"Beim Essen schwören wir auf Bio-Tech"

19451960198020002020

Athene liebt Gentechnik und High-Tech-Nahrung. Diese garantieren wahre Wunderdinge für die Gesundheit und ermöglichen ein Leben, das fit macht bis ins hohe Alter.

19451960198020002020

Athene liebt Gentechnik und High-Tech-Nahrung. Diese garantieren wahre Wunderdinge für die Gesundheit und ermöglichen ein Leben, das fit macht bis ins hohe Alter.

Werbung
Werbung
Werbung

Seit Wochen beherrscht ein Thema die Chats im Internet: Soll die genetische Manipulation an menschlichem Erbgut freigegeben werden oder nicht? Darum geht es bei der für nächste Woche angesetzten weltweiten Computerbefragung. Nur mehr eine Woche bis zur Entscheidung und die Meinungsforscher sind sich in dem entscheidenden Punkt einig: es werde ein klares Votum der Weltbevölkerung für die Gentechnik geben.

Das überrascht mich nicht. Denn die meisten Menschen sind davon überzeugt: mit der Gentechnik, der Schlüsseltechnologie des dritten Jahrtausends, werde es gelingen, eine ganze Reihe von existentiellen Problemen unseres Jahrhunderts in den Griff zu bekommen.

Acht Milliarden Menschen leben auf der Erde. Im Jahr 2050 werden es schon 14 Milliarden sein. Der Welthunger, das Schreckgespenst der letzten 50 Jahre, konnte jedoch besiegt werden - dank gentechnisch entwickelter Pflanzen. Sie wachsen auch unter extremen klimatischen Bedingungen, sind ertragreich, schädlingsresistent und gesünder, weil schadstoffärmer.

High-Tech-Nahrung drängt auch bei uns auf den Markt. Ich muß die neuen Bio-Tech-Pilze und Bio-Tech-Eiweißprodukte einmal probieren! Sie sollen wahre Wunderdinge für die Gesundheit bewirken. Sicher schmecken sie auch wundervoll. Alles schmeckt heutzutage köstlich, Bio-Sensor-Chips steuern perfekt den Geschmack.

Auch wer nach wie vor Bioprodukte bevorzugt, findet eine breite Angebotspalette an natürlichen Produkten vor. Und man kann sie bedenkenlos sogar auf Vorrat kaufen. Ein Wake-up-Effekt sorgt bei Obst und Gemüse für optimale Reifung bei Bedarf. Man stelle sich vor: Erdbeeren, Spinat, Salat, Orangen und Zitronen, alles köstlich, frisch und reif!

Trotzdem, vielen ist das Gen-Tech-Food suspekt. Furore macht derzeit eine neue Ernährungsideologie: die Neo-Rohkost. Die Neo-Rohkostler verwenden ausschließlich rohe Produkte - rohes Salz, rohen Zucker aber auch rohes Gemüse, das oft durch Rückzüchtung gewonnen wurde.

Neo-Rohkost-Fans sind vor allem die "jungen Alten", die Sechzigjährigen mit dem Aussehen Jugendlicher. Erstaunlich, was die Gentechnik alles kann! Doch das Alter auszutricksen ist eine teure Angelegenheit. Die Amerikaner, in der Genforschung immer schon eine Nasenlänge voraus gewesen, haben sich diesen lukrativen Geschäftszweig gesichert. Gen-Schönheitsbehandlungen werden bis jetzt nur in den hypermodernen, exorbitant teuren Jungen-Farmen Amerikas gemacht. Doch auch bei uns dürfte bald das Zeitalter der "faltenlosen Gesellschaft" anbrechen. Die großen Kosmetikkonzerne wittern ein Geschäft, alle arbeiten an Cremes, die das Steuerungsprogramm der Haut genetisch manipulieren können und damit die Hautalterung gentechnisch einfach ausschalten.

Der Wunsch der Menschen, für immer jung und gesund sehr alt zu werden, hat der vor Jahrzehnten noch mit Skepsis und vielen Ängsten belegten Genforschung letztlich doch zum Durchbruch verholfen. Es waren vor allem die gentechnisch produzierten Medikamente, die zuerst akzeptiert wurden. Heute gehen die Anwendungsmöglichkeiten der Gentechnik weit darüber hinaus. Gentechnisch erzeugte Hauttransplantate und genetische Methoden zur Heilung von Wunden und Hautverletztungen gehören zum medizinischen Alltag.

Der große Wurf jedoch gelang der Forschung mit einer gentechnischen Heilmethode gegen Krebs und kürzlich erst wurde der Nobelpreis einem amerikanischen Forscherteam verliehen, das den Gencode der Altersleiden knackte. Die Menschen meiner Generation haben damit gute Chancen, geistig frisch, gesund, jung und schön weit über hundert Jahre alt zu werden. Vorausgesetzt, sie können es sich leisten!

