhand statt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung