Begräbnis letzter Klasse

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Antigone-Debakel am Wiener Volkstheater.

Etliche suchen an diesem Abend vorzeitig frische Luft, beneidet vom Kritiker, der sich verpflichtet fühlt, bis zum bitteren Ende auszuharren: Beim Verlassen der jüngsten Premiere am Wiener Volkstheater, "Antigone" in der Inszenierung von Thirza Bruncken, lässt man einen Albtraum hinter sich.

Das Unheil beginnt mit einer eigenmächtig von der Regie dem Stück vorangestellten, vom Publikum mit Gelächter quittierten Szene: Die im Kampf gegeneinander gefallenen Brüder Eteokles und Polynikes treten im Asterix-Stil mit im Brustpanzer steckenden Schwertern auf und bekommen verschiedene Schicksale zugewiesen. Eteokles soll ehrenhaft bestattet, Polynikes den Geiern und Hunden zum Fraß werden. Um die Polynikes versagte Totenruhe augenfällig zu machen, lässt ihn die Regie nun zwei Drittel des Abends das weitere Geschehen auf Robert Ebelings schräger Bühne - mit einer Schulbank in der Mitte - umkreisen.

Und es tut sich noch viel Unsägliches. Wer den weiteren Verlauf des Stückes nicht kennt, bekommt vieles an diesem Abend bestenfalls aus dem Programmheft mit. Antigone, die Schwester der beiden Toten, widersetzt sich dem Befehl ihres Onkels und König Kreons und macht sich an die Bestattung des Polynikes. Dafür wird sie zum Tod verurteilt, in den ihr Hämon, ihr Bräutigam und Sohn des Kreon, und Eurydice, Kreons Gattin, freiwillig folgen. Zurück bleibt ein gebrochener, den Tod ersehnender Kreon.

Konflikt ertrinkt im Lärm

Mit dem Werk des Sophokles, einer der grandiosen Tragödien der Weltliteratur, hat das, was im Volkstheater geboten wird, fast nichts zu tun. Setzte das antike Drama auf das Wort, auf den Dialog zwischen maximal drei Akteuren auf der Bühne, so regiert hier der Lärm und ein Übermaß an Bewegung. Der spannende Konflikt zwischen dem persönlichen Gewissen, das sich göttlichen Geboten verpflichtet weiß, und einer Staatsführung, die aus durchaus einsichtigen Motiven ein Exempel statuieren will, kommt nicht heraus. Er geht, wie die sperrige Übertragung von Friedrich Hölderlin, in Techno-Musik und Bildprojektionen, in Zappelorgien der Darsteller und unnötigen Textwiederholungen und Einschüben von Christian Grabbe, Antonin Artaud und Friedrich Nietzsche unter. Und im überarbeiteten Text mutiert zum Beispiel der Gott Eros zum "Geist der Liebe".

Was der Seher Tiresias, hier ein guter, aber nicht ganz verständlicher Rap-Sänger, von sich gibt, steht zur Sicherheit im Programmheft. Die Chor-Texte leiert eine einzige bebrillte Dame - wie sich Laien eine im Elfenbeinturm sitzende Theaterwissenschaftlerin vorstellen - herunter. Die Akteure entwickeln wenig Profil, und das entspricht (etwa bei der Kreon die Zunge herausstreckenden Antigone, der doch Liebe mehr bedeutet als Hass) selten der Rolle. Sie erweisen sich leider als Marionetten der Regie, paradox bei einem Werk, das die Eigenverantwortung des Menschen herausstreicht.

Wer je Aufführungen griechischer Klassiker am Wiener Akademischen Gymnasium gesehen hat, empfindet bei dieser Inszenierung nur "Schauder und Jammer" - was die Tragödie laut Aristoteles zwar auslösen soll, aber in einem ganz anderen Sinn. Das Drama um die Bestattung des Polynikes gerät zum Begräbnis letzter Klasse. So wenig Applaus und so viele Buhrufe wie bei dieser Premiere hört man vom geduldigen Volkstheaterpublikum selten.

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