Bei sich selbst den Hebel ansetzen

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Nicht nur in der konsumstarken Advent- und Weihnachtszeit ist "Do-it-yourself“ in aller Munde. Über das Potenzial und die Grenzen einer wachsenden konsumkritischen Bewegung.

Selbst machen statt konsumieren, reparieren statt neu kaufen, teilen statt besitzen, nutzen statt herum liegen lassen - das ist Do-it-yourself (DIY): mit Eigeninitiative lokale Ressourcen zu mobilisieren, die eigene Hand als Triebfeder für sozialen Wandel einzusetzen. Den Selbermachern geht es vor allem um ökologische und soziale Nachhaltigkeit.

"Der Anspruch von DIY ist es, das Leben selbst zu gestalten und eine Gegenbewegung zur Wegwerf-Gesellschaft darzustellen“, sagt Peter Iwaniewicz, der im Lebensministerium für Umwelt und Nachhaltigkeit zuständig ist. Er kann der Kunst des Selbermachens viel abgewinnen: "Das Wort Dilettant ist in Verruf geraten, dabei bedeutet dilettare sich zu erfreuen. Wer etwas selbst gemacht hat, freut sich über das Ergebnis.“

Die Sehnsucht nach Handfestem

Immer mehr Menschen wollen wieder etwas in der Hand haben, etwas selbst gefertigt haben: das Holz riechen, die Materialien spüren, etwas Kreatives schaffen. Man baut sich ein Gegenstück zur virtuellen Welt, so die These des Neurobiologen Gerald Hüther: Im Beruf spüren viele längst nicht mehr die Ergebnisse ihres Tuns, in ihren eigenen vier Wänden aber sind sie Bauherren. Diese wundersame Regression der westlichen Gesellschaft ins Vor-Computerzeitalter verwundert nicht - besinnt man sich doch gerade in Krisenzeiten auf das Vertraute und Bewährte.

Auch online erlebt DIY eine Hochkonjunktur: Unzählige Blogs und Foren geben Anleitungen zum Selbermachen und dienen dem Erfahrungsaustausch: von Kochrezepten über Fahrgemeinschaften bis hin zu urbanen Nachbarschaftsgärten.

Wie sich DIY auf das Konsumverhalten auswirkt, hat die deutsche Soziologin Corinna Vosse untersucht. Die Erfahrung des Selbermachens relativiere die perfektionistischen Ansprüche an Produkte: "Ein selbst geernteter Brokkoli darf auch eine braune Stelle haben“, sagt Vosse. Im Idealfall führe DIY zu einer Bewusstseinsänderung: "Man beginnt sich zu fragen: Wie kann ein kleines tragbares Radio nur 5,99 Euro kosten? Wer zahlt die Rechnung dafür?“ So werde man eher bereit für weniger ressourcenintensive Konsumformen: sich eine Waschmaschine zu teilen, Geräte auszuborgen oder die Turnschuhe reparieren zu lassen. "Wenn Konsum nur über Kaufhandlungen stattfindet, entsteht mein Autonomiegefühl über den Besitz“, erklärt Vosse. Beim Projekt Nachbarschaftsauto hingegen sei nicht mehr der Besitz wesentlich, sondern das Autonomiegefühl verlagere sich auf das Inanspruchnehmen einer Dienstleistung.

Traditionelle, Aktivisten und andere

Wer sind also die Selbermacher? Vosse ist in ihren Forschungen auf fünf Typen gestoßen: Die Traditionellen seien mit dem Selbermachen als Alltagspraxis aufgewachsen. Die Idealisten und Aktivisten wiederum würden das Selbermachen als einen Weg in eine bessere, nachhaltigere Welt sehen. Den Perfektionisten und Stilbewussten gehe es darum, etwas besonders gut oder individuell zu machen und sich zu inszenieren. Die Besorgten würden das Selbermachen als Prävention betrachten und sich davon Gesundheitsvorteile erwarten. Und den Lebenskünstlern gehe es vor allem darum, Geld zu sparen und in ihrer Zeiteinteilung selbstbestimmt zu sein.

