Benedikt XVI.: Mehr Fragen als Antworten

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Die Einschätzungen der Person des neuen Papstes könnten kontroverser nicht sein. Die Erwartungen sind jedenfalls hochgespannt.

Dass bereits knapp 26 Stunden nach dem Beginn des Konklaves am 19. April um 17.49 Uhr weißer Rauch das Dach der Sixtinischen Kapelle zierte, verblüffte sogar Insider: Binnen 26 Stunden ein neuer Papst - das hatte zuletzt nur Staatssekretär Eugenio Kardinal Pacelli, Papst Pius XII., geschafft; im kürzesten Konklave der jüngeren Geschichte, am 2. März 1939, gewissermaßen am Vorabend des Zweiten Weltkriegs.

Aber jetzt? Warum diese Eile? Benedikt XVI. - ein neuer "eiliger Vater"?

Als Kardinalprotodiakon Kardinal Jorge Arturo Medina Estevez, 79, um 18.43 Uhr hochroten Gesichts, passend zum Kardinalspurpur, den Mittelbalkon des Petersdoms betrat, um den erwählten deutschen Benedikt XVI. zu verkünden, konnte die Welt nur raten, ob es Aufregung oder Zorn ob des Gewählten war - schließlich ist Medina Estevez Chilene, und ganz Südamerika hatte gehofft, einer aus ihren Reihen werde der Pontifex maximus sein, der oberste Brückenbauer zwischen den Kontinenten.

Die Bürde des Amtes

Also Ratzinger ("wir sind papst!" titelte die Bild-Zeitung): Bereits einen Tag zuvor war der gebürtige Bayer sehr symbolisch bei der Messe "Pro eligendo papa" in der Sixtina zu sehen, beim offiziellen Zeremoniell zur Wahl des neuen Papstes, mit Weihrauchfass - und weißem Rauch.

Nun, einen Tag später, rauchten die Server, Fernsehschirme und Köpfe in den Redaktionen, Kommentatoren übten sich in düsteren Prognosen: Da sei ein "Panzerkardinal" gewählt worden, eine "eiserne Faust in Samthandschuhen", ein "Rückschrittler"; es sei eine reaktionäre Entscheidung gewesen. Gemäßigte Blätter räumten freilich ein, er, Ratzinger, habe ohne Zweifel in den letzten Jahren als rechte Hand und graue Eminenz wesentlichen Anteil am Erfolg der "Marke" J. P. II. gehabt und sei für sein Lebenswerk mit diesem überwältigenden Votum belohnt worden: Mehr als die erforderlichen zwei Drittel der Stimmen sollen es gewesen sein, also nicht 77 sondern gar 100 der 115 Wahlmänner, enthüllte ein deutscher Kardinal indiskret. Ratzinger sei unmittelbar nach der Wahl noch mehr gebeugt ob der Bürde des Amtes in die "Camera lachrimatoria" gegangen, ins "Zimmer der Tränen" mit dem roten Sofa, um die päpstlichen Insignien zu empfangen: das weiße "Soli Deo" (weil diese Kopfbedeckung nur vor dem Allerheiligsten abgenommen wird) und die breite Stola des Pontifex.

Vom Stürmer zum Verteidiger

Ratzingers verbale Brillanz hatte bisher auch schon seine Kritiker beeindruckt, selbst seine Körpersprache verrät vieles: Da ging einer, zunehmend gebeugt, beinahe geduckt vor den verbalen Schlägen und Attacken seiner Gegner: ein "Konservativer", ein "Machtmensch", ein "Hochintellektueller" zwar, aber "kein Seelsorger", "fern der Realität" von Armut in den Entwicklungsländern, "ohne Kontakt zu den Weltreligionen", der Hüter eines Glaubens "gegen das Frauenordinariat", rigider "Gegner einer liberalen Sexualität", kurz: ein einziger Schock. Ratzinger hatte den Befreiungstheologen Leonardo Boff gebannt, Hans Küng das Lehramt entzogen, den Priester Tissa Balasuriya aus Sri Lanka exkommuniziert (er wurde inzwischen wieder rehabilitiert).

Jedoch, das sagen selbst harsche Kritiker, das sei nicht der ganze Ratzinger: Er habe just Benedikt als Schutzpatron eines vereinten Europa gewählt, das sei Programm: Benedikt von Nursia, der Gründer des gleichnamigen Ordens, habe den alten Kontinent missioniert, Benedikt XV. (1914-1922) sei ein Friedenspapst gewesen, und womöglich signalisiere die Wahl dieses Namens ein Ende des Europa-Zentrismus: "Benedikt am Anfang, Benedikt am Ende eines europäisch dominierten Papsttums", meinte der Pastoraltheologe Paul Zulehner. Der Wiener Weihbischof Helmut Krätzl erinnerte an den revolutionären Jungtheologen Ratzinger: er habe dem damaligen Kölner Kardinal Josef Frings gewissermaßen die Hand geführt - in einem Protest gegen die damalige römische Kurie (s. S. 4). Dann freilich, das räumte auch Zulehner ein, sei aus dem "theologischen Stürmer ein erzbischöflicher Verteidiger" geworden.

Ratzinger habe endlich die Spitze seiner Karriere erreicht und könne vielleicht jetzt lockerer werden, hoffen Insider. Der katholische Publizist Hubert Feichtlbauer versah Benedikt XVI. gar mit dem Prädikat "Heldenpapst des 21. Jahrhunderts", sollte es ihm gelingen, tatsächlich die christlichen Religionen zusammenzuführen.

Tatsächlich hatte Benedikt XVI. in seiner Antrittserklärung die "Wiederherstellung der sichtbaren Einheit aller Christen" an die Spitze gestellt. Ratzinger - vom strengen Hüter zum guten Hirten?