Die Aussicht auf ein langes Leben hat auch der Natur zu einem neuen Stellenwert verholfen. Ganz gezielt werden heute im Kampf gegen Gifte, Umweltverschmutzung, Müll und Ozonloch High-Tech, Gen-Tech, Bio-Tech und Super-Computer eingesetzt. Alle Hoffnung richtet sich darauf, daß die Wissenschaft endlich das intelligente Selbstwerdungsprogramm der Natur entschlüsselt. Wenn das gelingt, wird Natur gestaltbar. Hoffentlich geht man mit Verstand und Verantwortung zu Werke damit die Menschen, als ein Teil der Natur die Chance haben, mit der Natur zu überleben.

Ausgetrickst hat man die Natur bereits mit den genetisch erzeugten Energieträgern. Erdöl beispielsweise, die Weltreserven gehen langsam aber sicher zu Ende, wird bereits künstlich erzeugt. Doch vielleicht braucht man Öl bald nicht mehr. Seit neuestem setzt man auf Energiegewinnung durch eine künstliche, gentechnologische Photosynthese.

In diesem positiven Umfeld wird es bei der weltweiten Computerbefragung demnächst nicht allzu viele Stimmen geben, die nunmehr auch gegen den letzten Schritt sind: die gentechnische Manipulation des menschlichen Erbguts. Schon heute ist man in der Lage, die Fähigkeiten, Talente, Krankheiten und Defekte eines jeden Menschen genetisch zu analysieren oder zu prognostizieren. Aus ethischen Gründen wurde das Menschen-Screening jedoch bisher abgelehnt. Personen mit schlechteren Gen-Positionen sollten nicht benachteiligt werden.

Ich glaube, man sollte akzeptieren, daß Menschen verschiedene Talente, Chancen und auch Beschränkungen haben. Ist es nicht besser, über seine Talente und Fähigkeiten Klarheit zu haben, anstatt ein Leben lang einem Phantom nachzujagen? Viele nachteilige genetische Prädispositionen lassen sich mit geeigneten Maßnahmen - Biochips und Therapien - ausgleichen und alle Menschen wären endlich wirklich gleichwertig.

Schwerer fällt es mir, "ja" zu den geplanten Eingriffen ins Erbgut der Menschen zu sagen. Meiner Meinung nach geht es da um eine völlig andere Verantwortung. Mit Genmanipulationen am Erbgut könnte man Identitäten verändern, heute den Menschen von morgen schaffen. Kommt das nicht einer Herrschaft der Toten über die lebenden Generationen gleich? Das hat es noch nie gegeben so lange Menschen Menschen sind. Haben wir dazu überhaupt das Recht, ganz zu schweigen von der Reife, mit so einer Verantwortung umzugehen?

Bei den Diskussionen im Internet meinen viele, daß wir den Eingriff in das genetische Erbgut wagen sollten. Wir sollten auch das Risiko der Irreversibilität und der daraus resultierenden exorbitanten Verantwortung übernehmen, weil sonst die Folgen noch schlimmer wären, weil wir sonst später die Produzenten von noch größerem kolletiven Elend werden würden. Die Verfechter dieser Meinung stützen sich dabei ausgerechnet auf ein Zitat aus dem 20. Jahrhundert. Irgendjemand soll damals gesagt haben: "Durch den Akt des individuellen Erbarmens vermehren wir nur das generelle Elend der Zukunft".

Immer wieder wird auch damit argumentiert, es habe die sogenannte "unversehrte" Natur nicht eine Sekunde in der Geschichte der Menschheit gegeben. Menschliches Werden war immer Selbstmanipulation und Selbstzüchtung - etwa durch die Abschaffung der natürlichen Auslese.

Tatsache ist, daß das menschliche Erbgut immer schlechter wird. Darauf weisen die Wissenschaftler und Experten immer wieder hin. Und viele meinen, wenn wir sowieso den Genpool durch die Abschaffung der Auslese beeinflussen, sollten wir eben endlich auch die Verantwortung dafür übernehmen - wir sollten in die Natur eingreifen! Die Gentechnik biete dem Menschen die Chance, die zweite Stufe seiner Evolution zu erreichen, meinen die Befürworter einer genetischen Manipulation am Erbgut. Die Zukunft brauche diesen neuen Supermenschen.

Und wie wird er aussehen, dieser Homo Super Sapiens?

Der Homo Super Sapiens ist areligiös. Wenn wir Menschen selbst Verantwortung übernehmen, und daran führt kein Weg vorbei, müssen wir endlich wirklich damit aufhören, die Verantwortung an einen Gott oder gar eine Heilslehre zu delegieren.

Er hat ein neues Naturverständnis. Er hat sich von der Illusion einer heilen, "natürlichen" Natur und vom Dogma der Eigenständigkeit der Natur wieder verabschiedet.

Er wird hyperrealistisch sein und auf den verschiedensten und widersprüchlichsten Wirklichkeitsebenen zugleich und gleichwertig leben können.

Er wird eine neue Qualität von "egoistischen Altruismus" verinnerlicht haben. Er wird frei sein für All-Liebe und All-Verantwortung.

Übrigens haben einige Trendforscher in Deutschland diese Entwicklung schon im Jahr 1996 exakt beschrieben ...

Die Entscheidung Pro oder Kontra genetische Eingriffe am Menschen fällt mir schwer. Aber ich glaube, daß wir Menschen uns weiter entwickeln müssen, wenn wir eine Zukunft schaffen wollen, in der es sich auch lohnt zu leben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung