Bernhard'sche Abgründe

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"Eines Tages wird unser Schriftsteller ein Klassiker sein." Diesen Satz legt Thomas Bernhard der Protagonistin in seinem Stück "Am Ziel" in den Mund. 1980/81 verfasste Bernhard den Text, 35 Jahre danach ist der Autor selbst zum Klassiker der Weltliteratur avanciert. Nun ist das selten aufgeführte Schauspiel am Theater in der Josefstadt in Starbesetzung zu sehen: Andrea Jonasson brilliert als tyrannische Mutter, Therese Lohner als ihre fast stumme Tochter und Christian Nickel gibt den dramatischen Schriftsteller. Bernhard wäre zufrieden gewesen, ihm waren stets nur die besten Schauspieler gut genug. Bereits beim Schreiben hatte er die Ur-Besetzung vor Augen: Marianne Hoppe, Agnes Fink und Traugott Buhre. Als Regisseur der Uraufführung gewann er Claus Peymann. Die Situation 1981 war heikel; nach Konflikten mit den Salzburger Festspielen und einem mehrjährigen Österreich-Boykott wurde "Am Ziel" zur Beweisprobe. Bernhard hatte Erfolg, die Kritik lobte vor allem die "prachtvolle Schauspielgarnitur" in dieser ursprünglich als "Salzach Komödie" geplanten Produktion.

Atmosphärische Dichte

Heute richtet sich der Blick vor allem auf die Figur des "dramatischen Schriftstellers", dem Alter Ego Thomas Bernhards. In der Josefstadt gibt ihn Christian Nickel als verklemmten Nachwuchsautor, der sein künstlerisches Ziel im Paradoxon des erfolgreichen Scheiterns artikuliert. Oder wie Samuel Beckett sagte: "Wieder scheitern. Besser scheitern."

Der junge Dramatiker dringt von außen in ein absolutes (Familien-)System ein. In diesem Mikrokosmos macht Bernhard Herrschaftsmechanismen und ökönomisch-emotionale Abhängigkeitsverhältnisse sichtbar. Hier ist es eine Mutter, die ihre Tochter systematisch erniedrigt, um sie dann wieder trösten zu können. In ihrer Einsamkeit kettet sie die längst erwachsene Tochter an sich, nimmt dieser jegliches Selbstwertgefühl, um dann über sie verfügen zu können.

Andrea Jonasson gelingt virtuos diese kaltherzige Figur, die zwischendurch Momente der Selbsterkenntnis hat, die sie sogleich mit übermäßigem Cognac-Konsum betäubt. Jonassons Leistung zeigt sich im Gefühl für Rhythmus, denn die selbstgefälligen Tiraden machen die handlungsarmen Szenen zu einer Herausforderung. Als kongeniale Partnerin zeigt sich Therese Lohner, deren Mienenspiel zwischen Erschrecken, Widerwillen und Zuversicht variiert. In Cesare Lievis Inszenierung wird das Unheimliche atmosphärisch dicht, und die Bernhard'schen Abgründe tun sich schleichend und bedrohlich auf.

Am Ziel

Theater in der Josefstadt

21., 22., 30., 31. März

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