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Bulgakows "Der Meister und Margarita" in einer Castorf-Inszenierung bei den Wiener Festwochen .

Am 14. Juni hatte Frank Castorfs Inszenierung des Romans "Der Meister und Margarita" von Michail Bulgakow (1891-1940) als Koproduktion der Wiener Festwochen und der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin Premiere. Es handelt sich um die Dramatisierung eines Romans, der sich als Satire auf den Literaturbetrieb im Moskau der dreißiger Jahre versteht. Bulgakows Protagonist, der sogenannte Meister, ist ein Dichter, der in der atheistischen Sowjetunion ein Werk über Pilatus und Jesus schreibt, das abgelehnt und schließlich vom Dichter selbst verbrannt wird. Bulgakow erzählt damit seine eigene Geschichte; auch seine Texte wurden von der stalinistischen Zensur verboten, dennoch wandte er sich selbst verzweifelt an Stalin mit der Bitte um Ausreisegenehmigung bzw. Arbeit am Theater.

"Der Meister und Margarita" - erst 26 Jahre nach Bulgakows Tod veröffentlicht - ist gleichsam als Racheroman zu lesen, dessen erstes Opfer ein Literaturfunktionär namens Berlioz (Joachim Tomaschewsky) wird. Der Teufel selbst (Henry Hübchen), der in Gestalt des Ausländers und deklarierten "schwarzen Magiers" Voland erscheint, prophezeit ihm, dass schon bald sein Kopf vom Rumpf getrennt werden würde. Weil Anouschka Sonnenblumenöl verschüttet, stürzt Berlioz auf den Straßenbahnschienen und kommt unter die Räder. Der junge Dichter Iwan Besdomny (Milan Peschel) wird Augenzeuge des Geschehens und dann aufgrund seiner scheinbar verwirrten Rede mit der Diagnose Schizophrenie in die Nervenheilanstalt eingeliefert. Dort befindet sich auch der Meister (Martin Wuttke in der Doppelrolle als Meister und Pontius Pilatus), der von seinem von der Kritik zerrissenen Pilatus-Roman und seiner Geliebten Margarita (Kathrin Angerer) berichtet. Die Welt kehrt sich derart um, dass sich die reale (auch politische) Welt als irreal und die Konstruktion von Pilatus/Jesus als echt erweisen. Nun verschreibt sich auch Margarita dem Teufel und der Hexerei, um ihren geliebten Meister wiederzufinden.

So wie der Roman das eigene Medium und die Frage nach Realität und Fiktion thematisiert, reflektiert Frank Castorf in seiner Bearbeitung die Welt des Theaters, der Illusion und der Wirklichkeit. Wie schon in den letzten Inszenierungen, beispielsweise bei Dostojewskis "Dämonen", baut Bert Neumann quasi eine Bühne auf der Bühne, das als Sex-Kino etablierte Glashaus wird zum eigentlichen Spielraum, der Display zur Projektionsfläche für die Darstellung des Romans im Roman und der Ereignisse, die sich nicht mehr auf der Bühne zeigen lassen. Den Hintergrund der Bühne bildet ein silberner Glitzervorhang, wiederum Selbstreflexion des Theaters und zugleich Kulisse für die dargestellte Welt des Varietés.

So erzählt der gesamte Abend von der Frage nach der Realität bzw. den Realitätsbrüchen, vom Glauben, Zweifeln, Lügen und der Suche nach der Wahrheit. "Alles, was man antippt, gibt es gar nicht" - "Glauben Sie doch wenigstens an den Teufel", heißt es da bezeichnenderweise im Stück.

Castorf lässt - wie immer - seine Schauspieler zielsicher den "falschen" Ton treffen, durch hemmungslose Outrage und Übertreibung wird das Eigentliche (was auch immer es sein mag) desavouiert, Wahnsinn und Normalität werden ununterscheidbar. Wenn sich beispielsweise Iwan und der Meister in der Klinik duschen, dann werden sie mit Schlamm und Dreck eingeschmiert, innerhalb dieser weißen, sauberen Welt der Nervenheilanstalt wird die innere Realität nach außen gekehrt. Mittels Videoprojektionen und Computeranimationen wird der Text versinnbildlicht, entstehen überzeichnete Bilder, wird die Doppelbödigkeit verdoppelt. Denn nur im Zweifeln liegt der Glaube, und Castorf lässt auch sein Publikum an nichts mehr glauben: Der Kameramann Jan Speckenbach, der auf den Schienen (zugleich Anspielung auf die Straßenbahngleise, die Berlioz zum Verhängnis werden) das Bühnengeschehen mitfilmt, stellt die dargestellte Welt als eine fiktive dar, die Observierung der Schauspieler wird zugleich zur Observierung des Publikums, das sich der Realität der fünfstündigen Inszenierung nur teilweise stellte. Castorfs endlose Enden haben Methode, in seiner steten Koketterie mit der Strapazierfähigkeit der Zuschauer verweigert sein Inszenierungs-Rhythmus den Blick auf die Aufnahmefähigkeit des Publikums. Auch die großartige Ensembleleistung macht den Abend nicht wirklich kurzweilig.

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