Dem Selbermachen sind aber auch Grenzen gesetzt. Paradoxerweise entsteht durch DIY ein neuer Markt für Geräte und Materialien. "Bei vielen Anleitungen muss man sich zuerst alle möglichen Materialien kaufen. Letztlich kauft man dann mehr und nicht weniger“, erklärt Vosse. Bei den Anleitungen im Internet fehle wiederum das Bewusstsein, dass auch das Internet enorm viel Energie verbraucht.

Ein klassisches Beispiel für die Paradoxien von DIY ist die Konsumentengruppe der LOHAS (Lifestyle of Health and Sustainability): Das sind gebildete, wohlhabende Schichten, die sich einen ökologischen Anstrich geben, aber einen überdurchschnittlich hohen ökologischen Fußabdruck hinterlassen: "Sie fliegen auf die Malediven, aber stufen sich als umweltbewusst ein, weil sie Bio-Produkte kaufen und am Balkon Tomaten anbauen“, kritisiert Vosse.

Damit Do-it-yourself kein Elitenprojekt für Menschen mit großem Zeitbudget bleibt, brauche es andere Zeitstrukturen und einen anderen Arbeitsbegriff, betont Nachhaltigkeitsforscher Hans Holzinger von der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen. Ein mögliches Modell wäre die "Dreizeit-Gesellschaft“: ein Drittel Erwerbsarbeit, ein Drittel Haus- und Eigenarbeit und ein Drittel Muße. "Mit einer anderen Verteilungsstruktur könnte man durchaus Arbeitszeit verkürzen - für zu hohe Einkommen ohne Lohnausgleich, für zu niedrige Einkommen mit Lohnausgleich. Unser aller Lebensqualität würde steigen“, ist Holzinger überzeugt.

Doch auch Holzinger erkennt Widersprüche im DIY-Trend: Es würde keinen Sinn machen, wenn jeder wieder alles selbst produzierte. Denn die industrialisierte und arbeitsteilige Produktion sei sehr effizient.

Eine große Hürde ist auch die Freiwilligkeit: "Wir sind verhaltensträge Wesen und verändern uns nur, wenn wir dazu gezwungen sind oder uns einen Vorteil davon erhoffen“, betont Holzinger. Deshalb brauche es Anreize über den Preis oder über Ge- und Verbote. Ein weiteres Problem sieht der Zukunftsforscher in der Delegation der Verantwortung an die Bürger: "Die Wirtschaftsstrukturen bleiben weiterhin die alten. Wir bräuchten aber neue Spielregeln und andere politische Rahmenbedingungen.“

Die Kunst des Unterlassens

Potenzial erkennt Holzinger überall dort, wo DIY vom Individuum auf die Gemeinschaft übergreift: "Wenn Firmen wie Waldviertler auf Regionalwirtschaft setzen und auf neue Finanzierungsmodelle. Das sind soziale Innovationen.“ Letztlich gehe es um eine kollektive Nachhaltigkeitsbilanz: "Wenn sich alle Menschen 50 Prozent nachhaltiger verhalten, ist mehr geholfen, als wenn sich zehn Prozent 100 Prozent nachhaltiger verhalten“, mahnt Holzinger.

Denn so wie derzeit werden wir nicht mehr lange wirtschaften können: Heute führt nur ein Viertel der Weltbevölkerung den westlichen Lebensstil mit geräteintensiven Haushalten, autofixierter Mobilität und fleischzentrierter Ernährung. Diese Gruppe wächst rasant. "Ein solcher Lebensstil ließe sich nur mit ressourcenärmeren Produktions- und Konsumstrukturen für immer mehr Menschen aufrechterhalten“, weiß Holzinger.

Dennoch wird sich DIY nicht so schnell durchsetzen. Holzingers Tip für all jene, die sich nicht für das Selbermachen erwärmen können: Man übe sich in der Kunst des Unterlassens. "Es geht nicht immer darum, das Richtige zu tun - manchmal reicht es schon, etwas nicht zu tun. Auch das spart Ressourcen.“

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