Beliebig aufblasbare Bauernhäuser

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Ein Sammelband von Friedrich Achleitner: Ebenso provozierende wie intelligente Thesen über regionales Bauen und unverbindlichen "Regionalismus".

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Ein Sammelband von Friedrich Achleitner: Ebenso provozierende wie intelligente Thesen über regionales Bauen und unverbindlichen "Regionalismus".

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Regionales Bauen hat einen Wiedererkennungswert. Es reflektiert in natürlicher Weise die regionale Kultur. Regionalismus als Produkt des Historizismus hingegen vermengt nach Belieben bauliche Ausdrucksmittel ohne Rücksicht auf die Region. Er erzeugt damit einen für jedermann leicht konsumierbaren artifiziellen Einheitsstil."

Dies ist die zunächst paradox klingende (und, zugegeben, etwas überspitzt wiedergegebene) Aussage Friedrich Achleitners in seinem jüngsten Buch "Region ein Konstrukt?"

Andererseits kann kompromißlos moderne Architektur auch regional beeinflußt sein. Dies belegt Achleitner anhand einiger Beispiele aus der Geschichte der klassischen Moderne. Daß allerdings auch die Moderne des öfteren in rücksichtslosen, unreflektierten und sicher nicht ganz so leicht konsumierbaren Einheitsstil ausartet, erwähnt er leider nicht.

Er geht zunächst auf die im späten 19. Jahrhundert entstandenen Begriffe Heimatstil (und die dazu im Widerspruch stehende Heimatschutzbewegung), Nationalromantik und Regionalromantik ein. In Essays und Vorträgen, die in den Jahren von 1986 bis 1996 entstanden sind, betrachtet er die Architektur anhand dieses Rasters. Er tut es mit jener kritischen Distanz und Ironie, die nur jemandem möglich ist, der ein inniges Verhältnis zum Bauen hat. Wer sonst könnte gleichzeitig freimütig einbekennen, die Architektur zu überschätzen?

Die Wesenszüge der Romantik und der Avantgarde werden am Beispiel zweier bedeutender österreichischer Architekten erläutert: Clemens Holzmeister und Lois Welzenbacher. Romantiker der eine, Avantgardist der andere. Achleitner läßt dabei sein durchaus ambivalentes Verhältnis zu Holzmeister erkennen. Er würdigt ihn als großen Architekten und Lehrmeister, räumt aber andererseits ein, daß Holzmeisters romantisch-nationalistische Architektur den Austrofaschisten und später - freilich ohne Zutun des in die Türkei Emigrierten - den Nationalsozialisten für ihr Konzept der "Blut-und-Boden-Architektur" willkommen war. Von der Mitverantwortung für die Wucherungen der beliebig aufblasbaren Bauernhäuser in diesem Land wird Holzmeister ebenfalls nicht entbunden.

In einer satirischen, an Karl Kraus erinnernden Abhandlung über die Gemütlichkeit geht Achleitner kurz auf die Gestaltung von Räumen ein: Gemütliche Räume verlangen, dies seine provozierende These, Bereitschaft zu passivem Erleben und den unbedingten Willen zur Harmonie.

Allgemeinen Überlegungen, wie etwa der Frage, ob Bausünden nicht des öfteren von anderen als den Architekten (zum Beispiel von Behörden) zu verantworten seien, folgen Abhandlungen über zwei Beispiele regionaler Entwicklung in der österreichischen Architektur der jüngeren Vergangenheit: Die Vorarlberger "Baukünstler" und die "Grazer Schule". Während erstere über regionale Holzbautraditionen zu einer Dialektik zwischen Handwerk und industrieller Fertigung gelangen, stellt die Grazer Schule den Architekturbegriff in Frage. Ihre besondere Schockwirkung lag nach Meinung Achleitners weniger in der Emotionalität und Expressivität der Architektur als vielmehr in der Tatsache, daß diese Konzepte tatsächlich realisierbar waren.

Der Bogen der Themen und Thesen spannt sich weiter: Tourismusarchitektur muß Architekturtourismus auslösen! Damit ist fast schon hinreichend zusammengefaßt, was Achleitner über die Tourismusarchitektur zu sagen hat. Kultur darf und muß auch nicht "für die Fremden" konserviert werden. Die Regionen sollten den Tourismus vielmehr als kulturell produktiven Faktor erkennen und auf entsprechende Qualitätsarchitektur Wert legen.

Aufbrüche nach 1945 Unter dem Titel "Der Aufbau und die Aufbrüche" befaßt sich Achleitner mit der österreichischen Architektur der Jahre 1945 bis 1975. In den vierziger und fünfziger Jahren lauteten die Forderungen Wirtschaftlichkeit und Schnelligkeit. Erst 1958 sieht er eine Zäsur: Roland Rainers Berufung zum Wiener Stadtplaner sowie seine Stadthalle signalisieren einen ersten Aufbruch im Architekturgeschehen. Gustav Peichls ORF-Landesstudios sowie beginnende Auslandserfolge österreichischer Architekten, zum Beispiel Holzbauers Rathaus in Amsterdam, leiten Mitte der sechziger Jahre den zweiten Aufbruch ein. In diese Zeit fällt auch die beginnende Aufarbeitung der Moderne, die erstmals zu öffentlichen Diskussionen über Architektur in den Medien führt.

Von der Praxis gelangt Achleitner zu den Theorien. Architekten wie Adolf Loos benützten sie als Mittel zur Durchsetzung ihrer gestalterischen Ideen. Bei Loos sind die Theorien und Utopien kulturelle Botschaften, die das gesamte Leben des Menschen betreffen. Sie stehen aber nicht selten im Gegensatz zu den konkreten Umsetzungen. Speziell in Wien haben Utopien die Eigenschaft, beharrend und rückwärtsgewandt zu sein. Die Lebenspraxis sieht anders aus. Die Architekturtheorie muß in diesem Spannungsfeld zu existieren versuchen.

Da die Beiträge im Lauf eines Jahrzehnts entstanden, tauchen bestimmte Formulierungen immer wieder auf. Deja-vu-Erlebnisse für den Leser sind daher nicht auszuschließen. Dem Titel entsprechend, zieht sich der Versuch, die Begriffe Region und Regionalismus sowie deren Unterschiede herauszuarbeiten, wie ein roter Faden durch das spannend, informativ und streckenweise kurzweilig geschriebene Buch. Es könnte, mit seinem häufigen name-dropping, freilich auch Laien verunsichern.

Nachdem Friedrich Achleitner 180 Seiten lang versucht hat, klarzumachen, worum es geht, macht er schließlich eine überraschende Kehrtwendung und stellt fest, daß sich die beiden Begriffe in einer multikulturellen, multiethnischen Gesellschaft aufzulösen scheinen.

Ein Festhalten an ihnen berge die Gefahr der Ausgrenzung und der Intoleranz in sich. Die Tatsache, daß Friedrich Achleitner für diese Gefahr sensibel ist, vor ihr warnt und in der Lage ist, seine eigenen Begriffsbestimmungen in Frage zu stellen, macht das Buch noch sympathischer und lesenswerter.

Region, ein Konstrukt? Regionalismus, eine Pleite?

Von Friedrich Achleitner. Verlag Birkhäuser, Basel 1997, 256 Seiten, 80 Bilder, geb., öS 424,-.

ISBN 3-7643-5613-8

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