Auf kritische Beobachter wirkte diese kurze Wahl fürs Erste nicht wirklich inspiriert, eher pragmatisch, eher schon länger ausgemacht und fantasielos. War das der große Wurf, auf den die Welt gewartet hatte? Ein alter, wenngleich noch rüstiger Mann, um 20 Jahre älter als sein Vorgänger zu Beginn des Pontifikats, um ganze sieben Jahre jünger als der verstorbene Papst: Mit 78 war Johannes Paul II. bereits von Parkinson gezeichnet ...

Auch Ratzingers Gesundheit ist angegriffen: Vor drei Jahren überlegte er deshalb bereits seinen Rückzug aus dem Amt, er wolle Bücher schreiben. Und elf Jahre zuvor hatte der damals 65jährige eine Gehirnblutung mit Sehstörungen erlitten. Warum also übernahm Ratzinger - zum Schrecken seines älteren Priester-Bruders - auch noch das Himmelfahrtskommando eines Papstamts?

In der lateinischen Antrittsmesse, morgens nach der abendlichen Wahl zum formalen Abschluss des Konklaves, sagte Ratzinger: "Ich fühle die starke Hand von Johannes Paul II., die meine hält, und seine Augen: Hab' keine Angst."

Schon lange vorbereitet

Die Predigt in lateinischer Sprache dauerte mehr als 15 Minuten - wann hat Ratzinger sie geschrieben? Nächtens? Der geschliffene, theologisch ziselierte Text war sichtlich schon lange vorbereitet: Ratzinger, bereits 24 Jahre im Vatikan, hat für den Fall der Fälle vorgesorgt und nichts dem Zufall überlassen. Ratzingers Geist oder Heiliger Geist? Auch ein hoch geheimes Dossier soll im Konklave unter den Kardinalen kursiert sein und die Physiognomie so mancher Eminenz erblassen lassen haben: In dem Papier war haarklein der Zustand des Klerus weltweit aufgelistet - die Verstöße gegen den Zölibat, die Verkündigung, ein grausames Sittenbild, durchsetzt mit Zeitgeist. Dieses ominöse Dossier habe wesentlichen Anteil daran gehabt, das liberale Lager um Ratzingers Gegenspieler, den Jesuiten Carlo Maria Martini, zu sprengen. Viele Kardinäle seien zerknirscht zum obersten Hüter des Glaubens gewechselt, sagt die vatikanische Fama.

Jetzt stand Benedikt XVI. etwas steif und noch überwältigt von der Wahl, aber durchaus routiniert auf der Loggia und lächelte etwas mehr als sonst: "Nach dem großen Papst Johannes Paul II. haben die Herren Kardinäle mich einfachen und bescheidenen Arbeiter im Weingarten des Herrn gewählt. Es tröstet mich die Tatsache, dass der Herr es versteht, auch mit unvollkommenen Instrumenten zu arbeiten und zu handeln. Ich vertraue mich daher euren Gebeten an."

In seiner "erstaunlich spirituell-politischen und analytischen Predigt" (Zulehner) zur Inauguration, der Amtseinführung am Sonntag, hatte Benedikt XVI. nicht nur seine Kritiker aufhorchen lassen, 38-mal vom Applaus der Menge auf dem Petersplatz unterbrochen: "Die Welt wird durch die Geduld Gottes erlöst und durch die Ungeduld der Menschen verwüstet." Und: "Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus meinem Stall sind, sie muss ich führen, dann wird es viele Herden und einen Hirten geben." Jesus würde den Mächtigen dieser Welt das Unheil der Korruption, Rechtsbeugungen und Willkür nehmen. Den Jugendlichen rief Benedikt XVI. wie Johannes Paul II. zu: "Öffnet die Türen für Christus, reißt sie auf, dann findet ihr das wahre Leben!" Und er zitierte die Worte der Amtseinführung von Johannes Paul II. vom 22. Oktober 1978: "Habt keine Angst".

Benedikt XVI. erhielt am Sonntag den Fischerring und das Pallium aus gesegneter Lammwolle, erstmals wieder mit fünf roten Kreuzen bestickt - wie im ersten Jahrtausend, als Ost- und Westkirche noch nicht getrennt waren. Einerseits symbolisieren sie die fünf Wundmale Christi, andererseits die so genannte Pentarchie - die fünf Patriarchen in Rom, Konstantinopel, Antiochien, Jerusalem und Alexandrien. Ratzinger sagte dazu bereits 1996: "Wir sollten als katholische Kirche von der Orthodoxie nicht mehr verlangen, als im ersten Jahrtausend üblich war."

Hoffnungszeichen

Nichtsdestoweniger hat "Papa Ratzi" (© britischer Boulevard und Salzburger Nachrichten) den teils sehr fest sitzenden Karren der katholischen Kirche aus dem teils sehr tiefen Morast zu ziehen, Stichwort: Sexskandale in den usa. Auch sonst knarrt und ächzt das katholische Gebälk im Reformstau: Befreiungstheologie, Frauenordinariat, verheiratete Priester, Sexualmoral.

Dass just der Schweizer Calvinist Frère Roger aus Taizé bei der Begräbnismesse für Johannes Paul II. als erster vom obersten Glaubenshüter Joseph Ratzinger die Kommunion erhielt - ein Zeichen für weitere Überraschungen? Der 89-jährige Frère Roger ergriff dankbar den rechten Arm Ratzingers, als er im Rollstuhl weggeschoben wurde.

Jedoch: Hatte Johannes Paul II. 104 Auslandsreisen angetreten - davon die meisten in andere Kontinente -, um neuerlich einen Favoriten aus Europa zu protegieren?

Benedikt XVI. - mehr Fragen als Antworten.

Der Autor ist freier Journalist.

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