Beichte mit Selbstironie

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Einer, der sich selbst der Nächste war: Die Autobiographie wurde zum Nachruf auf sich selbst.

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Einer, der sich selbst der Nächste war: Die Autobiographie wurde zum Nachruf auf sich selbst.

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Ich nahm Rache. Rache an der Ungeheuerlichkeit der menschlichen Existenz, Rache an der Dummheit, die uns beherrscht ... Rache an mir selbst in meiner Ohnmacht. Was mich zum Schreiben trieb, war der Haß des Moralisten." Auf das "Greisengemurmel" folgte noch nicht das Verstummen. Gregor von Rezzori konnte noch ein weiteres, nun wirklich letztes Buch schreiben und scheute dafür keine Mühen, denn immerhin war er nun sich selbst auf der Spur: "Wehmütig grüßt der, der ich bin, den, der ich hätte sein können." Für sein Motto wandelt Rezzori den "Kollegen Kierkegaard" ab.

Solches Augenzwinkern begleitet jede Seite und ist Teil des Spiels der Selbstironisierung. Die ist so notwendig wie für den Schmetterlingsammler die Botanisiertrommel, denn Rezzori war sicherlich kein unkomplizierter Zeitgenosse. Dafür war er zu klug, zu gebildet und hatte ein zu bewegtes Leben - nicht nur, was die Beziehungen zu Frauen betraf.

Seine autobiographischen Gedanken sind keine Sympathiewerbung, denn zwischen den Zeilen, und zuweilen ganz deutlich, läßt er durchblicken, daß er sein Verhalten zum Beispiel gegenüber seiner Frau und seinen Kindern selbst nicht immer in Ordnung fand und auch seine Haltung im Nachkriegsdeutschland, nach dem Ende der Träume, zeitweise von einer "bedenkenlosen Prostitution" nicht zu unterscheiden war: "Ich hatte ja keinen Ruf zu verlieren". So störte es nicht, wenn er den deutschen Zeitschriftenmarkt mit "unsäglichen Banalitäten" belieferte.

Die Ehrlichkeit ist entwaffnend: Die Zeit von November 1938 bis Mai 1939 verbrachte Rezzori zum Beispiel in einer Skihütte in St. Johann, nachdem er die Bühne des Lebens als deutscher Dichter mit dem Roman "Flamme, die sich verzehrt" betreten hatte. Den "Weisen im nachhinein", die alles schon im vorhinein gewußt hätten, hält er kühl entgegen: "Von mir war das 1938 nicht zu erwarten."

Als 24jähriger, der sich damals bereits als Lebemann, Schaufensterdekorateur, Bergwerksingenieur und Zeichner verdingt hatte, wußte er zwar, daß mit dem März 1938 das bisherige Leben mit den jüdischen Freunden in Wien vorbei war. Doch wie er darüber schreibt, das klingt angesichts der gängigen Erinnerungsschriften, die einem unausgesprochenen Kodex folgen, fast wie Blasphemie: "Es fehlte etwas im Stadtbild. In der Stadtstimmung. Es fehlte die Erotik. Die Juden fehlten. Es fehlte ihre Lebendigkeit ... Es fehlte ihr Witz. Es fehlte auch das Irritierende ihrer Unverschämtheit."

Wer sich mit Sätzen wie solchen so weit vorwagt, der muß, vorsichtig gesagt, mit Unverständnis rechnen - rechten kann man mit ihm sowieso nicht mehr: "Ich aber fror. Ich muß zu meiner Schmach gestehen, daß es nicht der Gedanke an meine jüdischen Freunde und ihr Geschick war, was mich frieren ließ."

Als rumänischer Staatsbürger schwindelte Rezzori sich durch den Krieg, und während die deutschen Städte bereits "flach waren", deutsche U-Boote aber weiterhin Abertausende von Bruttoregistertonnen versenkten, lebte er mit Frau und Kindern in Pommern: "Auch unsere Strecken an Feldhasen und Kaninchen waren stolz. Es fehlte uns auf dem Tauschweg nicht an echtem Bohnenkaffee. Ich mußte nicht mein Seelenheil dafür hergeben. Ich blühte wie Priska (seine Frau, Anmerkung des Rezensenten). Wundervoll war das Gefühl der Freiheit, seit der Stein des Illustriertenromans von meinem Gemüt gewälzt war. Das letzte Kriegsjahr ging wohltemperiert dem Ende zu."

Jeder ist sich selbst der nächste. In vielen Autobiographien wird diese Maxime verschleiert, so daß sie nicht als blanker Egoismus zutage tritt. Rezzoris Sache ist das nicht. Doch trotzdem scheint es manchmal, als würde er sich durch klug gesetzte Pointen so etwas wie Absolution von seinen Lesern erhoffen.

Gegen Ende fand er auf seinem Alterssitz in der Toskana zu einem Greisengemurmel ohne Haß zurück, zum Mitleid mit den jüngeren Zeitgenossen, die geduckt unterm Hagel der Informationen leben, die ihnen verkünden, daß ihr Ende naht. Für Rezzori hieß Zukunft: ein nächstes Buch, "endlich eine wirkliche Biographie". Er kam nicht mehr dazu. Was er, sich selbst auf der Spur, herausfand - das bleibt nun sein unwiderruflich letztes Wort.

Mir auf der Spur Von Gregor von Rezzori, C. Bertelsmann Verlag, München 1997, 382 Seiten, geb., öS öS 313,-

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